Hausbesuch: Wer glaubt, traditionsreiche Radhersteller kämen ausschließlich aus Italien, kennt nur die halbe Wahrheit. Die 1909 gegründete Firma BH Bikes gehört zu den führenden Radmarken der iberischen Halbinsel. Mit innovativen Produkten, moderner Logistik und spürbarer Leidenschaft möchte man auch am deutschen Markt Anteile gewinnen. Ein Hausbesuch.
Ein Industriegebiet in der baskischen Hauptstadt Vitoria, breite Straßen, blauer Himmel: Aus einem hellen Gebäude mit weithin sichtbarer Aufschrift BH treten zwei Männer in schwarz-roter Radkleidung. Unai und Gilles schieben glänzende Carbon-Rennräder vor sich her, Freiläufe knattern, Pedalplatten knarzen auf dem Asphalt. Die Beiden haben Mittagspause – ein kurzes Palaver, dann klicken sie in ihre Pedale ein und verschwinden für eine kurze Runde im Umland. Kein Einzelfall: In der Umkleide hängen dicht an dicht Rennräder und Mountainbikes, beinahe täglich findet sich eine Gruppe zur gemeinsamen Ausfahrt. Man tauscht sich aus, testet die eigenen Produkte und startet bei Jedermannrennen. Beim Hausbesuch im Baskenland wird schnell deutlich: Für viele BH-Mitarbeiter ist der Radsport nicht bloß ein Job, sondern eine persönliche Leidenschaft. Und die Bindung zum Arbeitgeber ist eng: Unai arbeitet seit sieben Jahren für BH, Gilles gar seit zwanzig.
In der Spitze 800.00 verkaufte Räder pro Jahr
Auch Exportmanager José Miguel Aracama ist schon seit 18 Jahren im Unternehmen. Gerade war er noch bei einer medizinischen Routineuntersuchung, die BH jährlich für seine Mitarbeiter organisiert. Nun erzählt er im Showroom die Geschichte des Unternehmens.
Die Abkürzung BH, spanisch „Beh Atsche“ ausgesprochen, steht für Beistegui Hermanos, zu Deutsch die Gebrüder Beistegui. Unter diesem Namen begannen Domingo, Juan und Cosme Beistegui im Jahr 1909, Handfeuerwaffen zu produzieren. Aufgrund von Export-Embargos nach Ende des Ersten Weltkriegs sattelten sie um auf Fahrräder. Der Erfolg stellte sich bald ein, wirtschaftlich und sportlich: Die erste Vuelta a España 1935 wurde auf einem BH-Rennrad gewonnen. Während der Franco-Diktatur war die spanische Wirtschaft lange Zeit von zahlreichen Märkten abgeschnitten. Zwangsläufig stellte BH nahezu alle Komponenten für seine Fahrräder selbst her. Millionen Spanierinnen und Spanier nutzten das schlichte, funktionale Standard-Fahrrad von BH zur Fortbewegung. In der Spitze verkaufte die baskische Firma 800.000 Stück pro Jahr. Die Demokratisierung Spaniens seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bedeutete für BH Bikes einen Entwicklungsschub. Aus der isolierten Wirtschaftslage drängte das Unternehmen hinaus auf den Weltmarkt, Produktion und Vertrieb wurden internationalisiert.
Heute ist BH Bikes ein Global Player und beschäftigt 225 Mitarbeiter weltweit: am Hauptsitz in Vitoria, in einem Forschungs- und Entwicklungszentrum in Kalifornien, in Produktionsstätten in Portugal, China, Taiwan und Indonesien sowie in zahlreichen Verkaufsbüros und Concept Stores rund um den Globus. 2014 exportierte das Unternehmen seine Räder in 66 Länder. 63,8 Prozent des Umsatzes wurden durch Export erwirtschaftet, 37,2 Prozent im heimischen Markt. Insgesamt verkaufte BH Bikes 2014 über 180.000 Einheiten. Der Schwerpunkt lag bei E-Bikes (42 Prozent), gefolgt von Mountainbikes (29 Prozent) und Rennrädern (18 Prozent). Die verbleibenden Prozent verteilen sich auf Trekking- und Kinderräder. Im laufenden Geschäftsjahr 2015 wurden die Verkäufe bisher um 3,2 Prozent gesteigert.
