TEST | BEREIFUNG: Winterreifen fürs Fahrrad per Reißverschluss aufziehen? Kann das funktionieren? Halten die Reißverschlüsse den Belastungen stand? Für den winterlichen Alltag könnte das innovative System ein echter Gamechanger sein. Ob Retyre hält, was versprochen wird, liest du in unserem Langzeit-Test.
Retyre Winterreifen: Straßenreifen in Spikereifen verwandeln
Gute Winterreifen fürs Fahrrad zu finden ist schon eine Sache für sich. Die Auswahl am Markt ist übersichtlich und wirkliche Innovationen sind selten. Wer im Winter guten Grip auf Schnee und Eis sucht, kommt um Spikereifen oder Schlammreifen nicht herum, wie du in unserem Artikel über Winterreifen lesen kannst. Liegt kein Schnee, sind besonders die Spikereifen laut, unkomfortabel und haben einen hohen Rollwiederstand. Ein ständiger Reifenwechsel scheidet für die meisten Radler aus, da er zu zeitintensiv ist. Außerdem verfügen viele Radfahrer nicht über das nötige Können oder die entsprechende Routine.
Hier kommt das System von Retyre ins Spiel: Als Basisbereifung dient hier ein gering profilierter Straßenreifen. Dieser eignet sich fürs ganze Jahr – außer bei winterlichen Fahrbahnverhältnissen. Für ebendiese werden nun mit jeweils einem Reißverschluss auf jeder Seite die Reifen-Skins aufgezogen und rundum befestigt. Der Reifenwechsel vom Straßenreifen zum Spikereifen soll so von jedem Laien in wenigen Minuten zu erledigen sein. Neben den Spike-Skins für den winterlichen Einsatz gibt es übrigens auch Geländereifen-Skins. In unserem Test haben wir die Nordic Commuter Skins ausprobiert.
Infos & Daten
Retyre bietet Starterpakete mit je zwei Basisreifen und zwei Skins an. Außerdem sind alle Skins sowie der Basisreifen auch einzeln erhältlich. Das bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Skins an Vorder- und Hinterrad zu verwenden. Sinnvoll könnte beispielsweise für E-Bikes eine Kombination des groben Ice Racer am Vorderrad und des gemäßigten Nordic Commuter am Hinterrad sein. Um den Rollwiederstand gering zu halten, wäre für sichere Radler die Kombination des Nordic Commuter am Vorderrad und des Gravel Chaser (49 € pro Skin) am Hinterrad möglich. Letzterer besitzt als Gravelreifen zwar keine Spikes, dürfte aber auf festem Schnee ausreichend Grip fürs Hinterrad bieten.
Reifen | Retyre One Basisreifen | Retyre Spiker-Skin Nordic Commuter | Retyre Spike-Skin Ice Racer |
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Erhältliche Maße | 26" 42-559/26x1.6 27.5" 50-584/ 27.5x2.0 28" 42-622/28x1.6 29" 50-622/29x2.0 | 26" 50-559/26x2.0 27.5" 57-584/27.5x2.25 28" 50-622/28x2.0 29" 57-622/29x2.25 | 26" 50-559/26x2.0 27.5" 57-584/27.5x2.25 28" 50-622/28x2.0 29" 57-622/29x2.25 |
Einsatzgebiet | Alljahresreifen, nicht für Schnee & Eis geeignet | Winterliche Fahrbahnen mit eher festerem Schnee, urbaner Bereich | Winterliche Fahrbahnen mit allen Schneearten, Geländeeinsatz, sehr schwere E-Bikes |
Rollwiderstand | Gering | Groß | Sehr groß |
Anzahl Spikes | - | 160 | 300 |
Gummimischung | Sommermischung | Winter Rubber | Winter Rubber |
Pannenschutz | Ja, 1,2 mm | - | - |
Kosten pro Reifen/Skin | 39 € | 79 € | 89 € |
Kosten Starterkit (2 Basisreifen + 2 Skins) | - | 199 € | 219 € |
Durch eine spezielle Gummimischung bleiben die Spike-Skins im Winter weich und liefern guten Grip. Die Gummimischung der Basisbereifung ist auf wärmere Temperaturen ausgelegt – die Gummihärte beider Reifen ist laut Retyre aber sehr ähnlich.
Eine Investition von 200 € in ein Starterkit ist zwar kostenintensiv, allerdings kommen damit eigentlich vier Reifen ins Haus. Für vier vergleichbare, herkömmliche Reifen werden auch schnell über 200 € fällig – somit relativieren sich die Anschaffungskosten.
Retyre Winterreifen im Test
Montage der Retyre Winterreifen
Die Basisbereifung von Retyre wird wie ein herkömmlicher Reifen aufgezogen – fertig. Dies funktioniert mit unseren Testreifen auch problemlos. Möchte man nun die Spike-Skins nutzen, so setzt man beidseitig die Reißverschlüsse an. Deren Aufstecken ist etwas fummelig, aber funktioniert nach ein paar Versuchen. Anschließend werden die beiden Reißverschlüsse relativ gleichmäßig geschlossen. Wichtig dabei: Die Skins parallel zum Schließen der Reißverschlüsse immer wieder längs dehnen, denn sonst bleibt am Ende eine Lücke im Profil. Arbeitet man hier aber sauber, schließen die Skins nahtlos ab. Mit etwas Übung fallen hier keine zwei Minuten pro Reifen an – im Reifenumdrehen sind also die Spikes einsatzbereit. Das System hält hier, was es verspricht.
