Nix mehr mit Bike testen und Party am Bodensee-Ufer! Die große europäische Bike-Messe zieht nach Frankfurt. Das ist erst mal hart. Der Corona-bedingte Ausfall der Eurobike 2020 trägt sicher dazu bei, aber ich habe noch nie erlebt, dass sich in meinem Umfeld die Kollegen und Partner so auf eine Messe gefreut haben wie auf die letzte Eurobike 2021 in Friedrichshafen. Die Eurobike war lange Zeit für viele wie ein Festival. Auf jeden Fall aber war die Messe in seinen besten Zeiten, Ende der Nuller- und Anfang der Zehnerjahre das größte „Testival“ der Welt.
„Eurobike? Da fällt mir ein: Camping statt Hotel, die kleine Feier am Feuer, das Gefühl von Gemeinsamkeit mit anderen, die für das Fahrrad brennen!“ (Hans Dorsch, freier Journalist)
Vielleicht ist das auch der größte Unterschied zur Konkurrenzveranstaltung der Anfangstage: Die jahrzehntelang größte deutsche Zweiradmesse IMFA war eine reine Business-Veranstaltung. Händler kamen nach Köln, um die Räder für die nächste Saison auszugucken und zu bestellen.
So eine Messe ist immer vor allem Geschäft, aber dort fühlte es sich auch so an. Doch ohne die Traditionsmesse IFMA wäre die Eurobike wohl gar nicht denkbar. Für die sich damals gerade formierende Mountainbike-Gemeinde, und das waren auch viele Händler und die oft noch kleinen Hersteller, die das Biken gerade als neuen Lifestyle entdeckten, war die IFMA so spannend wie ein langer Abend beim Briefmarkenverein. Nicht das Richtige für die Outdoor-Spezis, weder inhaltlich noch atmosphärisch.
Also ging man in die Offensive: Die Messe von unten, so fing das damals an mit der Eurobike. Friedrichshafen war ein guter Ort für die südlichen europäischen Länder, die den Radsport schon für sich entdeckt hatten. Schon beim ersten Versuch 1991 kamen 44.000 Besucher an den Bodensee. Nach wenigen Jahren wurde klar, dass die Messe zum echten Widersacher für Köln werden sollte. Dort musste man lernen: „Die wollen ja doch nicht nur im Matsch spielen“, auch wenn Händler und Privatbesucher die praktischen Möglichkeiten, Räder zu testen, toll fanden. Bald konnten sie dort auch andere als Mountainbikes fahren.
„Legendär die Eurobike-Party von 2018! Aber legendär war auch, dass wir hier auf dem Stand im Freigelände mit den Füßen im Wasser standen, wenn es geregnet hatte. Weil genau hier eine dann überschwemmte Wasserrinne läuft … “ (Anonymer Mitarbeiter am Stand von Motorenhersteller Brose)
„Wir haben uns auf der Eurobike-Party vor zehn Jahren kennengelernt, was sollen wir da wohl für spontane Erinnerungen haben … ?“ (Lachendes Besucher-Paar bei der Mittagspause am Messe-Freitag)
„Wenn man die ganze Woche gearbeitet hatte und das ganze Team zusammen einfach wirklich so durch war … Und wie dann der Druck bei allen beim gemeinsamen Feiern auf der Eurobike-Party abgefallen ist – das war einfach sagenhaft!“ (Marcel Spork, Leiter After Sales Schutzblech-Hersteller SKS).
Ich selbst war 1998 erstmals auf der Eurobike, noch auf dem alten Messegelände. Locker war das da. Viel lockerer als meine erste IFMA vorher. Wenn überhaupt, fuhren in Köln Männer mit Sakko und Schlips eine einzelne Runde in einer mit Warnhütchen abgesteckten Bahn in der dunklen Messehalle. Das sah hier ganz anders aus.
Aber in der Branche wurde es unruhig: „Zwei große Messen sind zu viel, zu zeitaufwendig, zu teuer!“ Tatsächlich entschieden auch die Aussteller durch ihr fernbleiben von Köln darüber, welche Messe Bestand hat. Schließlich musste sich die IFMA, trotz der Macht des Messestandorts Köln, geschlagen geben.
In den Zehnerjahren – die IFMA war nach 2008 Geschichte, kam die Eurobike maximal auf satte 1.400 Aussteller, etwa 2.000 Journalisten waren akkreditiert. Ganz schön groß – zeitweise die größte Fahrradmesse der Welt.
