Radsport: Am Freitag startet in Dänemark die 109. Ausgabe der Tour de France. In unserem dritten und zugleich letzten Teil der Teamvorstellung blicken wir auf die Teams, die weder einen Top-Sprinter, noch einen Top-Klassementfahrer nominiert haben. Welche Ziele verfolgen sie? Wir geben eine Prognose ab.
Bahrain – Victorious
Mit Damiano Caruso aus Italien und Jack Haig aus Australien schickt Bahrain – Victorious eine Doppelspitze zur Tour de France 2022. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, die Top 10 in der Gesamtwertung zu erreichen – und mit etwas Glück sogar mehr. Während Caruso im vergangenen Jahr Zweiter beim Giro d’Italia wurde, belegte Haig bei der Vuelta a Espana Rang drei. Nun fokussieren sich beide auf die Tour de France, blicken aber bislang auf keine sehr gute Saison zurück. So wird das Team nicht nur auf diese beiden vertrauen, sondern die Last auf mehrere Schulter verteilen. Mit Matej Mohoric aus Slowenien und Dylan Teuns aus Belgien befinden sich zwei Profis im Team, die schon mehrfach bewiesen haben, dass sie auch sehr hart ausgefahrene Rennen für sich entscheiden können. Eher als Helfer eingesetzt werden dürften für diese Top vier der Pole Kamil Gradek, der erfahrene Spanier Luis Leon Sanchez, der Slowene Jan Tratnik und der Brite Fred Wright.
Prognose: Zweifelsohne haben Damiano Caruso und Jack Haig in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie zu den Top-Kletterern gehören. Die Tour de France jedoch ist noch einmal besser besetzt als ein Giro oder eine Vuelta. Hinzu kommt, dass beide im Zeitfahren eher ihre Schwächen haben und dort auch 2022 wertvolle Sekunden oder gar minuten verloren werden können. Die Top 10 sind sicher drin, viel mehr aber vermutlich nicht. Daher sollte sich Bahrain – Victorious parallel um die Etappenjagd bemühen.
Astana
Ohne richtigen Kapitän für die Gesamtwertung wird das Team Astana in die Tour de France 2022 starten. Alexey Lutsenko wurde im vergangenen Jahr überraschend Siebter, fährt in dieser Saison seiner guten Form aber seit seinem Auftaktsieg nur noch hinterher. Unterstützt wird der Kasache in den Bergen vom US-Amerikaner Joe Dombrowski. Aber auch er fährt ein schwaches Jahr, belegte 2022 noch nicht einen Platz unter den Top 10. Der dritte namhafte Profi im Aufgebot ist Gianni Moscon. Die beste Platzierung des Italieners in dieser Saison? Rang 20. So wird dem Team Astana nichts anderes übrig bleiben, als völlig vogelwild auf Etappenjagd zu gehen. Den Italienern Samuele Battistella, Fabio Felline und Simone Velasco gelang bei einer Grand Tour bislang aber ebenso wenig ein Tageserfolg, wie den Kasachen Andrey Zeits und Dmitriy Gruzdev. Es stellt sich also ernsthaft die Frage, was sich die Teamleitung von dieser Truppe erhofft.
Prognose: Es erstaunt sehr, dass ein so großes Team wie Astana eine 2022 so erfolglose Truppe zur Tour de France schickt. Wachsen Alexey Lutsenko und Gianni Moscon nicht über sich hinaus, könnte diese Frankreich-Rundfahrt für Astana zum absoluten Fiasko werden. Um das zu verhindern, müssen sie eigentlich auf jeder Etappe in die Gruppe gehen und hoffen, dass sie irgendwie durchkommen.
