Radsport: Die Tour de France 2021 werden 12 Deutsche, 6 Schweizer und 4 Österreicher in Angriff nehmen. Welche Aufgaben haben die deutschsprachigen Fahrer und wie gut stehen die Chancen auf einen Etappensieg?
Deutschland
Helfer & Etappenjäger – mit einem Fragezeichen
Wird es bei der Tour de France 2021 einen deutschen Etappensieger geben? Ehrlicherweise stehen die Chancen dafür in diesem Jahr so schlecht wie selten zuvor. Zu viele Profis aus Deutschland werden eine Helferrolle einnehmen müssen und daher kaum Freiheiten für eigene Ambitionen erhalten. Tony Martin geht als Road Captain für Mitfavorit Primoz Roglic ins Rennen. Zu Gesicht bekommen werden wir ihn vor allem zu Beginn der Etappen, wenn er in der Ebene das Tempo im Hauptfeld kontrollieren soll. Aber auch einen Sprint für Wout van Aert kann er vorbereiten. Obwohl er vor wenigen Tagen zum zehnten Mal Deutscher Meister im Zeitfahren wurde, wird er im Kampf gegen die Uhr kaum um den Tagessieg mitfahren können. Auch Jasha Sütterlin ist ein starker Zeitfahrer. Er wird etwas mehr Freiheiten erhalten und sicher das ein oder andere Mal in Gruppen zu finden sein. Dennoch ist auch er nicht erste Wahl, wenn es um einen Angriff auf den Tagessieg seiner Mannschaft DSM gehen wird.
Jonas Rutsch könnte für einen erfolgreichen Ausreißversuch das heißeste Eisen im Feuer sein. Der 23-Jährige fährt seine erste Tour de France und viele Teams haben den sympathischen, fast zwei Meter großen Riesen sicher noch nicht auf der Rechnung. Der zähe Klassiker-Spezialist ist im Flachen kaum zu halten und daher auch für Leader Rigoberto Uran ein wichtiger Mann in puncto Gesamtwertung. Ebenfalls seinem Kapitän zur Seite stehen muss Simon Geschke. Für Guillaume Martin ist der Berliner mit all seiner Erfahrung eine echte Stütze – und das nicht nur im Hauptfeld. Auch in einer Ausreißergruppe auf etwas anspruchsvollerem Terrain werden wir ihn sehen. Ob das bei Nils Politt der Fall sein wird, ist ungewiss. Denn Bora – hansgrohe hält einige Trümpfe in der Hand. Kapitän für die Gesamtwertung ist Wilco Kelderman, bei Massensprints wird für Peter Sagan und das Grüne Trikot gefahren. Auch für Attacken gibt es diverse Alternativen, u. a. aus Österreich. Besonders spannend ist die Personalie Emanuel Buchmann. Der 28-Jährige musste den Giro d’Italia vorzeitig beenden und fährt nun überraschend doch die Tour de France. Offiziell als Edelhelfer für Wilco Kelderman nominiert, könnte der Ravensburger aus dem Windschatten heraus doch zum Kapitän avancieren.
- Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe)
- Nils Politt (Bora – hansgrohe)
- Simon Geschke (Cofidis)
- Jonas Rutsch (EF – Nippo)
- Tony Martin (Jumbo – Visma)
- Jasha Sütterlin (DSM)
Schnelle Männer, aber keine Top-Sprinter
Die weiteren 6 deutschen Starter der Tour de France 2021 kann man als sprintstark bezeichnen. Wir sind jedoch weit davon entfernt, einen wirklichen Top-Sprinter unter deutscher Flagge zu haben. Der aussichtsreichste Kandidat für einen Sieg in einem Sprint Royal wäre wohl Pascal Ackermann gewesen. Doch der Pfälzer wurde von Bora – hansgrohe nicht für die Frankreich-Rundfahrt nominiert. Nun können wir erneut auf André Greipel hoffen, der von Teamkollege Rick Zabel in den Massensprints in Position gefahren werden soll. Doch kann der mittlerweile 38-Jährige wirklich noch mit den schnellsten Männern mithalten? Zuletzt hat er diese Frage in Spanien bei der Ruta del Sol und dem Eintagesrennen Trofeo Alcudia-Port d’Alcudia, sowie bei der Türkei-Rundfahrt mit Ja beantwortet.
Ebenfalls als Sprint-Kapitän zur Tour de France fährt Max Walscheid. Und das kommt durchaus überraschend, denn der 28-Jährige hat sich in den vergangenen Monaten vor allem im Zeitfahren verbessert und die Massensprints eher hinten an gestellt. Weil Giacomo Nizzolo aber nicht dabei ist und auch Bergfahrer Fabio Aru passen musste, ruhen nun die Hoffnungen seiner Mannschaft auch auf ihm. Beim belgischen Team Intermarché – Wanty – Gobert – Matériaux kann man sogar aus einem Quartett wählen. Die beiden Niederländer Danny und Boy van Poppel sind ebenso endschnell, wie die beiden Deutschen Jonas Koch und Georg Zimmermann. Für wen man in einem Massensprint letztendlich fahren wird, dürfte wohl die Tagesform entscheiden. So oder so kann man auf Flachetappen immer mindestens einen von ihnen in Gruppen schicken. Daher werden wir die beiden wohl auch hin und wieder in der Offensive zu sehen bekommen. Dies trifft auf Roger Kluge wohl eher nicht zu. Der 35-Jährige ist fest eingeplant im Sprintzug von Caleb Ewan. Da der Australier wohl der beste Sprinter auf der Startliste ist, stehen die Chancen gut, dass Roger Kluge jubeln darf – wenn auch nicht über einen eigenen Etappensieg.
