Oprah, Sperre und Vergebung
Dan Roan: Seit deinem Doping-Geständnis sind nun zwei Jahre vergangen. Wie hast du die Zeit seither erlebt?
Lance Armstrong: Es war wie man erwarten würde. Also wie die Allgemeinheit es erwartet hatte, nicht wie ich. Die Reaktionen waren heftig, vielleicht heftiger als ich angenommen hatte. So wie ich damals über Oprah meine Geschichte erzählt habe … ich denke, sie hat einen guten Job gemacht, aber es war trotzdem echt brutal danach.
Es war hart, es war anstrengend und es erforderte einige Geduld. Aber inzwischen scheint dort ein Licht am Ende des Tunnels zu sein.
DR: Du sprichst von brutal, heftig und schlimmer als du erwartet hattest. Was genau hattest du denn erwartet?
LA: In meiner Wahrnehmung war die große Bombe ohnehin schon geplatzt gewesen. Die anderen Geständnisse, die Bücher und die Artikel darüber. Ich dachte, eigentlich ist das meiste schon gesagt. Als ich mich alledings persönlich dazu äußerte, war das, insbesondere hier in den USA, eine riesen Sache.
Was ich bei Oprah erzählt habe war für die Hälfte der Zuschaer zu viel. ‚Was?! Doping, EPO und Bluttransfusionen?‘ Es war einfach zu viel.
Die andere Hälfte dachte ‚Das reicht nicht. Er hat nicht die ganze Geschichte erzählt. Wo sind die Namen?‘ Da waren also diese beiden Seiten und keine davon war zufrieden mit dem, was ich erzählt habe.
DR: Würdest du es anders machen, wenn du noch einmal die Chance hättest?
LA: Ja, definitiv. Nun im Nachhinein würde ich wohl einfach abwarten. Ich war damals noch nicht bereit für dieses Interview. Es gab aber andere Gründe, weshalb ich diesen Schritt getan habe – ich bin weiß Gott keine geduldige Person. Ich hatte das Gefühl, dass Oprahs Show der richtige Ort wäre. Vielleicht hätte es aber einfach noch drei oder sechs Monate gebraucht – vielleicht aber auch nicht.
Egal was ich gesagt hätte, nichts wäre gut angekommen. Die Leute waren wütend und aufgebracht und ich habe vollstes Verständnis dafür.
DR: Angenommen du seist der einfache Mann von der Straße, ein Radsportfan. Würdest du Lance Armstrong heute verzeihen?
LA: Naja, das ist keine faire Frage. Pass auf, ich will ehrlich sein – aus meiner Perspektive würde ich sagen: ‚Ja, vielleicht ist es bald soweit.‘
Das ist aber meine Ansicht und die ist inzwischen nicht mehr wichtig. Viel wichtiger ist es, was die Leute dort draußen denken. Egal ob es nun Radsportfans oder Mitglieder meiner Krebs-Stiftung sind. Ihr Urteil ist wichtig.
DR: Hast du aber die Schlüssel zu dieser Vergebung nicht selbst in der Hand? Würdest du einfach das sagen, was die Leute hören wollen, die ganze Geschichte, volle Kooperation – es liegt dich an dir.
LA: Okay, aber ist die Zeit wirklich reif dafür? Würde ich mir diese Sache als Außenstehender ansehen – und ich kenne die ganze Geschichte – und sagen: ‚Ich finde es nicht gut, dass der Typ mich angelogen und dass er gedopt hat. Ich mag die Zeit, in der er Rennen gefahren ist nicht, ich finde das alles nicht gut.‘
Außerdem müsste ich mir, wie jeder andere der damals aktiver Profi war, überlegen, was gehört zu dieser Geschichte und was nicht? Ist das jetzt wirklich alles? Waren es einfach nur Profisportler, die eine Menge Geld verdient haben, oder gab es dort noch etwas anderes, an das ich mich nicht erinnere, das ich nicht Wert schätze?
