Test Vittoria Corsa G+: Mit dem neuartigen Kohlenstoffmaterial Graphen will Vittoria seinem Klassiker zu rundum gesteigerter Performance Eigenschaften verhelfen. Velomotion hat ausprobiert, ob es was bringt – und dabei noch unbekannte Seiten des Vittoria Corsa G+ ans Licht gebracht.
Gegen die einheimischen Platzhirsche Conti und Schwalbe anzukommen, ist nicht einfach – doch gute Reifen gibt es auch anderswo. Zum Beispiel bei Vittoria in Italien, ein Anbieter, dessen geschmeidige Rennreifen seit Jahrzehnten beliebt sind. In Sachen Haltbarkeit und Pannenschutz hatten Corsa & Co. freilich nie den besten Ruf, doch das könnte sich ändern. Denn die „Reifen-Revolution“ der Italiener ist in vollem Gange – mit einem neuartigen Material namens Graphen, das erst Anfang des Jahrtausends gewonnen werden konnte und das Zeug dazu hat, die Welt der Technik zu revolutionieren. Einfach gesagt handelt es sich bei Graphen um ein zweidimensionales Netz von Kohlenstoffatomen, quasi ein riesiges, flaches Molekül. So ein Netz aus sechseckigen „Waben“ ist nicht nur wegen seiner extrem hohen elektrischen Leitfähigkeit interessant, sondern auch wegen seiner mechanischen Belastbarkeit: So sind ultradünne Folien denkbar, aus denen sich vielleicht einmal elektronisches Papier fertigen ließe – oder transparente Schutzschichten fürs Smartphone-Display.
Vittoria Corsa G+: Was dem Engländer sein Kondom ist dem Italiener sein Rennradreifen
Aber auch Gummi lässt sich mit Graphen optimieren – in England nutzte man das Wundermaterial etwa, zur Entwicklung besonders reißfester, dünner Kondome. Und so ähnlich soll es auch beim Reifen funktionieren: Das Netz aus Atomen wirkt sozusagen wie eine zusätzliche Gewebelage, die die Struktur der Gummimischung verstärkt. Vittoria verspricht sich davon insgesamt eine Verbesserung der Eigenschaften seiner Reifen – und das ist deshalb interessant, weil diese Eigenschaften, wie man weiß, in einem Zielkonflikt stehen. Ein niedriger Rollwiderstand geht meist mit größerer Pannenanfälligkeit einher, viel Kurvengrip mit höherem Abrieb. Gute Reifen sind heutzutage rundum auf einem hohen Niveau, und der Einsatz von Graphen soll die Performance insgesamt auf ein höheres Level heben.
Wie sich das in der Praxis anfühlt, konnte Velomotion bereits 2017 beim Radmarathon Les Trois Ballons in den Vogesen ausprobieren. Damals fiel besonders der gefühlt niedrige Rollwiederstand positiv auf, dazu die große Sicherheit, die der Reifen bei Schräglage in hohem Tempo vermittelte. Und auf den heimatlichen Strecken ist es nicht anders. Erst einmal empfiehlt sich der in 25 mm Nennbreite knapp 260 Gramm schwere Vittoria Corsa G+ durch eine sehr einfache Montage – die geschmeidige, fein gesponnene Baumwollkarkasse mit ganzen 320 TPI (Threads per inch, also Faden pro Zoll) lässt sich ohne Kraftaufwand über die Felgenflanke schieben. Bei einem Druck um 7 bar misst der Pneu in der Breite satte 27 mm.
Vittoria Corsa G+: Tubeless-tauglich obwohl nicht tubeless-ready
Vom Aufbau her entspricht der Vittoria Corsa G+ dem heute üblichen Standard: Vittoria nutzt gleich vier unterschiedliche Gummimischungen, um Leichtlauf und Abriebfestigkeit mit optimalem Grip an den Reifenschultern vereinen zu können. Und was das Fahrgefühl betrifft, geht die Rechnung auf: Der Vittoria Corsa G+ fühlt sich auf Anhieb leichtfüßig und schnell an und rollt dabei sehr weich ab. Bei Schräglage oder harten Bremsmanövern kommt das Graphen ins Spiel: Bei solchen Lastwechseln verändert die Gummimischung laut Hersteller ihre Struktur und wird griffiger. Ob’s stimmt, lässt sich kaum feststellen; sagen können wir aber, dass auch der Nässegrip des Vittoria Corsa G+ auf hohem Niveau liegt. Und Regen bekam der Reifen auf seinen ersten 500 Kilometern genug ab, dazu Schotterpassagen und heimtückischen Straßensplit – und manchmal alles auf einmal. Spuren haben diese Strapazen keine hinterlassen: Abgesehen von je zwei nadelspitzengroßen Löchlein auf der Lauffläche sehen beide Reifen noch top aus – ein Indiz dafür, dass die feinen Längsrinnen des Profils nicht dazu neigen, feine Steinchen und Splitter aufzusammeln, die sich nach und nach ins Gummi einarbeiten.
Die unabhängige Website www.bicyclerollingresistance.com bescheinigt dem Corsa G+ einen Rollwiderstand auf dem Niveau von Contis Top-Allrounder GP 4000s II, der freilich gut 40 Gramm leichter ist. Ob sich da noch was machen lässt?
Vittoria stellte uns einen zweiten Reifen zur Verfügung, nämlich den extrem leichten Corsa Speed G+ Tubeless Ready. Was die Form der Reifenwulst und die Beschaffenheit der Innenseite angeht, scheinen die zwei Modelle identisch – also zogen wir den Corsa G+ kurzerhand ohne Schlauch auf die Felge. Und siehe da: Obwohl nicht für den Schlauchlos-Einsatz vorgesehen, schlug sich der Pneu sehr gut – er blieb dauerhaft luftdicht und überstand auch einen schmerzhaften Nadelstich in die Lauffläche ohne Luftverlust. Das spricht dafür, dass die Umbaumaßnahme zumindest dem Pannenschutz zugutekommt; ob der Rollwiderstand sinkt, lässt sich nicht sicher sagen. Wünschenswert jedenfalls wäre, dass Vittoria den Corsa G+ für die Tubeless-Montage freigibt – das würde einen Reifen, der rundum sehr gute Eigenschaften aufweist, noch einmal attraktiver machen. Zumal der italienische Alleskönner mit einem Listenpreis von 69,95 Euro nicht gerade billig ist.
Web