Radsport: Die Saison 2016 ist für die Profis auf der Straße bereits vorbei. Während wir uns schon jetzt auf das neue Jahr freuen, schauen wir noch einmal zurück. In unserem großen Saisonrückblick lassen wir die vergangenen Monate revue passieren. Wir beginnen mit den zweiteiligen Radsport Highlights 2016 und blicken dabei auf die packendsten Rennen. In den kommenden Wochen folgen einige weitere Ausgaben. Darin widmen wir uns den Tops & Flops, den Überraschungen, den Pechvögeln, den Comebackern, den einzelnen Teams und den kuriosesten Ereignissen des Jahres.
Geraint Thomas hält Alberto Contador bei Paris-Nizza auf Distanz
Das erste der großen Radsport Highlights 2016 gab es bereits im März bei der Fernfahrt Paris-Nizza zu bestaunen. Die gesamte Rundfahrt beinhaltete mit einem Prolog und sieben Etappen alles was das Radsport-Herz begehrt. Es begann mit einem überraschenden Sieg im Prolog durch Michael Matthews (Orica-GreenEdge), der sogar den Spezialisten Tom Dumoulin (Giant-Alpecin) hinter sich lassen konnte. Auf der 2. Etappe gewann der Australier erneut, weil der eigentliche Sieger Nacer Bouhanni (Cofidis) ihn im Schlussprint abdrängte. Das 3. Teilstück von Cusset nach Mont Brouilly wurde wegen starken Schneefalls während des Rennens komplett abgebrochen. Als die Rundfahrt in die entscheidende Phase ging, wurde den Zuschauern zuvor also schon einiges geboten. Auf der vorletzten Etappe sicherte sich Ilnur Zakarin (Katusha) den Tagessieg und Geraint Thomas (Sky) eroberte die Gesamtführung. Mit einem Vorsprung von 15 Sekunden auf Alberto Contador (Tinkoff) ging er in die 7. und letzte Etappe.
Diese wurde in Nizza ausgetragen und sollte eine der spannendsten Etappen des gesamten Jahres werden. Trotz der Führung in der Gesamtwertung ging nicht Thomas, sondern Contador als Favorit ins Rennen. Kein Wunder, denn das Profil kam eher dem spanischen Kletterspezialisten entgegen. So feuerte „El Pistolero“ erwartungsgemäß aus allen Rohren und zwang damit das Team Sky bereits früh zu einer Reaktion. Rund 50 Kilometer vor dem Ziel setzte sich Contador am Côte de Peille ab. Auf die Gruppe um Thomas konnte er die Führung mit seinen beiden Teamkollegen Kiserlovski und Trofimov bis auf eine Minute ausbauen. Doch die Sky-Armada blies im Flachstück zur Aufholjagd und konnte die Lücke tatsächlich bis zum Fuße des Col d’Èze schließen. Wie gewohnt gab sich Contador jedoch nicht geschlagen. Etwa 20 Kilometer vor dem Finish kam es erneut zu einem Feuerwerk aus Angriffen.
Mit seiner fünften Attacke konnte sich der Spanier schließlich zusammen mit Richie Porte (BMC) lösen und zu Tim Wellens (Lotto Soudal) aufschließen. Zusammen fuhren sie einen Vorsprung von über einer halben Minute auf die Gruppe um Thomas heraus. Dort sorgte vor allem sein Teamkollege Sergio Henao für das Tempo. Doch auch das 54er Kettenblatt des Briten und seine ausgezeichneten Abfahrtsqualitäten sollten ihm zugutekommen. So kam die Thomas-Gruppe dem Spitzentrio immer näher und das Herzschlagfinale war perfekt. Ausreißer Wellens gewann den Sprint um den Tagessieg. Contador belegte Rang zwei und drehte sich direkt nach der Zieleinfahrt um. Er sah die Gruppe um Thomas bereits dicht hinter sich. Die fünf herausgefahrenen Sekunden plus die sechs Sekunden Zeitgutschrift sollten Contador nicht reichen, um Thomas den Gesamtsieg noch zu entreissen. Den Briten retteten am Ende ganze vier Sekunden. Der Triumph beim „Rennen zur Sonne“ ist bis heute sein größter Erfolg.
Im Regenbogentrikot gewinnt Peter Sagan sein erstes Monument
Die Ronde van Vlaanderen ist jährlich eines der interessantesten Rennen der Saison. Es verwundert daher nicht, dass die Flandernrundfahrt einen Platz in unseren Radsport Highlights 2016 gefunden hat. Bereits vor dem Start sprach die gesamte Radsportwelt von einem Duell zwischen Peter Sagan (Tinkoff) und Fabian Cancellara (Trek-Segafredo). Während der Schweizer die Ronde van Vlaanderen bereits dreimal gewann und 2016 zum letzten Mal mit dabei sein sollte, hat der amtierende Weltmeister Sagan noch kein Monument für sich entscheiden können. Nach seinen guten Vorstellungen bei den beiden Vorbereitungsrennen E3 Preis Harelbeke (Platz zwei) und Gent-Wevelgem (Sieg), galt der Slowake dennoch als Topfavorit. Und diese Rolle wollte der extrovertierte Fahrer auch unbedingt annehmen. So attackierte er bereits 33 Kilometer vor dem Ziel zusammen mit Michal Kwiatkowski (Sky) und Sep Vanmarcke (LottoNL-Jumbo).