Bei all dem bleibt man den eigenen Wurzeln treu: BH Bikes ist traditionell als Sponsor im Leistungssport tätig und rüstet neben der CC-Mountainbikerin und Velomotion-Bloggerin Adelheid Morath, Enduro-Champion Karim Armour und Top-Triathlet Eneko Llanos im kommenden Jahr auch das Europcar-Nachfolgeteam Direct Energie aus.
Und das Unternehmen befindet sich mittlerweile in der vierten Generation im Besitz der Familie Beistegui. Erst 2012 lehnte man ein Kaufangebot der Accell-Group ab. Die niederländische Holding, der zahlreiche Fahrradmarken weltweit gehören, hatte einen dreistelligen Millionenbetrag geboten, doch vergebens: BH Bikes steht nicht zum Verkauf.
BH Bikes – Eigenständige Produkte, lebenslange Garantie
Ein zentraler Anspruch von BH ist es, Fahrräder mit einer besonderen Note und eigenständigen technischen Lösungen herzustellen. Letztlich zieht sich diese Philosophie wie ein roter Faden durch die nicht weniger als 212 (!) Fahrradmodelle, welche die Basken 2016 anbieten.
Bei dem Produkt-Schwerpunkt E-Bike, der allein 64 Modelle umfasst, setzt man auf einen selbst entwickelten Heckantrieb mit wahlweise 250, 350 oder 500 Watt Motorleistung. Die Batterie ist mit einem patentierten System elegant in den Rahmen integriert und liefert je nach Modell zwischen 300 und 500 Wattstunden. BH kombiniert auch externe Antriebstechnik des deutschen Zulieferers Brose mit der hauseigenen Batterie. Zudem haben die Basken nun auch E-Bikes mit Bosch-Antrieb im Programm.
Das vernetzte Fahrrad – ein wichtiger Trend bei der diesjährigen Eurobike – gibt es natürlich auch bei BH Bikes: Über Bluetooth kommunizieren die E-Bikes mit einer selbst entwickelten Smartphone-App. Neben einer einfachen GPS-Navigation erlaubt diese die Steuerung der Motorunterstützung wahlweise über drei Parameter: anhand des gefahrenen Höhenprofils, über die Anstrengung des Fahrers gemessen an seiner Herzfrequenz oder – ganz klassisch – per manueller Eingabe.
Auch bei den konventionellen Fahrrädern ohne E-Motorunterstützung setzt BH auf besondere Lösungen. Bei den Fullys kommt das patentierte Split-Pivot-System von Suspension-Guru Dave Weagle zur Anwendung. Die Rahmen sind so konstruiert, dass die Federung automatisch blockiert, sobald man in die Pedale tritt. Je fester man tritt, desto stärker die Verhärtung des Dämpfers. Ein Blockieren beim Bremsen ist gleichwohl ausgeschlossen, da die Kräfte unabhängig voneinander walten. So kann auch der Luftdruck des Stoßdämpfers auf 11 bar gesenkt werden und der Federweg vollständig ausgenutzt werden – im Gegensatz zu den 14 bar der Konkurrenz ohne Split-Pivot.
Aus dem Rennrad-Bereich konnten wir bereits bei der Eurobike das Aero-Modell G7 Disc genauer unter die Lupe nehmen. Weitere Modelle sind der Komfortrenner Quartz und das Ultralight Evo. Bei diesem wird Leichtbau groß geschrieben. Das Rahmenset wiegt nach Angabe von BH weniger als ein Kilogramm. 700 Gramm bringt der Rahmen in Größe SM auf die Waage, 295 Gramm die Gabel. Dabei spricht BH kein Gewichtslimit für den Fahrer aus. Und auch die lebenslange Garantie wird nicht eingeschränkt. Diese gewährt BH Bikes übrigens auf alle seine Räder. Voraussetzungen sind der Kauf, die Registrierung und regelmäßige Wartung bei einem autorisierten Händler. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Begriff lebenslang bezieht sich auf ein Fahrradleben und wird mit 10 Jahren beziffert.
