Radsport: Das Gelbe Trikot ist die wertvollste Trophäe im Radsport. Auch bei der Tour de France 2020 treten zahlreiche Teams und Fahrer an, um sich diesen Traum zu erfüllen. Wir blicken auf diejenigen Mannschaften, welche sich realistische Hoffnungen machen dürfen.
Hier geht’s zum ersten Teil der Teamvorstellung!
Ineos: Alle für Bernal und die Titelverteidigung
Die größte Überraschung bei der Nominierung für die Tour de France 2020 kam zweifelsohne aus Großbritannien. Ohne Chris Froome und Geraint Thomas wird das Team Ineos in Nizza an den Start gehen. So verzichtet man also quasi freiwillig auf 5 der letzten 7 Toursieger. So verrückt das auch klingt, ist es verständlich. Jetzt kann sich die gesamte Mannschaft auf die Titelverteidigung von Egan Bernal konzentrieren. Und selbstverständlich hat er trotz der zwei fehlenden Superstars ein starkes Team an seiner Seite. Mit Richard Carapaz hat er schließlich den amtierenden Giro-Sieger als Edelhelfer. Pavel Sivakov könnte vermutlich locker in die Top 10 fahren. Hinzu kommen mit Michal Kwiatkowski, Dylan van Baarle, Andrey Amador und Jonathan Castroviejo vier echte Allrounder. In den vergangenen Jahren haben sie gezeigt, dass sie auf hügeligem Terrain keinerlei Probleme haben und im Hochgebirge ihren Kapitän zumindest in die Anstiege hineinführen können. Luke Rowe wird vorwiegend in der Ebene dafür da sein, Egan Bernal zu schützen.
Jumbo – Visma: Der gelbe Zug will Ineos schocken
Bei der Tour de France haben wir uns in den vergangenen Jahren an ein Bild gewöhnen müssen. Ineos führt das Hauptfeld über 21 Etappen an und egalisiert alle gefährlichen Angriffe. Von Langweile war nicht selten die Rede. Jetzt jedoch hat sich ein mindestens ebenbürtiger Gegner gefunden. Das Team Jumbo – Visma tritt nämlich mit einer echten Top-Truppe an und wird Ineos damit Beine machen. Als klarer Kapitän wird Primoz Roglic ins Rennen geschickt. Der Slowene fuhr nach der Corona-Pause alles in Grund und Boden. Er dominierte die Tour de l’Ain und das Critérium du Dauphiné, bis er nach einem Sturz aufgeben musste. Fährt er so stark bei der Tour de France, wird er kaum zu schlagen sein. Hinzu kommt sein unglaublich starkes Team. Tom Dumoulin könnte als Klassementfahrer einspringen, falls Primoz Roglic seine Sturzverletzungen doch noch zu schaffen machen. George Bennett und Sepp Kuss befinden sich in der Form ihres Lebens und würden bei den meisten anderen Teams als Leader in die Tour starten. Robert Gesink sorgt für die nötige Erfahrung. Außerdem wurde er selbst zu seinen besten Zeiten bei der Tour de France einmal Fünfter und einmal Sechster. Und als wäre es das noch nicht gewesen, trägt auch Wout van Aert das gelb-schwarze Trikot. Der Belgier ist DER Fahrer der Stunde. Er kann auf Flachetappen für Etappensiege sorgen und seine Leader sogar auf hügeligem Terrain noch unterstützen. In der Ebene zuständig für die Arbeit sind hauptsächlich Amund Jansen und Tony Martin.
