Radsport: Am Samstag beginnt der 106. Giro d’Italia. Wieder werden 22 Teams an den Start gehen, doch nicht alle werden ihre Ziele erreichen. Wir blicken auf alle Mannschaften, jeden Fahrer und analysieren die möglichen Aufgaben und Ziele. Die vierteilige Serie beginnt mit den Teams der Top-Klassementfahrer.
Soudal – Quick-Step
Ziehen wir eine Bilanz der vergangenen 5 oder gar 10 Jahre, thront ein Team im Straßenradsport ganz oben: Quick-Step! Nicht immer mit dem gleichen Namen unterwegs, aber mit der gleichen Teamleitung. Patrick Lefevere hat seine Mannschaft stets im Griff. Aber in dieser Saison will es nicht ganz so gut laufen wie gewohnt. Das mag auch daran liegen, dass der Fokus deutlich verschoben wurde. Immer mehr weg vom reinen Klassikerteam, hin zu einer Mannschaft für Rundfahrten. Grund dafür ist ein Mann: Remco Evenepoel. Der Belgier gewann im Vorjahr die Vuelta a Espana und gilt in diesem Jahr als Favorit des Giro d’Italia. Doch einige Kritiker zweifeln daran, dass er im Hochgebirge eine starke Mannschaft an seiner Seite haben wird. Am ehesten können diese Arbeit der Italiener Mattia Cattaneo, der Tscheche Jan Hirt und der Belgier Pieter Serry verrichten. Aber es stimmt: Ein überragendes Bergfahrer-Team sieht anders aus. Mit Davide Ballerini aus Italien hat man sogar jemanden mit dabei, der bei einem Sprint erfolgreich sein könnte. Der starke tschechische Zeitfahrer Josef Cerny und der Belgier Louis Vervaeke können als Allrounder bezeichnet werden. Und ganz spannend ist die Personalie Ilan van Wilder. Der Belgier ist stark, wenn das Terrain hügelig wird und er ist sogar so explosiv, dass er aus größeren Gruppen heraus Etappen gewinnen könnte. Trotzdem wird sich beim Wolfpack – wie die Fans die Mannschaft nennen – alles um Remco Evenepoel drehen. Sein Erfolg ist der Erfolg des Teams.
Jumbo – Visma
Als dreifacher Sieger der Vuelta a Espana zählt auch Primoz Roglic zu den ganz großen Favoriten des diesjährigen Giro d’Italia. Der slowenische Ex-Skispringer hätte eigentlich eine brutal starke Mannschaft an seiner Seite gehabt. Doch auf Grund von Corona-Infektionen mussten Robert Gesink und Tobias Foss ihren Start in Italien kurzfristig absagen. Für sie springen mit Rohan Dennis und Jos van Emden aber auch keine Amateure ein. Während der Niederländer eher in der Ebene für Unterstützung sorgt, ist der Australier eine echte Hilfe im Hochgebirge. Gleiches gilt für den Niederländer Koen Bouwman und vor allem für den US-Amerikaner Sepp Kuss. Er darf als echter Edelhelfer bezeichnet werden, weil er selbst wohl das Zeug dazu hätte in die Top fünf einer Grand Tour vorzustoßen. Auch Jan Tratnik aus Tschechien ist nicht zu unterschätzen. Zuletzt überzeugte er auch in den Bergen mit starken Leistungen. Der Italiener Edoardo Affini gilt als starker Zeitfahrer. Er wird versuchen im Kampf gegen die Uhr eine Etappe zu gewinnen, ansonsten aber in der Ebene voll und ganz für seinen Kapitän Primoz Roglic da sein. Ebenso Michel Heßmann. Der Deutsche fährt seine erste Grand Tour, wird Erfahrung sammeln und den Slowenen so gut es geht unterstützen.
Ineos Grenadiers
Das wohl stärkste Team in den Bergen wird Ineos Grenadiers sein. Um den britischen Kapitän Geraint Thomas – immerhin Dritter der Tour de France des Vorjahres – scharen sich gleich zahlreiche Top-Kletterer. Zunächst ist hierbei wohl Tao Geoghegan Hart zu nennen. Der Brite gewann zuletzt die Tour of the Alps. Beim Giro d’Italia sicherte er sich selbst 2020 den Gesamtsieg. Der Franzose Pavel Sivakov hätte ebenfalls das Zeug für die Top fünf einer Grand Tour, ist in der Rangordnung des Teams aber wohl nur die Nummer drei. Und der Niederländer Thyman Arensman wurde im Vorjahr Sechster der Vuelta a Espana. Auch er zählt zu den besten Kletterern der Welt und wird Geraint Thomas tatkräftig unterstützen. Komplettiert wird das Bergfahrer-Aufgebot vom Belgier Laurens De Plus. Damit ist Ineos Grenadiers im Hochgebirge so stark, dass man gleich mehrere Karten spielen könnte und sich in bestimmten Situationen gar nicht unbedingt auf einen Kapitän festlegen müsste. Aber auch in der Ebene weiß Ineos Grenadiers zu glänzen. Mit dem Italiener Filippo Ganna hat man nämlich den wohl stärksten Zeitfahrer der Welt in den eigenen Reihen. Kommt es zu einem Massensprint, könnte Ben Swift aus Großbritannien sein Glück versuchen. Unterstützt wird er dabei vom Italiener Salvatore Puccio. Das Hauptaugenmerk des Teams liegt jedoch auf den Bergen und dem Gesamtklassement.