In der letzten Auffahrt zum Oude Kwaremont konnte Kwiatkowski nicht mehr folgen und zeitgleich attackierte Cancellara aus der Verfolgergruppe heraus. Der Schweizer distanzierte einen Fahrer nach dem anderen und fuhr immer näher auf das Spitzenduo auf. Am Paterberg suchte Sagan dann die Entscheidung, obwohl er sich auch auf einen Sprint hätte einlassen können. Vanmarcke konnte ihm nicht mehr folgen und wurde wenig später von Cancellara aufgefahren. Währenddessen nahm Sagan die letzten Kilometer als Solist mit einem Vorsprung von rund 15 Sekunden in Angriff. Entgegen aller Erwartungen konnte er den Abstand sogar vergrößern, obwohl hinter ihm das Schweizer Uhrwerk auf den längeren Geraden teilweise sogar Sichtkontakt herstellen konnte. Sagan triumphierte im Regenbogentrikot mit 25 Sekunden Vorsprung auf seinen Widersacher Cancellara und gewann damit endlich sein erstes Monument.
Vincenzo Nibalis Aufholjagd beim Giro der deutschen Siege
Seit über 100 Jahren wird der Giro d’Italia im Mai ausgetragen und zählt damit traditionell zu den ersten großen Veranstatungen einer jeder Saison. Auch bei unseren Radsport Highlights 2016 darf die Italienrundfahrt nicht fehlen. Allein schon deshalb, weil er aus deutscher Sicht zu den erfolgreichsten Landesrundfahrten aller Zeiten zählt. Sieben der 21 Etappen wurden von deutschen Fahrern gewonnen. Damit war man sogar erfolgreicher als der Gastgeber. Besonders kurios: Alle Sprintetappen gingen nach Deutschland. Marcel Kittel (Etixx-Quick Step) machte mit zwei Erfolgen den Anfang, dann zog André Greipel (Lotto Soudal) sogar mit drei Siegen an ihm vorbei. Als die beiden deutschen Topsprinter die Rundfahrt vor den Bergen verlassen haben, sahen die Konkurrenten noch auf zwei Flachetappen ihre Chancen. Abermals waren es jedoch die Deutschen: Roger Kluge (IAM) gewann das 17. Teilstück und Nikias Arndt (Giant-Alpecin) sogar die Schlussetappe nach Turin, nachdem Giacomo Nizzolo (Trek-Segafredo) strafversetzt wurde.
Trotz der beeindruckenden deutschen Erfolge fokussierten sich die Radsportfans aber vor allem auf den Kampf um die Maglia Rosa. In der Gesamtwertung sah alles lange nach einem Überraschungssieger aus. Steven Kruijswijk (LottoNL-Jumbo) führte das Klassement bis zur 19. Etappe mit einem Vorsprung von drei Minuten an und offenbarte bis dato keine Schwächen. Auf einer Abfahrt jedoch versteuerte sich der Niederländer und prallte am Straßenrand gegen einen zu Eis gefrorenen Schneeberg. Sein Rad wurde dabei ebenso beschädigt wie sein Körper und seine mentale Stärke. Am Ende des Tages verlor er das Rosa Trikot an Esteban Chaves (Orica-GreenEdge) und fast fünf Minuten auf den Tagessieger. Dieser war Vincenzo Nibali (Astana), der bis zu dieser 19. Etappe einen schwachen Eindruck hinterließ. In der Gesamtwertung lag er vor diesem Teilstück bereits satte 4:43 Minuten hinter Kruijswijk und 1:43 hinter Chaves zurück.
Durch diese 19. Etappe jedoch schob sich der erfahrene Italiener vor auf den zweiten Rang – nur noch 44 Sekunden hinter dem Leader Chaves. Da die Schlussetappe traditionell den Sprintern gehört, blieb ihm jedoch nur noch das Teilstück am Folgetag, um diesen Rückstand noch aufzuholen. Die 20. Etappe von Guillestre nach Vinadio bot sich hierfür jedoch bestens an, denn es mussten gleich drei Berge bezwungen werden. Auch wenn es erst am letzten Anstieg ernst wurde, waren die unterschiedlichen Formkurven von Nibali und Chaves auch an diesem Tag deutlich sichtbar. 15 Kilometer vor dem Ziel suchte Nibali die Entscheidung und Chaves konnte – ebenso wie alle anderen Fahrer auch – recht schnell nicht mehr folgen. Am Ende triumphierte Nibali in der Gesamtwertung mit einem Vorsprung von 52 Sekunden auf Chaves. Besonders bitter: Kruijswijk verlor auch seinen dritten Rang noch an Alejandro Valverde (Movistar).