Hochmoderne Logistik
Damit Kunden auch schnell an ihr Rad kommen, haben die Basken zuletzt in ihre Logistik investiert. Stolz führt Exportmanager José Miguel Aracama durch das Herzstück der Anlage in Vitoria: Beeindruckende 3.500 Quadratmeter misst die Lagerhalle am Firmensitz, 50 Meter breit und 26 Meter hoch. Bis zu 26.000 Fahrräder können gelagert werden, gleich daneben befindet sich ein separates Teilelager. Beide werden vollautomatisiert betrieben. Ständig fahren gigantische Roboter wie von Geisterhand betrieben die Reihen ab, holen die gewünschte Ware in codierten Kartons aus dem Regal und stellen sie auf einem von drei Kommissionierungsarbeitsplätzen bereit. Bis zu 600 Räder können so an einem Tag in den Versand gehen. Wobei Versand nicht falsch verstanden werden darf: BH Bikes ist eine klassische Fachhandelsmarke. Über 2.400 Händler weltweit führen BH Bikes, 1.700 sind es in Europa, bald 120 in Deutschland. Es besteht zwar die Möglichkeit, ein Rad über die BH-Website zu bestellen, die Lieferung erfolgt aber an einen Fachhändler, der das Rad final überprüft, einstellt und an den Endkunden übergibt – und dauerhaft als Servicepartner vor Ort zur Verfügung steht.
Herausforderung deutscher Markt
„Am deutschen Markt entscheiden besonders die Qualität des Produkts und der Service über den Erfolg“, betont Exportmanager Aracama. „In Deutschland sehen wir das größte Wachstumspotenzial in Europa, gleichzeitig ist es eine große Herausforderung, es zu schaffen, dass sich deutsche Kunden mit unseren Produkten identifizieren.“ In den vergangenen Jahren hat BH Bikes das Personal in Deutschland deutlich aufgestockt. Steffen Krill wurde als Verkaufsleiter verpflichtet. Ruth Renkl, Dominik Ruiz-Morales und Marc Rotter sind als Außendienstmitarbeiter tätig. In Aschaffenburg befindet sich ein Showroom, in Dreieich bei Frankfurt entsteht derzeit ein Servicecenter.
Doch warum sollte man sich für ein Fahrrad aus Vitoria entscheiden? José Miguel Aracama lächelt bei dieser Frage. „Mittlerweile sind fast alle Hersteller auf einem ähnlich hohen Niveau unterwegs, wir sind nicht besser und nicht schlechter“, sagt er. „Kunden kaufen unsere Produkte, weil sie sich von denen der Mitbewerber unterscheiden. Kaufe ich ein BH Bike, so habe ich die Gewissheit, ein Fahrrad mit einer ganz eigenständigen Note zu erwerben, mit innovativen und ganz individuellen technischen Lösungen, die so nur wir bieten. Diese Außergewöhnlichkeit hebt uns und unsere Kunden von der Masse ab.“
Bei der Verabschiedung zeigt José Miguel mit einem Augenzwinkern die Straße hinunter: „Eine gewisse Nähe zu Deutschland haben wir ja schon.“ Nur wenige hundert Meter entfernt erhebt sich mächtig das Mercedes Benz-Werk Vitoria, in dem die V-Klasse gefertigt wird. Zu einer vergleichbaren BH-Dependance in Sindelfingen wird es in naher Zukunft zwar nicht kommen. Doch eins ist sicher: Die baskische Macht BH Bikes drängt nach Deutschland.