Radsport: Die Tour de France 2020 scheint offen wie selten zuvor. Mit Chris Froome und Geraint Thomas fehlen quasi 5 der 7 letzten Toursieger. Wir stellen euch die Favoriten vor.
Primoz Roglic: Plötzlich ist er Topfavorit
Blicken wir zwei Jahre zurück, hätten wir den Namen Primoz Roglic (Jumbo – Visma) sicher nicht auf der Rechnung gehabt. Doch wer den Restart nach der Corona-Pause verfolgt hat, kommt nicht um den Slowenen herum. Der ehemalige Skispringer fuhr die Konkurrenz in Grund und Boden. Er gewann die Tour de l’Ain. Und ehrlich gesagt wäre selbiges auch beim Critérium du Dauphiné geschehen, wäre er nicht gestürzt. Nicht nur die Erfolge sprechen für ihn, vor allem die Art und Weise seiner Siege ist beeindruckend. Ohne Anstrengung zu erkennen, ließ er die besten Kletterer der Welt bergan einfach stehen. Hinzu kommt ein enorm starkes Team Jumbo – Visma. Wer also soll Primoz Roglic stoppen? Das einzige Gegenargument ist die Frühform des Slowenen. Kann jemand, der schon Anfang August die Rennen dominiert, bis Ende September seine Bestleistung abrufen? Eigentlich ist dies eher unwahrscheinlich – und genau das macht diese Tour de France 2020 so spannend.
Egan Bernal: Der Titelverteidiger steht unter Druck
Eigentlich sollte der mittlerweile 23-Jährige völlig locker und zufrieden sein. Egan Bernal (Ineos) gewann im Vorjahr die Tour de France als erster Südamerikaner. Seine teaminternen Konkurrenten – Chris Froome und Geraint Thomas – wurden nicht für die Tour de France 2020 nominiert. Der Kolumbianer genießt die alleinige Kapitänsrolle. Doch genau das könnte ein Problem sein. Denn nun sind die Augen nur auf ihn gerichtet. Als klare Nummer eins im Team und als Titelverteidiger erwarten alle Zuseher einen erneuten Triumph. Kann Egan Bernal diesem Druck standhalten? Klar ist: Das fehlende flache Zeitfahren kommt ihm zugute und in den Bergen schien er noch vor wenigen Monaten schier unschlagbar zu sein. Wird die Formkurve bei Roglic nach unten gehen und bei Bernal nach oben, geht der Toursieg nur über ihn.
Thibaut Pinot: Ganz Frankreich drückt ihm die Daumen
„Hätte er es bis Paris geschafft, dann hätte er die Tour de France gewonnen.“ Dieser Satz über Thibaut Pinot (Groupama – FDJ) stammt von Toursieger Egan Bernal. Wir alle erinnern uns an die mitreißenden Szenen, als Thibaut Pinot unter Tränen in das Teamfahrzeug von Groupama – FDJ stieg. Seine Enttäuschung war ihm anzusehen und nahezu jeder Zuschauer litt mit ihm – und mit einer ganzen Nation. Denn die Franzosen warten immer noch auf den nächsten einheimischen Toursieger seit Bernard Hinault im Jahr 1985. Mittlerweile ist dieser Triumph so lange her, dass fast kein aktive Radprofi zu dieser Zeit schon auf der Welt war. Umso tragischer, dass Thibaut Pinot im Vorjahr als wohl stärkster Fahrer verletzt aufgeben musste. Diesmal soll alles besser werden. Der 30-Jährige will endlich den ganz großen Triumph einfahren. Dank des fehlenden Zeitfahrens wirkt der Parcour wie gemacht für ihn. Hat er den Formaufbau perfekt getimt, ist alles möglich.
Tadej Pogacar: Kaum jemand hat ihn auf der Rechnung
Erst seit 2019 ist Tadej Pogacar (UAE) als Radprofi aktiv. Direkt in seinen ersten Rennen hinterließ er einen bleibenden Eindruck. Seitdem hat sich der Slowene quasi monatlich verbessert. Der Höhepunkt? Rang 3 und zwei Etappensiege bei der Vuelta a Espana im Vorjahr. Bei der UAE Tour 2020 gewann er eine Etappe und wurde zweiter in der Gesamtwertung. Völlig zurecht wird Tadej Pogacar daher als Mitfavorit genannt, auch wenn er von den meisten Experten nicht zu den Topfavoriten gezählt wird. Doch genau das könnte ihm in die Karten spielen.
Emanuel Buchmann: Nur der Sturz sorgt für Zweifel
Selbstverständlich darf Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe) nicht in der Liste der Topfavoriten auf den Toursieg fehlen. Seit Jan Ullrich waren die Chancen für die Deutschen nicht mehr so groß. Die Entwicklung von Emanuel Buchmann lässt sozusagen keinen anderen Schluss mehr zu. Seit 2019 geht es in rasantem Tempo steil bergauf. In dieser Saison gewann er noch vor der Corona-Pause die Trofeo Tramuntana. Außerdem präsentierte er sich beim Critérium du Dauphiné in Bestform. Toursieger Egan Bernal ließ der Ravensburger meist stehen. Mit Primoz Roglic hielt er lange mit. Stellt sich nur die Frage, wie gut sich Emanuel Buchmann von seinem Sturz erholt hat und ob sein Formaufbau dadurch nicht gefährdet wurde. Passt alles perfekt zusammen, kann Emanuel aufs Podium hüpfen und unter Umständen sogar um den Toursieg fahren.