Flyer – E-Bike Pionier mit Neuanfang: Die Geschichte des E-Bikes beginnt (auch) in der Schweiz. Dort heißt das Fahrrad „Velo“ und wird oft und gern genutzt; nur sind vielerorts die Berge im Weg – etwa beim Pendeln zur Arbeit. So geht es einem Angestellten einer Firma für Energietechnik im Emmental, auf den nach der Arbeit 300 Höhenmeter warten. Irgendwann hat der Mann die Faxen dicke: Er besorgt sich einen Scheibenwischermotor und eine Motorradbatterie, und fertig ist der „Rote Büffel“, der seinen Namen von Rahmenfarbe und Lenkerform ableitet. Vom handgefertigten Prototypen, bis zu einem ersten, in Kleinserie gefertigten Modell dauert es nur zwei Jahre. Hinter diesem steht die Firma BKTech AG, und wie nennt sie ihr innovatives Produkt? Genau, Flyer.
Flyer – E-Bike Pionier baut seine ersten E-Bikes
Das erste Elektrovelo sieht noch aus wie ein klassisches Tourenrad mit Stahlrahmen, doch der Hersteller hat größere Ambitionen. Im Jahr 2000 wird die Flyer F-Serie vorgestellt, die für jene Zeit extrem futuristisch wirkt: Das Rad ist vollgefedert und verfügt über einen großen Akku mit rotem Gehäuse, der im nach oben offenen Rahmendreieck sitzt. Die silbergraue Optik wird in den nächsten Jahren ein typisches Merkmal der Flyer-Bikes sein.
In Japan sind Elektroräder derweil ein alter Hut. Bereits 1979 hat Panasonic ein E-Bike vorgestellt, das – in der barocken Optik jener Zeit gehalten – über einen Mittelmotor und einen hinterm Sitzrohr platzierten Akku verfügt. Ende der 1990er betritt das Unternehmen den europäischen Markt, und zu den ersten Herstellern, die den inzwischen deutlich modernisierten Mittelmotor verbauen, gehört Flyer. Modelle wie die C-Serie mit dem charakteristischen geschwungenen Unterrohr bestimmen über Jahre hinweg die Formensprache der Marke und tragen dazu bei, dass Elektroräder im Alltag sichtbar werden.
Mit der Flyer C-Serie beginnt ein Siegeszug
Das Unternehmen vergrößert sich und zieht von Kirchberg nach Huttwil um; auf einem noch überschaubaren Markt sind die Schweizer bald ganz weit vorne. Im Jahr 2005 werden in Deutschland nur rund 25.000 E-Bikes verkauft; drei Jahre später sind es immerhin schon an die 65.000. Noch ist das Elektrovelo ein sehr erklärungsbedürftiges Produkt; in jener Zeit schaltet Flyer Print-Anzeigen, in denen der damalige Geschäftsführer die Vorzüge der neuen Technologie erläutert. Schon damals hat Flyer Berufspendler und junge Eltern im Blick, die einen Kinderanhänger an ihr Flyer koppeln – Lastenräder sind noch Zukunftsmusik. Auch die E-MTB-Welle ist längst noch nicht angerollt, doch E-Bike Pionier Flyer hat bereits einen vollgefederten E-Offroader in der Pipeline.
Erste Flyer E-Bikes mit dem neuen Bosch-Antrieb
Doch die Konkurrenz schläft nicht. Seit etwa 2010 wächst die Nachfrage rapide; immer mehr Anbieter tummeln sich am Markt. In jenem Jahr stellt Bosch seinen ersten E-Bike-Motor vor, der gerade in Deutschland mit großem Interesse aufgenommen wird. Gegenüber manchem Wettbewerber wirkt das bewährte Design der Flyer-Modelle nun leicht angestaubt. Das Interesse der Kunden sinkt, und Flyer steuert um: 2014 wird das erste Modell mit dem angesagten Bosch-Antrieb vorgestellt.
Flyer profitiert von der Übernahme durch die ZEG
Doch dann kommt dem Unternehmen die internationale Finanzpolitik in die Quere: Anfang 2015 wird der Euro-Franken-Mindestkurs aufgehoben; Produkte aus der Schweiz werden im Ausland schlagartig deutlich teurer. Doch Flyer verdaut den „Euro-Schock“, zumal die neuen, attraktiven Modelle der Schweizer am Markt gut ankommen: Mit E-MTBs wie dem Uproc und dem modern gezeichneten Alltagsrad Gotour ist Flyer wieder auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb. Doch um weiter wachsen zu können, braucht Flyer starke Partner beim Einkauf und im Vertrieb – und der wird gefunden: Im Sommer 2017 übernimmt die Kölner Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft eG (ZEG) den Schweizer Hersteller, der als eigenständiges Unternehmen erhalten bleibt und von den Synergieeffekten innerhalb der Gruppe profitiert.
Der Markenkern als Schweizer Traditionsmarke bleibt erhalten
Das Management nutzt die neuen Strukturen, um kräftig zu investieren, zumal sich auch Flyer im Corona-Boom über die steigende Nachfrage freuen kann. Im Frühjahr 2021 läuft eine dritte Fertigungslinie an, mit der die Produktion auf rund 100.000 E-Bikes hochgefahren werden kann. Doch der branchenweite Abschwung trifft auch Flyer. Bestellungen und Umsätze halbieren sich; Ende 2023 muss das Unternehmen ein Viertel der Belegschaft entlassen. Auch in Köln schrillen die Alarmglocken: Zwar möchte die ZEG den Standort erhalten, doch die Montage im Hochlohnland Schweiz wird angesichts der Marktlage immer problematischer. Am Ende wird ein Umzug der Fertigung nach Deutschland beschlossen; der Stadtort Huttwil bliebt bestehen und beherbergt auch weiterhin Entwicklung und Marketing – mithin der Schweizer Markenkern von Flyer (Velomotion berichtete). 30 Jahre E-Bike-Geschichte finden damit keineswegs ihren Abschluss; vielmehr ist der Fortbestand von Flyer als innovative Premiummarke durch diesen Schritt gesichert. Wer weiß – vielleicht sorgt erst das große Händlernetz der ZEG für die Sichtbarkeit, die Flyer braucht, um einmal mehr richtig durchzustarten.