Arkea – Samsic
Im Team Arkea – Samsic stellt sich auch bei der Tour de France 2022 die Frage: Bergwertung oder Gesamtwertung? Mit dem Kolumbianer Nairo Quintana und dem Franzosen Warren Barguil verfügt man über zwei sehr starke Kletterer, die in ihrer Vergangenheit auch bei großen Landesrundfahrten um Top-Platzierungen fahren konnten. Da ihre besten Zeiten aber vorbei sind, bietet sich die Etappenjagd samt Bergtrikot vielleicht mehr an. Während diese beiden und der Franzose Maxime Bouet eine lange Flucht im Hochgebirge wagen könnten, haben der Franzose Matis Louvel, der Pole Lukasz Owsian und der Brite Connor Swift ihre Stärken eigentlich eher bei Eintagesrennen. Vor allem der zuletzt genannte dürfte sich auf die harten Windetappen und auf das Kopfsteinpflaster freuen. Hat er doch bei Tro-Bro Léon nun schon mehrfach bewiesen, dass er unangenehme Straßen und Wetterbedingungen durchaus gut leiden kann. Komplettiert wird das Aufgebot durch den Franzosen Hugo Hofstetter und den Belgier Amaury Capiot. Beide verstehen sich eher als Sprinter, womit sie das 8-Mann-Team von Arkea – Samsic sehr flexibel aussehen lassen.
Prognose: Für eine Mannschaft, die nicht zur WorldTour zählt, ist Arkea – Samsic wirklich bärenstark besetzt. In den Bergen kann man ebenso um Etappensiege fahren, wie auf hügeligem Terrain, in der Ebene und auf den Klassiker-Etappen. Allerdings muss dafür immer eine lange Flucht eingeplant werden. Denn wartet man bis zum Finale, ist die Konkurrenz besser. Wir werden also eine sehr aktives und offensives Arkea – Samsic zu sehen bekommen.
Israel – Premier Tech
Jakob Fuglsang aus Dänemark und Michael Woods aus Kanada führen das älteste Team der Tour de France 2022 an: Israel – Premier Tech. Der 37-Jährige und der 35-Jährige können auf eine sehr erfolgreiche Karriere zurückblicken. Der Zenit jedoch wurde längst überschritten. Gleiches gilt für – man glaubt es kaum – Edelhelfer Chris Froome. Der 37-jährige Brite wird ganz offiziell nur als Helfer mitgenommen, weil man endlich erkannt hat, dass er selbst nicht mehr für Erfolge wird sorgen können. Auch der Australier Simon Clarke – übrigens 35 Jahre alt – hat in den Bergen seine Stärken, hatte aber auch schon lange keinen Grund mehr zu jubeln. Der 31-jährige Kanadier Hugo Houle war noch nie ein Siegfahrer, fährt aber bereits seine siebte Grand Tour und weiß genau, was er da tut. Als treuer Helfer wird er seine Kollegen sicher unterstützen können, ohne aber selbst für Resultate zu sorgen. Immerhin Daryl Impey – der 37-jährige Südafrikaner – weiß noch, wie man gewinnt. Bei der Tour de Suisse gewann er vor wenigen Wochen ein Teilstück, was ihm auch durchaus bei der Tour de France noch einmal zuzutrauen wäre. Deutlich verjüngen können das Team der Lette Krists Neilands und der Israeli Omer Goldstein, ohne aber wirklich die Qualität in der Mannschaft zu heben.
Prognose: Zugegeben: Die Namen in der Mannschaft Israel – Premier Tech lesen sich gut. Damit diese aber für Erfolge bei einer Tour de France sorgen können, müsste man zehn Jahre zurück drehen. Auch in dieser Saison fragt man sich, was sich die Teamleitung von dieser Kader-Zusammenstellung eigentlich erhofft hat. Aber vielleicht belehren uns die alten Hasen in den kommenden drei Wochen eines Besseren.
Trek – Segafredo
Mit acht Mann voll auf Etappenjagd gehen wird Trek – Segafredo auch bei der Tour de France 2022. Zwar wissen wir nicht, ob sich Giulio Ciccone Hoffnungen fürs Gesamtklassement macht, aber der Italiener hat ja bereits den Giro d’Italia in den Beinen. Er hat seine Stärken ebenso als Etappenjäger in den Bergen, wie der Niederländer Bauke Mollema. Ist es hügelig, aber befinden wir uns noch nicht ganz im Hochgebirge, schlägt die Stunde von US-Amerikaner Quinn Simmons und dem Letten Toms Skujins. Auch der Däne Mads Pedersen und der Belgier Jasper Stuyven mögen es durchaus etwas härter und nicht ganz so flach, doch sie werden ihre Erfolge wohl in den Sprints versuchen einzufahren. Komplettiert wird das Aufgebot vom Franzosen Tony Gallopin und dem Luxemburger Alex Kirsch, die ihren Kollegen wohl hauptsächlich zuarbeiten werden.