Groupama – FDJ: Pinot will endlich den Toursieg nach Hause holen
Es war herzzerreißend, traurig und tragisch. Die Bilder des weinenden Thibaut Pinot gingen um die Welt. So stark war der Franzose noch nie. Mit ihm gemeinsam flossen die Tränen zahlreicher Fans. Schließlich träumen die Franzosen seit 1985 von einem einheimischen Toursieger. In diesem Jahr soll es also klappen. Unterstützt wird der starke Bergfahrer von seinem Landsmann David Gaudu. Gemeinsam mit dem Schweizer Sebastien Reichenbach wird er derjenige sein, der Thibaut Pinot im Hochgebirge lange zur Seite stehen muss. Valentin Madouas und Rudy Molard ist dies zumindest auf hügeligem Terrain ebenfalls zuzutrauen. Eher für die Arbeit auf flachem Terrain zuständig sind William Bonnet, Matthieu Ladagnous und der Schweizer Stefan Küng.
Bora – hansgrohe: Buchmann & Sagan sollen’s erneut richten
Die deutschen Fans freuen sich bei der Tour de France 2020 vor allem auf die Mannschaft Bora – hansgrohe. Dank Emanuel Buchmann dürfen wir nach vielen Jahren endlich wieder mit einem Klassementfahrer aus Deutschland mitfiebern. Im letzten Jahr noch Vierter, will er diesmal das Podium in Angriff nehmen. Unterstützt wird er vom ebenfals kürzlich gestürzten Maximilian Schachmann. Der Deutsche Meister aus dem Vorjahr bewies in dieser Saison, dass er nicht nur an Hügeln, sondern auch an Bergen in Topform mit den Besten mithalten kann. Gleiches gilt für Lennard Kämna, der nach seinem Teamwechsel den nächsten Schritt gemacht hat und zu einem echten Edelhelfer im Hochgebirge werden könnte – und das mit 23 Jahren. Auch die beiden Österreicher Gregor Mühlberger und Felix Großschartner sind in den Bergen eine große Hilfe. Leisten kann man sich diesen Fokus auf die Kletter-Riege nur, weil Peter Sagan ein Sprinter ist, der kaum Hilfe benötigt. Der Slowake peilt den achten Gewinn des Grünen Trikots an und selbstverständlich auch mindestens einen Etappensieg. Für ihn zuständig sind Lukas Pöstlberger und Daniel Oss, die in der Ebene ordentlich drücken können.
UAE: Pogacar könnte der Star der Tour werden
Wird über die Favoriten auf den Toursieg gesprochen, fällt der Name Tadej Pogacar erst spät. Genau darauf könnte die Mannschaft UAE bauen. Denn der Slowene ist definitiv mehr als nur ein Außenseiter. Bei der Vuelta a Espana im Vorjahr – seiner ersten Grand Tour überhaupt – wurde er auf Anhieb Dritter und gewann drei Etappen. Jetzt teilt er sich bei der Tour de France 2020 die Kapitänsrolle mit Fabio Aru. Beiden ist eine gute Platzierung in der Gesamtwertung zuzutrauen, auch wenn die letzten Ergebnisse hier klar für Pogacar sprechen. Und auch sonst ist die Mannschaft UAE für die Berge gut aufgestellt. David de la Cruz, Davide Formolo und Jan Polanc werden sowohl als Helfer, als auch als Ausreißer im Hochgebirge in Erscheinung treten. Bei Flachetappen setzt UAE auf Alexander Kristoff, der von seinem norwegischen Landsmann Vegard Stake Laengen und von Marco Marcato Unterstützung erwarten darf.
Trek – Segafredo: Porte & Mollema als Doppelspitze
Richie Porte und Bauke Mollema haben zusammengenommen schon achtmal die Top 10 einer Grand Tour erreicht. Doch sie haben eines gemeinsam: Nie ist ihnen der Sprung auf das Podium geglückt. Fraglich, ob das ausgerechnet bei der topbesetzten Tour de France 2020 passieren soll. So oder so wird Trek – Segafredo neben dem Gelben Trikot auch Etappensiege ins Visier nehmen. Kenny Elissonde ist wie gemacht für eine starke Ausreißergruppe im Hochgebirge. Toms Skujins hat sich schon mehrfach als Mann für Fluchtgruppen erwiesen. Weltmeister Mads Pedersen hat sich zuletzt sogar als Sprinter präsentiert. In der Ebene sollen Jasper Stuyven, Edward Theuns und Niklas Eg für Furore sorgen. Durchaus möglich also, dass wir auf Flachetappen sowohl einen Mann in der Gruppe sehen, als auch später einen kleinen Zug im Massensprint.