Ich habe viel Zeit und Herzblut in meine Organisation gesteckt (Lance Armstrong Foundation, Livestrong) um damit einer Menge Menschen zu helfen. Und ich will ehrlich sein, es verletzt mich, dass das nun unter den Tisch fällt und fast in Vergessenheit gerät. Mancherorts sorgar als PR-Gag abgetan wird. Denn das war es nicht. Es hat mir unheimlich viel bedeutet. Als Livestrong an mich herantrat und meinte ‚Du musst zurücktreten‘ – das war extrem hart für mich.
DR: Hat dich das sehr verletzt?
LA: Ich kann mir wenig schlimmeres vorstellen. Aber da muss ich durch.
DR: Gibt es denn gar keine Möglichkeit zurückzukehren? Die Brücken sind für immer abgebrannt?
LA: Für immer ist eine lange Zeit. Ich bin schließlich noch hier.
DR: Deine lebenslange Sperre zu reduzieren wäre also die beste Möglichkeit, Menschen wieder zu helfen? Was könntest du dann tun?
LA: Immerhin wäre mir nicht mehr so langweilig! Die Sperre hat rein gar nichts mit Livestrong oder meinem Einfluss auf die Krebs-Community zu tun, auch wenn es sicherlich ein Einfluss ist. Ich kenne die Geschichten der gefallenen Helden in Großbritannien nicht, ich kenne nur die Beispiele aus den USA: Tiger Woods, Michael Vicks, Bill Clinton – diese Leute können noch immer etwas bewegen.
Für mich ist es schwieriger. Ich denke aber nicht, dass meine Möglichkeiten, eine neue Bewegung zu starten und Leuten zu helfen, nur davon abhängen.
DR: Für mich klingt es fast so, als wäre nicht die Sperre das Problem, sondern die Tatsache, dass man dir noch immer nicht vergeben hat?
LA: Die Sperre ist etwas, das ich nicht beeinflussen kann. Für viele Menschen dort draußen gibt es auch gar keine Alternative dazu. Auch wenn nicht alles wahr ist – vieles liegt noch immer im Verborgenen – habe ich mir diese Sache allein selbst zuzuschreiben. Aber dort liegt meiner Meinung nach auch nicht der Schlüssel zur Vergebung.
Wir streben doch alle danach, dass man uns vergibt. Es gibt wirklich eine große Menge schlechter Menschen dort draußen, denen man nie vergeben wird, egal wie sehr sie es wollen. Vielleicht gehöre ich zu dieser Gruppe. Es scheint aber, als würden die Leute denken: ‚Okay, wir haben uns das jetzt zwei Jahre angehört. Wir kennen die Geschichten und vielleicht werden wir aus dem CIRC-Bericht noch mehr erfahren. Ja, er hat dies und jenes getan, wie alle anderen auch. Stimmt das denn alles so? Manche kommen ganz ohne Bestrafung davon, manche bekommen sechs Monate, er lebenslang. Ist das wirklich fair?‘
Letztendlich ist es doch so – ich spreche aber aus einer anderen Perspektive: ‚Ich habe sieben Mal die Tour geschaut, ich habe gesehen wer gewonnen hat, doch eigentlich hat er das gar nicht. Niemand hat gewonnen, dieser Sport hat keinen Sieger, sieben leere Gelbe Trikots. Auf der anderen Seite ist dort aber Zabels Grünes Trikot, obwohl er gestanden hat oder Gepunktete Trikots von Virenque, der auch Doping zugegeben hat … was läuft dort falsch?‘ Ich glaube nicht, dass das unserem Sport gut tut.
DR: Denkst du, du solltest diese sieben Titel zurückbekommen?
LA: Das will und kann ich nicht entscheiden. Aber wenn ich nicht gewonnen habe – wer dann? Es muss einen Sieger geben, und da spricht der Fan aus mir.