Prognose: Trek – Segafredo schickt eine sehr starke Truppe nach Frankreich bzw. Dänemark. Eigentlich können wir an keinem Tag – außer vielleicht an den Zeitfahren – einen Etappensieg dieser Mannschaft ausschließen. Für jedes Terrain haben sie jemanden dabei. Wir dürfen also eine sehr aktive und aggressive Fahrweise erwarten – und mindestens eine erfolgreiche Flucht.
B&B Hotels – KTM
Wie schon in den vergangenen Jahren erhielt das Team B&B Hotels – KTM auch für die Tour de France 2022 eine Wildcard. Mit einem Etappensieg hat es bislang noch nicht geklappt. Pierre Rolland allerdings war vor zwei Jahren knapp dran. Der 35-jährige Franzose wird es auch diesmal wieder versuchen und parallel dazu vielleicht sogar aufs Bergtrikot schielen. Star der Mannschaft ist aber längst ein anderer. Der 27-jährige Franck Bonnamour wartet zwar noch immer auf seinen ersten Profi-Sieg, im vergangenen Jahr hat er sich bei der Tour de France aber in ausgezeichneter Verfassung präsentiert. Er war mehrfach in Ausreißergruppen mit dabei und wurde am Ende 22. in der Gesamtwertung. Auch dem Österreicher Sebastian Schönberger wäre eine lange Flucht zuzutrauen. Zuletzt hat er seine Qualitäten beim Critérium du Dauphiné aufblitzen lassen. Einer der immer gerne die Flucht nach vorn sucht, ist der Franzose Alexis Gougeard. Der 29-Jährige hat schon einige Siege auf seinem Konto, unter anderem gewann er ein Teilstück bei der Vuelta a Espana. Eher flach mögen es die Franzosen Cyril Barthe, Jeremy Lecroq, Cyril Lemoine und der Italiener Luca Mozzato. Da sie in einem Sprint Royal gegen diese Top-Konkurrenz aber trotzdem chancenlos wären, werden auch sie ihr Heil in der Offensive suchen. Von Tag eins an werden wir die grünen Trikots also in den Fluchtgruppen finden.
Prognose: Es dürfte schwer werden für die Mannschaft B&B Hotels – KTM, endlich den erhofften Etappensieg bei der Tour de France einzufahren. Versuchen werden es die Männer in grün aber trotzdem jeden Tag. Und allein deshalb schon lohnt sich die Wildcard-Vergabe an dieses Team. Gespannt sind wir auf den Österreicher Sebastian Schönberger, der mit etwas Glück und der richtigen Gruppen-Zusammensetzung für einen großen Erfolg sorgen könnte.
EF Education – EasyPost
Ein echter Hingucker – und das ist nicht nur auf das Trikot-Design bezogen – wird auch bei der Tour de France 2022 wieder die Mannschaft EF Education – EasyPost sein. Mit Rigoberto Uran könnte man auf ein gutes Ergebnis in der Gesamtwertung fahren. Neilson Powless und Ruben Guerreiro sind ebenfalls erstklassige Bergfahrer. Sie würden aber wohl eher auf Etappensiege und das Bergtrikot schielen. Stefan Bissegger würde bei den Zeitfahren vorn mitfahren. Alberto Bettiol und Magnus Cort wären ebenso wie Jonas Rutsch und Owain Doull für die Klassiker-Etappen Kandidaten.
Prognose: EF Education – EasyPost wird offensiv fahren und nicht selten in Fluchtgruppen zu finden sein. Vermutlich wird Ruben Guerreiro das Bergtrikot anpeilen und Rigoberto Uran auf die Gesamtwertung fahren. Ansonsten liegt der Fokus darauf, Spaß zu machen und mit einer Flucht erfolgreich zu sein. Besonders gespannt sind wir auf die zweite Tour de France von Jonas Rutsch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Deutsche bei seiner Fahrweise einen großen Erfolg einfahren wird.