Arkéa – Samsic: Quintana ist plötzlich wieder fast der Alte
Überraschung: Nairo Quintana ist nicht nur älter geworden, sondern auch wieder ganz der Alte – fast zumindest. Nach zwei schwachen Jahren scheint der Kolumbianer wieder zur Bestform zurückzufinden. Dass es kein flaches Zeitfahren gibt, liegt ihm sehr. Kann er also jetzt doch noch den ganz großen Erfolg bei einer Tour de France einfahren? Fragezeichen stehen zumindest hinter der Leistungsstärke seiner neuen Mannschaft. Mit Warren Barguil, Winner Anacona und Diego Rosa stehen ihm zwar drei starke Bergfahrer zur Seite, doch wirklich in Topform sind auch diese drei in letzter Zeit nicht gewesen. Mental ist Bruder Dayer Quintana auf jeden Fall eine Stütze. Auf flachem Terrain werden wir im Massensprint oder in Gruppen Kevin Ledanois, Clement Russo und Connor Swift bei der Arbeit beobachten.
AG2R La Mondiale: Bardet & Latour auf Abschiedstour
Zur kommenden Saison wird sich bei AG2R La Mondiale einiges ändern. Unter anderem werden die beiden Kletterer Romain Bardet und Pierre Latour dem Team den Rücken kehren. Bei dieser Tour de France jedoch sollen sie für die Equipe noch einmal die Kohlen aus dem Feuer holen. Das Ziel ist ganz klar das Podium. Dabei dürfte Bardet auf dem Papier der Kapitän sein, doch Latour war in den vergangenen Monaten kaum schwächer. Klappt es mit der Gesamtwertung nicht, muss die Mannschaft voll auf Ausreißergruppen setzen, denn einen wirklich starken Sprinter haben sie nicht nominiert. Für Klassikerjäger Oliver Naesen wird es allerdings schwer mit einem Etappensieg, da auf flachen Teilstücken kaum Gruppen erfolgreich sein werden. Gleiches gilt wohl für Benoît Cosnefroy, der in dieser Saison endgültig den Durchbruch geschafft hat und aus einer kleinen Gruppe heraus definitiv eine Gefahr darstellt. Alexis Vuillermoz hat immerhin den Vorteil, dass ihm hügeliges Terrain liegt und dort eine erfolgreiche Flucht deutlich wahrscheinlicher ist. Komplettiert wird das Aufgebot von AG2R La Mondiale mit Mikaël Cherel, Nans Peters und Clément Venturini von drei weiteren Franzosen. Sie gelten als treue Helfer und dürfen darauf hoffen, auf einer Etappe das Go zu erhalten.
Astana: Ungewisse Zielsetzung bei starker Truppe
Ganz so klar wie bei anderen Teams ist die Zielsetzung in der Mannschaft Astana in diesem Jahr nicht. Zwar dürfen wir damit rechnen, dass sich Miguel Angel Lopez auf die Gesamtwertung konzentriert, doch was passiert, wenn er dort recht früh den Anschluss verliert? Zuletzt hat sich der Kolumbianer nämlich weniger stark präsentiert. Für ihn könnten höchstens die Brüder Gorka und Ion Izagirre in die Bresche springen. Aber auch er hat bei einer Grand Tour noch nie das ganz große Ergebnis im Gesamtklassement eingefahren. Das weiß natürlich auch die Teamleitung, weshalb wir das Team Astana – eigentlich wie gewohnt – äußerst offensiv erwarten. Omar Fraile zum Beispiel wird in den Bergen gewiss einige Male zur Ausreißergruppe gehören. Luis Leon Sanchez und Alexey Lutsenko werden sich eher wellige Teilstücke aussuchen und dort dann ordentlich auf die Tube drücken. Diese drei sind wie gemacht für einen Etappensieg als Solist, können aber auch ihre Leader im Kampf um die Top 10 in den Bergen unterstützen. Hugo Houle und Harold Tejada komplettieren das Astana-Aufgebot bei der Tour de France 2020. Sie werden als typische Wasserträger eine eher defensive Rolle einnehmen.