Wenn du dir bei Wikipedia den Artikel zur Tour de France anschaust gibt es eine Phase ohne Sieger während des 1. Weltkriegs, eine zweite währen des 2. Weltkriegs und dann scheint es so, als hätten wir schon einen dritten hinter uns. Es muss einen Sieger geben.
Aber ich will mich hier sicherlich nicht selbst ins Spiel bringen. Es war eine unglückliche und phasenweise schreckliche Zeit. Trotzdem braucht es einen Sieger.
DR: Siehst du dich selbst als Sündenbock?
LA: Naja, meine Taten und mein Umgang mit gewissen Situationen waren indiskutabel und ich habe mir eine Strafe redlich verdient. Geht diese zu weit? Natürlich werde ich sagen ‚Ja, das tut sie‘. Viele Leute werden hingegen sagen, dass sie noch nicht weit genug ging.
DR: Du hast vorhin von Langeweile gesprochen – Ist es für dich ein großes Problem, dass du an keinen Wettkämpfen mehr teilnehmen kannst?
LA: Also ich nehme fast täglich an Wettkämpfen teil – auf extrem niedrigem Niveau auf dem Golfkurs!
Es ist auch deshalb so frustrierend, weil ich denke, dass ich bei einigen Veranstaltungen noch immer auf recht hohem Niveau teilnehmen könnte. Das interessiert aber niemanden und es will auch keiner hören.
Was mich aber noch viel mehr belastet ist folgendes: Würde meine Mutter morgen an Multipler Sklerose erkranken – Gott sei Dank ist sie gesund – und ich würden am Boston Marathon teilnehmen wollen, um $100.000 für MS Kranke zu sammeln – ich könnte es nicht. Ich könnte weder mitlaufen, nicht mitgehen, noch sonst irgendetwas. Mir wären die Hände gebunden.
DR: Und das ist ungerecht?
LA: Hält das wirklich irgendjemand für gerecht?
DR: Ist das aber nicht auch in gewisser Weise Sinn und Zweck einer Bestrafung? Soll diese andere nicht abschrecken?
LA: Und unbeteiligte sollen die Zeche dafür zahlen? Ich habe rein gar nichts davon, wenn ich an einem Marathon teilnehme. Ich glaube niemand hält es für gerecht – Lance Armstrong könnte weder an einem Ping-Pong-Turnier, noch an einem Bogenschieß-Wettbewerb teilnehmen.
Außerdem – wo sind denn all die anderen? Klar, ich verstehe, ich muss bestraft werden. Wir haben aber einen Blick auf das Gesamtbild bekommen. Sollten wir nicht auch alle Akteure miteinbeziehen?
DR: Deine Kritiker werden sagen, du warst der Rädelsführer. Es war ja nicht nur das Doping, sondern auch Mobbing, Einschüchterung, Lügengeschichten und der Verrat an Freunden.
LA: Manches davon stimmt, anderes wieder nicht. Sicherlich sind dort Dinge vorgefallen, die ich bereue und auch nicht zu entschuldigen sind. Was das Mobbing und meine Stellung als Rädelsführer angeht: Nicht unbedingt die Wahrheit.
DR: Du hast dich aber geweigert, mit der Usada zu kooperieren, während andere dies getan haben. Hättest du auch so gehandelt, vielleicht wärst du mit einer zweijährigen oder sogar nur sechsmonatigen Sperre davongekommen. Nur: Wir werden es nie erfahren, weil du nicht kooperiert hast.
LA: Das ist eine spannende Angelegenheit. Travis [Tygart, Chef der Usada] würde dir – wie bereits unzählige Male davor – sagen: ‚Wir haben Lance Armstrong dieselbe Chance gegeben wie allen anderen auch.‘
Fragst du aber ehemalige Teamkollegen wie George Hincapie, Christian Vande Velde, Dave Zabriskie, Tom Danielson, egal wen – sie werden dir sagen, wie das ablief. Du bekommst folgenden Anruf: ‚Du wirst nicht bestraft. Sag einfach folgendes …‘ – mein Telefon hat nicht geklingelt.