Wichtig zu wissen: Zu den ETRTO- & Zollmaßen des Reifens sollte man etwas Puffer einrechnen. Denn die Spikes der Winterbereifung bauen höher als herkömmliche Reifen mit gleichen Abmessungen. Nach oben zum eventuell vorhanden Schutzblech sollte man also etwa einen halben Zentimeter einrechnen. Links und rechts am Reifen befinden sich die Zipper des Reißverschlusses – diese stehe jeweils fast einen halben Zentimeter über den Reifen hinaus. Hier sollte man deshalb auf jeder Seite jeweils mindestens einen halben Zentimeter Reifenfreiheit zusätzlich einplanen, damit unter Last nichts schleift.
Erster Fahreindruck & Fahreigenschaften auf der Straße
Beim Anblick des Systems drängt sich all unseren Testfahrern sofort eine Frage auf: Halten die Reißverschlüsse einer Vollbremsung mit den Spikes auf Teer stand? Ja, das tun sie – das System macht einen erstaunlich robusten Eindruck. Unsere wiederholten Versuche, das System hier über seine Belastungsgrenze zu beanspruchen, sind gescheitert. Dennoch können solche Vollbremsungen mit blockiertem Hinterrad das System schneller altern lassen, mal abgesehen davon, dass das Metall der Spikes abgeschliffen wird.
Mit den aufgezogenen Spike-Skins Nordic Commuter ist das Fahrverhalten auf Teer etwas schwammig, was an der Anordnung der Spikes liegt: Im Profil sind diese seitlich in zwei Linien angeordnet. Bei Kurvenfahrten auf Teer kippt man also über die Spikes – das fühlt sich etwas schwammig an. Dabei darf man aber nicht vergessen: Die Anordnung der Spikes macht auf Schnee und Eis Sinn und dafür sind die Skins auch konzipiert. Dennoch gibt es natürlich Situationen, in denen man auf einen Mix aus Teer und Schnee treffen wird. Das Problem des Kippens über die Spikes haben übrigens auch andere Spikereifen – bei Retyre wird es allerdings durch das minimale Spiel zwischen Basisbereifung und Skin etwas verstärkt.
Unauffällig zeigt sich die Basisbereifung – und das ist ein gutes Zeichen. Die Reifen rollen gut und sorgen auch für verlässlichen Halt auf nasser Fahrbahn. Einzig der Blick aufs Vorderrad mit den leicht abstehenden Reißverschlüssen ist ungewöhnlich.
Fahreigenschaften auf Schnee & Eis
Auf festem Schnee zeigen die Nordic Commuter Skins einen erstaunlich guten Grip. Selbst kleine Kanten im Schnee parallel zur Fahrtrichtung können den Reifen kaum aus der Ruhe bringen. Auch die Bremspower ist ordentlich und der Bremsvorgang fühlt sich sicher an. Auf Eis macht der Reifen eine gute Figur, die Spikes krallen sich zuverlässig fest. Wer allerdings auf eisige Fahrbahnen trifft, sollte für noch mehr Grip mit weniger Luftdruck ( 1,5 – 2 bar) fahren. Erstaunlich guten Halt bietet der Nordic Commuter auch auf nassem Schnee. Natürlich wird das Fahrverhalten schwammiger, bis zum Kontrollverlust ist allerdings viel Luft. Schwächen zeigt der Reifen wie fast alle Spike- und Winterreifen in engen, dynamischen Kurven. Hier fehlt dem Nordic Commuter etwas Führungsprofil – dementsprechend bricht er bei höherer Geschwindigkeit und engeren Radien aus. Dennoch kann man den Kurvenhalt als gut bezeichnen.
Verschleiß
Unser Langzeit-Test über die Wintersaison 2022 – 2023 zeigt, dass auch Matsch und Streusalz dem System wenig anhaben kann. Eventuelle Ablagerungen bröseln beim Schließen der Reißverschlüsse ab oder können mit warmen Wasser abgewaschen werden. Das Retyre-System ist also auch für die nächste Saison noch einsatzbereit.
Zu beachten ist allerdings, dass sich eine stärkere Abnutzung des Basisreifens auf den Sitz der Spike-Skins auswirken kann. Denn wird das Profil des Basisreifens abgenutzt, so reduziert sich dessen Umfang etwas – wodurch die Spike-Skins mehr Luft haben. Daraus wird ein schwammigeres Fahrgefühl resultieren. Es kann also ein Austausch der Basisbereifung nötig sein, bevor diese gänzlich abgenutzt ist. Ein teilweise abgenutzter Basisreifen lässt sich im Zweifelsfall aber immer noch an einem Fahrrad nutzen, das nicht für den Wintereinsatz gedacht ist. Dieser Thematik wird Retyre in Zukunft mit einer Premium-Version des Systems begegnen, bei der der Basisreifen nicht mehr zum Fahren gedacht ist. Stattdessen werden auch Skins für den sommerlichen Straßeneinsatz angeboten und aufgezogen.
Retyre Winterreifen am E-Bike & für den groben Einsatz
Retyre hat mit Ice Racer eine weitere Skin im Angebot, die über noch mehr Spikes und gröberes Profil verfügt. Für den winterlichen Einsatz an schweren E-Bikes könnte das die bessere Wahl sein – je nach dem, wie häufig und intensiv man im Winter auf eine Schneefahrbahn trifft. Interessant sind diese Skins auch für Biker, die im Winter abseits von Straßen unterwegs sein möchten. Deren grobstolliges Profil verfügt mit 300 Spikes pro Reifen über fast doppelt so viele, wie unser Testreifen Nordic Commuter. Zu beachten ist hier allerdings, dass die Ice Racer Skins in jede Richtung 7 mm Platz benötigen.
Retyre im Web
Winterreifen fürs Fahrrad: Tipps & Kaufberatung zu Reifen & Spikes
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