„Schade, dass die „Klassenfahrt zum Bodensee“ nicht mehr sein wird. Wie in einer Schulklasse fühlten wir uns oft, wenn wir mit dem Team in Friedrichshafen waren. Man kriegt sich gegenseitig nochmal ganz anders mit. Schon weil wir früher eine Woche auf einige wenige Schlafsäle verteilt waren.“ (Paul Hollants, Geschäftsführer HP Velotechnik).
„Was fällt euch spontan zu den 29 Ausgaben der Eurobike in Friedrichshafen ein?“ haben wir Besucher und Aussteller gefragt. Mir selbst fällt zum Beispiel ein absolut verregneter Eurobike-Demo-Day ein, als das Testen noch im österreichischen Argenbühl stattfand. Es goss den ganzen Tag. Autos und Zelte versanken im Feld. Aber sich mit hunderten Gleichgesinnten auf Stollenreifen durch den Matsch zu robben, hat niemals mehr so viel Spaß gemacht wie damals. Stimmt die Atmosphäre, stimmt das Erlebnis.
„Eigentlich habe ich hier nie etwas anderes gemacht, als Test fahren. So viele Räder wie möglich. Ich hab nicht mitgezählt, wie viele. Runter vom Rad, ’nauf aufs nächste. Einmal hab ich dabei sogar das Essen vergessen. Den Hungerast hätten Sie sehen sollen!“ (Ein etwa 50-jähriger Besucher auf dem Test-Parcours)
Eurobike zieht nach Frankfurt
Der Eurobike-Messestandort Friedrichshafen ist ab sofort Geschichte. Juli 2022 geht’s, so Corona will, nach Frankfurt. Wie das wird und was da alles möglich ist, werden wir sehen. Grundsätzlich wird der schon eingeschlagene Weg hin zu mehr Urban und New Mobility ausgebaut werden. Das heißt sicher nicht, dass die Eurobike dort langweiliger werden wird. Aber anders.
„Ich komme aus München, aber ich werde auf jeden Fall auch auf die Frankfurter Eurobike fahren, wenn man sich da auch so entspannt übers E-Bike austauschen kann.“ (Die 59-jährige Petra, die im Jahr 9000 Kilometer per E-Bike fährt)
Die Messe wird vielleicht wieder bunter und breiter werden. Ob es für die Mountainbike-Freunde sogar so attraktiv wird wie in den Anfangsjahren, wird sich zeigen. Das steht und fällt sicher auch mit den örtlichen Möglichkeiten. Nach dem Umzug wird die Messe sicher auch dazu beitragen, dass das Fahrrad den Platz in der öffentlichen Wahrnehmung bekommt, den es eigentlich jetzt schon verdient und haben sollte.
Gerade in der Corona-Zeit hat sich gezeigt, wie viel an Mobilität das Bike im Alltag transportieren kann. Das Fahrrad als das neue echte Verkehrsmittel, das wird auch in Frankfurt ein ganz großes Thema werden. Und schließlich ist das Bike und E-Bike heute mindestens so lifestylig wie zu Anfang der Eurobike.
„Ich glaube, dass wir in Frankfurt ein wichtiges Teil des Messekonzeptes sein können. Dort wird die Eurobike noch urbaner werden, und da sind wir ganz in unserm Metier.“ (Angelina Wiedholm, Hopper Mobililty).
Wen man auch fragt: Fast alle trauern der Eurobike am Schwäbischen Meer nach, so sehr, dass man vergisst, dass man hier mit Termin, Infrastruktur oder anderen Punkten auch nicht immer glücklich war. Aber fast alle sagen auch: Sie wird sich in Frankfurt weiterentwickeln und wir freuen uns darauf. Und vielen kommt der neue Standort auch wegen der kürzeren Anreise deutlich entgegen. Frankfurt liegt nun mal etwa in der Mitte Deutschlands.
„Ich sehe riesiges Potenzial, dass die Messe in Frankfurt zu alter Stärke zurückkommt. Und glaube, dass wir uns da sehr sehr wohlfühlen.“ (Andreas Geiger, Verkaufsleiter beim Lastenrad-Hersteller Urban Arrow).
Klaus Wellmann, Chef der Messe Friedrichshafen hat es in der diesjährigen Vorab-Pressekonferenz sehr plastisch ausgedrückt: „Die Eurobike ist erwachsen geworden und geht jetzt zum Studieren nach Frankfurt.“ Ich fand ehrlich gesagt schon das Pubertätsstadion ganz spannend, bin aber auch gespannt, wie das Studentenleben der Eurobike aussehen wird und freue mich drauf – bei aller momentanen Wehmut.