- Jonas Koch (Intermarché – Wanty – Gobert – Matériaux)
- Georg Zimmermann (Intermarché – Wanty – Gobert – Matériaux)
- André Greipel (Israel Start-Up Nation)
- Rick Zabel (Israel Start-Up Nation)
- Roger Kluge (Lotto – Soudal)
- Max Walscheid (Qhubeka – NextHash)
Schweiz
Siegchancen mit Hirschi und im Zeitfahren
Bei der vergangenen Tour de France ging sein Stern auf. Marc Hirschi war einer der Entdeckungen der 2020er Saison. Nach seinem Wechsel-Hickhack von DSM zu UAE ist der erst 22-Jährige aber noch auf der Suche nach seiner Topform. Wird er diese in den kommenden drei Wochen erreichen? Dann ist ihm mit Sicherheit erneut eine starke Rundfahrt zuzutrauen. Nicht vergessen sollten wir allerdings, dass der Hauptfokus seiner Mannschaft nun auf Tadej Pogacar und der Tour-Titelverteidigung liegt. Daher wird sich der Schweizer dem Slowenen unterordnen müssen und auch wichtige Helferdienste zu leisten haben. Das gilt – wenn auch in etwas anderer Form – auch für Stefan Bissegger und Stefan Küng. Während der eine für Rigoberto Uran fährt, arbeitet der andere für Arnaud Démare. Im Kampf gegen die Uhr dürfen die beiden Schweizer dann aber auf eigene Rechnung fahren – und haben in dieser Disziplin gar keine schlechten Karten für einen eigenen Erfolg.
- Stefan Bissegger (EF – Nippo)
- Stefan Küng (Groupama – FDJ)
- Marc Hirschi (UAE)
Tempobolzer in der Ebene
Der Rest des Schweizer Aufgebots hat seine Stärken fast ausschließlich in der Ebene. Silvan Dillier fährt in einer Mannschaft mit mehreren Sprintern, so dass er hauptsächlich die Ausreißer wird jagen müssen, anstatt selbst Teil einer Fluchtgruppe zu sein. Auch Michael Schär ist als echter Tempobolzer nicht nur in der Schweiz bekannt. Seine Leader Greg van Avermaet, Benoit Cosnefroy und Nans Peters werden gerne auf seine Dienste zurückgreifen. Da kein richtiger Top-Sprinter von seiner Teamleitung nominiert wurde, darf der Schweizer aber sicher auf Flachetappen das ein oder andere mal selbst in eine Ausreißergruppe gehen. Das dürfte auch auf Reto Hollenstein zutreffen. Die Israel Start-Up Nation hat war mit André Greipel einen Sprinter mit dabei, doch da die Erfolgsaussichten für den Deutschen eher als gering eingeschätzt werden, wird sich die Mannschaft aktiv in Fluchtgruppen präsentieren müssen.
- Michael Schär (AG2R – Citroen)
- Silvan Dillier (Alpecin – Fenix)
- Reto Hollenstein (Israel Start-Up Nation)
Österreich
Edelhelfer mit diversen Freiheiten
Gleich an den ersten beiden Tagen der Tour de France 2021 darf sich der Österreicher Michael Gogl berechtigte Hoffnungen auf ein gutes Resultat machen. Denn hügelige Teilstücke liegen dem 27-Jährigen. Da jedoch auf der ersten und zweiten Etappe mit einer Massenankunft zu rechnen ist und keine Ausreißergruppe durchkommen dürfte, spart sich der eher weniger explosive Österreicher seine Kräfte vielleicht für einen anderen Tag auf. Lukas Pöstlberger hat vor etwa einem Monat beim Critérium du Dauphiné bewiesen, dass er als Ausreißer funktioniert. Gleiches könnte die Mannschaft von ihm nun auch bei der Tour de France erwarten, auch wenn der Hauptfokus von ihm auf Helferdiensten für Peter Sagan liegen dürfte. Teamkollege Patrick Konrad hat seine Stärken eher bergauf, weshalb er vor allem für Emanuel Buchmann und Wilco Kelderman da sein wird. Wird in den Bergen ein Mann für die Fluchtgruppe gesucht, wird bei Bora – hansgrohe die Wahl aber gewiss auf Patrick Konrad fallen. Die Rolle von Marco Haller ist klar definiert. Der erfahrene 30-Jährige fährt auf Flachetappen und auf leicht hügeligen Teilstücken für Sonny Colbrelli. Wird es bergig, ist er auf den Anfangskilometern für seine Klassementfahrer Wout Poels und Pello Bilbao zuständig. Eigene Ambitionen wird er wohl kaum verfolgen dürfen.
- Marco Haller (Bahrain – Victorious)
- Patrick Konrad (Bora – hansgrohe)
- Lukas Pöstlberger (Bora – hansgrohe)
- Michael Gogl (Qhubeka – NextHash)