Bahrain – McLaren: Viel Erfahrung, wenig Ertrag?
Mit einer äußerst erfahrenen Truppe tritt Bahrain – McLaren in Nizza an. 7 Fahrer sind 29 oder älter. Lediglich Matej Mohoric drückt das Durchschnittsalter etwas nach unten. Der Slowene ist zugleich ein heißes Eisen für einen Etappensieg. Zusammen mit dem Österreicher Marco Haller wird er aber auch die Aufgabe haben, Sonny Colbrelli in Massensprints in Position zu fahren. Wird es bergig, betreten Wouter Poels und Mikel Landa die Bühne. Früher Helfer, wollen sie jetzt endlich selbst Erfolge einfahren. Sie werden so lange auf Gesamtwertung fahren, wie eine Chance auf eine Top-Platzierung besteht. Schwindet die Hoffnung, ist ein Switch auf Etappensiege oder das Bergtrikot vorstellbar. Ebenfalls für eine Fluchtgruppe in den Bergen in Frage kommt der Rest der Truppe. Pello Bilbao, Damiano Caruso und Rafael Valls sind für eine lange Flucht in den Bergen einer Grand Tour wie gemacht.
EF: Etappenjagd oder Blick aufs Gesamtklassement
Nicht nur wegen ihrer Trikots wird das Team EF auch in diesem Jahr für einen interessanten Farbtupfer sorgen. Die Mannschaft beeindruckt seit jeher durch einen unkonventionellen und fast schon revolutionären Fahrstil. Immer aktiv, immer offensiv versucht EF jedem Fahrer im Team eine Chance zu bieten. Das werden wir auch bei der Tour de France 2020 zu sehen bekommen. Auch wenn die Equipe mit Rigoberto Uran und Daniel Martinez zwei Klassementfahrer nominiert hat. Hugh Carthy, Neilson Powless, Sergio Higuita und Tejay van Garderen sind bekannt als starke Kletterer und werden ihre Kapitäne im Hochgebirge so weit wie möglich begleiten. Natürlich werden wir sie aber auch in Fluchtgruppen zu sehen bekommen, wo sie eine realistische Chance auf Etappensiege haben dürften. Alberto Bettiol und Jens Keukeleire fühlen sich eher in der Ebene oder auf leicht welligem Terrain wohl. Die beiden Klassikerjäger sind sprintstark, dürfen aber nur mit wenigen Begleitern auf der Zielgeraden ankommen.
Movistar: Mas, Soler oder doch noch einmal Valverde?
Im vergangenen Jahr hat das Team Movistar bei der Tour de France einige taktische Fehler begangen. Mit Nairo Quintana, Alejandro Valverde und Mikel Landa setzte man auf drei Kapitäne, statt sich auf einen festzulegen. Danach kam es zu einem großen Umbruch. Doch auch in diesem Jahr scheinen wir uns auf eine Dreierspitze einstellen zu können. Denn neben Altmeister Alejandro Valverde melden auch Enric Mas und Marc Soler Ansprüche an. Zuletzt war der Ex-Weltmeister einfach nicht mehr stark genug. Wie wir Movistar kennen, wird man sich aber sehr lange eben nicht auf einen Fahrer festlegen – und damit vielleicht erneut alle Chancen verspielen. Eine untergeordnete Rolle spielt der Rest der Mannschaft. Dennoch werden wir sie nicht nur als Helfer sehen, sondern auch in diversen Fluchtgruppen. Während Imanol Erviti und Joaquin Rojas in der Ebene eher Zuhause sind, dürfen sich Dario Cataldo, Nelson Oliveira und Carlos Verona im Gebirge zeigen.