Bora – hansgrohe
Mit einem spannenden Projekt wird die deutsche Mannschaft Bora – hansgrohe den Giro d’Italia 2023 in Angriff nehmen. Denn Titelverteidiger Jai Hindley bestreitet in diesem Jahr die Tour de France und wird dementsprechend nicht in Italien am Start stehen. Mit dem Russen Aleksandr Vlasov möchte man nun versuchen, zumindest das Podium erneut zu erreichen. Da er jedoch zuletzt immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, scheint dieses Vorhaben auf wackeligen Beinen zu stehen. Umso wichtiger ist es, dass der Raublinger Rennstall auf einen Co-Kapitän bauen kann. Lennard Kämna wird erstmals in seiner Karriere bei einer Grand Tour versuchen auf die Gesamtwertung zu schauen. Dass der Deutsche das Zeug dazu hat, bewies er zuletzt bei der Tour of the Alps und Tirreno – Adriatico. Statt Etappenjagd heißt es nun also in erster Linie Kräfte schonen. Im Hochgebirge werden Vlasov und Kämna weitestgehend vom Österreicher Patrick Konrad unterstützt. Aber auch der Luxemburger Bob Jungels, die Deutschen Anton Palzer und Nico Denz, sowie die Italiener Cesare Benedetti und Giovanni Aleotti haben ihre Stärken, wenn die Straßen zumindest leicht ansteigen. Insgesamt setzt man bei Bora – hansgrohe auf eine harmonische, ausgeglichene Truppe, die jederzeit den Fokus vom Gesamtklassement auf die Etappenjagd switchen könnte.
UAE
Völlig unter dem Radar fliegt – zumindest beim Giro d’Italia – das UAE Team Emirates. Schauen wir uns das Aufgebot genauer an, erkennen wir aber, dass wir diese Truppe keinesfalls unterschätzen dürfen. Mit Joao Almeida aus Portugal verfügt die Mannschaft über einen Top-Klassementfahrer und mit Pascal Ackermann hat man zudem einen starken Sprinter nominiert. Dem Deutschen hat man mit Ryan Gibbons aus Südafrika immerhin einen Helfer bzw. Anfahrer zur Seite gestellt. Der Rest der Mannschaft wird sich eher in den Bergen zeigen und für Joao Almeida da sein. Bekannt sein dürfte den meisten Fans Brandon McNulty. Der US-Amerikaner war in den vergangenen beiden Jahren einer der wichtigsten Helfer von Tadej Pogacar bei der Tour de France. Die spannendste Personalie des Teams aber ist Jay Vine. Der Australier gewann in diesem Jahr die Tour Down Under. Beim letztjährigen Giro d’Italia gelang ihm der Durchbruch mit zwei Etappensiegen. Er könnte zum wichtigsten Helfer avancieren. Die drei Italiener Diego Ulissi, Davide Formolo und Alessandro Covi komplettieren das Team. Sie bringen vor allem Erfahrung und Streckenkenntnis mit, aber auch starke Beine für die Berge.
Bahrain – Victorious
Wie schon in den vergangenen Jahren wird das Team Bahrain – Victorious auch 2023 eine starke Kletter-Truppe an den Start schicken. Mit dem Italiener Damiano Caruso, dem Kolumbianer Santiago Buitrago, dem Australier Jack Haig und dem Schweizer Gino Mäder verfügt man gleich über vier extrem starke Bergfahrer. Gemeinsam werden sie versuchen so lange wie möglich eine Rolle in der Gesamtwertung zu spielen. Erst spät wird sich herausstellen, wer von ihnen der stärkste sein wird – und für den wird dann in der letzten Woche gefahren. Der Italiener Edoardo Zambanini ist ebenfalls stark, wenn die Straßen ansteigen. Von der Qualität seiner vier Kollegen ist der 22-Jährige aber noch ein gutes Stück entfernt. Das Aufgebot von Bahrain – Victorious komplettieren der Deutsche Jasha Sütterlin und die beiden Italiener Jonathan Milan und Andrea Pasqualon. Die beiden zuletzt genannten Fahrer gelten als gute Sprinter. Vermutlich wird Pasqualon die Massensprints für Milan anziehen – unterstützt von Sütterlin.