DR: Hast du gegenüber CIRC und der UCI Dinge offengelegt, die bei Oprah nicht zur Sprache kamen?
LA: Ich habe mich zwei Mal mit ihnen getroffen. Sie haben mich zwar gebeten, diesbezüglich nicht ins Detail zu gehen, doch eigentlich weiß es doch ohnehin jeder, das ist kein Geheimnis mehr. Ich kann denke ich mit Fug und Recht behaupten, dass ich alle Fragen beantwortet habe, die mir gestellt wurden. Vieles davon weiß auch die Öffentlichkeit. Ich weiß nicht, wieviel insgesamt noch im Verborgenen liegt, aber ich war zu jeder Zeit 100 % ehrlich.
Ich bin in einer Situation wo ich niemanden mehr schützen muss oder möchte. Es gibt noch sieben Menschen, die ich immer schützen werde: Sie alle heißen Armstrong mit Nachnamen.
DR: Einer der großen Kritikpunkte bezüglich deines Auftritts bei Oprah war, dass du nicht erzählt hast, wie die Sache genau ablief.
LA: Wie die Sache genau ablief?
DR: Das Doping.
LA: Das weiß doch ohnehin jeder, oder nicht?
DR: Wir haben es aber nicht von dir gehört.
LA: Ich will hier nicht ins Detail gehen bezüglich dessen, was ich gefragt wurde und was ich nicht gefragt wurde. Ich kann aber sagen: Ich habe alle Fragen beantwortet.
Die Problematik für die Radsport-Untersuchungen ist doch, dass sie nicht die Macht haben, Leute zur Aussage zu ‚bewegen‘. Der wahre Grund, weshalb wir hier sitzen ist, vergiss die Usada, dass das Justizministerium und andere Stellen Regierungsbeamte geschickt haben, die Leute gezwungen – entschuldige, ‚bewegt‘ – haben, unter Androhung einer Gefängnisstrafe auszusagen.
DR: Sitzen wir hier nicht, weil du betrogen hast?
LA: Ja, natürlich. Aber ich glaube bei keinem anderen aus dieser Generation standen Bundesbeamte mit Marke und Waffe in der Tür und sagten: ‚Sie werden uns nun unsere Fragen beantworten‘
DR: Hoffst du, dass CIRC deine Kooperation mit einer Reduktion der Strafe honoriert?
LA: Ich glaube nicht, dass es deren Entscheidung ist. Sie können Empfehlungen aussprechen, mehr nicht.
DR: Worauf hoffst du denn dann?
LA: Das werde ich nicht beantworten, weil es niemand hören will. Niemand will hören, wie ich mich ungerecht behandelt fühle oder ob ich denke, dass meine Strafe abgemildert werden sollte. Niemand will das aus meinem Mund hören und niemanden interessiert es, was ich dazu denke. Das habe ich inzwischen verstanden.
Ich habe aber alles getan, was ich gesagt habe. Ganz ehrlich: In den vergangenen Zwei Jahren, habe ich all meine Versprechen eingelöst.
Wir haben auch über die Untersuchungskommission gesprochen. Ich hatte damals gesagt, dass ich der erste sein werde, der dort vorspricht und das habe ich getan. Ich war 15 Jahre lang ein richtiges Arschloch zu dutzenden von Leuten. Ich habe gesagt, ich würde es bei diesen Leuten wieder gutmachen. Ich habe auch dort bei jedem, der mir die Chance dazu gab, mein Bestes getan. Ich bin nach Rom geflogen um mich mit Simeoni zu unterhalten, war in Paris und sprach mit Bassons, in Florida um mich mit Emma auszusprechen. Bei Andreu habe ich mich per Telefon entschuldigt.
Andere wiederum hatten kein Interesse daran. Alles was ich zu tun hatte, wie beispielsweise die unzähligen Gerichtsverhandlungen, alles habe ich durchgezogen. Ich werde auch weiterhin Wort halten und das ist vollkommen okay so, das ist meine Pflicht.