Radsport: Wer keinen Top-Sprinter in den eigenen hat und gleichzeitig niemanden, der aufs Podium fahren kann, der muss sich etwas einfallen lassen. Auch beim Giro d’Italia 2023 gibt es einige Teams, die kleine Brötchen backen und in Fluchtgruppen ihr Glück versuchen müssen.
AG2R – Citroën
Die französische Equipe AG2R – Citroën legt ihren Fokus wenig überraschend auf die Tour de France. Trotzdem kann eine schlagkräftige Truppe nach Italien geschickt werden. Mit Aurélien Paret-Peintre können sie sich sogar Hoffnungen auf die Top Ten in der Gesamtwertung machen. Der 27-jährige Franzose wurde immerhin schon 15. bei der Tour de France und fuhr bereits 3x in die ersten Elf bei Paris – Nizza. Damit ihm das beim Giro d’Italia gelingt, muss er sich allerdings im Zeitfahren verbessert haben. Ansonsten wird man bei AG2R – Citroën auf einen Tagessieg hoffen. Dieser kann allerdings nur über eine Fluchtgruppe eingefahren werden. Vielleicht durch die Franzosen Nicolas Prodhomme, Alex Baudin, Mikael Cherel oder Valentin Paret-Peintre. Allesamt haben sie ihre stärken eher auf bergigem Terrain. Gleiches gilt für den Italiener Andrea Vendrame, der 2021 bereits eine Giro-Etappe gewinnen konnte. Auch der US-Amerikaner Larry Warbasse könnte im Hochgebirge einen Erfolg einfahren, so wie 2017 bei der Tour de Suisse. Besonders Gespannt sein dürfen wir auf den Franzosen Paul Lapeira. Der 22-Jährige gewann vor zwei Jahren Il Piccolo Lombardia, also die Lombardei-Rundfahrt der Jugend. Er bestreitet seine erste Grand Tour.
Cofidis
Auch die französische Equipe Cofidis wird beim Giro d’Italia 2023 auf Etappenjagd gehen. Mit Simone Consonni haben sie einen erfahrenen Italiener in den eigenen Reihen, der auf anspruchsvollen Etappen auch aus einem dezimierten Feld heraus einen Sprint gewinnen könnte. In einem flachen Sprint könnten sie neben ihm auch auf Landsmann Davide Cimolai bauen. Er wartet nach zwei zweiten Plätzen 2021 noch auf einen Tageserfolg bei der Italien-Rundfahrt. Die weiteren Fahrer im Aufgebot, rund um den Spanier Jonathan Lastra und die Franzosen Francois Bidard, Thomas Champion, Alexandre Delettre, Remy Rochas und Hugo Toumire, werden ihr Glück in Fluchtgruppen suchen müssen. Ihre stärken liegen auf leicht hügeligem, wenn ich sogar bergigem Terrain. Es muss jedoch einiges zusammenkommen, wenn sie in den kommenden Etappen eine Giro-Etappe gewinnen wollen. Schließlich warten sie alle noch auf ihren ersten Erfolg auf WorldTour-Ebene. Auch hier ist also klar ersichtlich: Der Fokus von Cofidis liegt auf der heimischen Tour de France.
EF Education – EasyPost
Lange hats gedauert, bis das Team EF Education – EasyPost sein Aufgebot für den diesjährigen Giro d’Italia bekannt gegeben hat. Jetzt sehen wir, dass sich die Nominierung wirklich sehen lassen kann. Dank Rigoberto Uran aus Kolumbien und Hugh Carthy aus Großbritannien kann die US-amerikanische Mannschaft direkt mit einer Doppelspitze aufwarten. Uran wurde bereits 2x Zweiter beim Giro und einmal bei der Tour de France. Carthy durfte sich bereits aufs Podium der Vuelta a Espana stellen. Können sie ihr Top-Niveau auch in den kommenden drei Wochen abrufen, sind die Top fünf definitiv möglich. Nicht wenige Experten trauen Ben Healy eine Überraschung zu. Der 22-jährige Ire hat in den vergangenen Monaten die wohl größte Entwicklung aller Profis genommen. Vom Noname-Talent zum absoluten Contender. Ihm liegen jedoch hügelige Abschnitte deutlich mehr als das Hochgebirge. Für Etappensiege immer gut sind der Däne Magnus Cort und der Italiener Alberto Bettiol. Beide mögen flache Etappen, haben jedoch die besten Karten auf leicht hügeligen Streckenverläufen, wenn die reinen Sprinter bereits abgehängt wurden. Komplettiert wird das Aufgebot vom Südafrikaner Stefan De Bod und den beiden Ecuadorianern Jonathan Caicedo und Jefferson Cepeda.
Groupama – FDJ
Im Alter von 32 Jahren wird Thibaut Pinot mit dem diesjährigen Giro d’Italia seine 17. Grand Tour bestreiten. Es ist schon fast tragisch, dass der Franzose keine einzige davon gewinnen konnte. Und auch in dieser Saison – seiner vermutlich letzten – wird es für den ganz großen Erfolg nicht reichen. Dafür hat er in der jüngsten Vergangenheit einfach zu wenig gezeigt. Dennoch dürfen wir ihn nicht unterschätzen. Kann er noch einmal zu alter Stärke zurückfinden, sind die Top fünf auf jeden Fall ein realistisches Ziel. Bei der Tour de Romandie hat er in diesem Jahr ebenso überzeugt, wie bei Tirreno – Adriatico und einigen Eintagesrennen in Frankreich. Doch bei den Zeitfahren wird er seinen Kontrahenten in den meisten Fällen unterlegen sein. Daher braucht Groupama – FDJ Plan B. Und davon haben sie gleich mehrere. Denn falls Pinot nicht auf die Gesamtwertung fahren kann, bleibt ihm immer noch die Jagd auf Etappensiege und Bergpunkte. Ebenfalls auf einen Tagessieg schielt Stefan Küng. Der Schweizer gilt in den beiden ersten Zeitfahren als Mitfavorit. In den Sprints könnte Jake Stewart bei seiner zweiten Grand Tour seinen ersten Tagessieg einfahren. Der Brite ist erst 23 Jahre jung, gilt aber als Top-Talent. Der Niederländer Lars van den Berg, der Litauer Ignatas Konovalovas, der Schweizer Fabian Lienhard, sowie die Franzosen Rudy Molard und Bruno Armirail werden ihre drei Kapitäne unterstützen und selbst immer wieder Freiheiten für einen Sprung in die Gruppe bekommen.
Israel – Premier Tech
Obwohl die Mannschaft Israel – Premier Tech nach der vergangenen Saison aus der WorldTour abgestiegen ist, nimmt sie am Giro d’Italia teil. Und speziell dafür hat man sich einen prominenten Mann geholt: Domenico Pozzovivo! Der mittlerweile 40-jährige Italiener wird seine 24. Grand Tour und seinen 17. Giro d’Italia bestreiten. 7x hat er es in die Top Ten geschafft. Trotz der vielen Zeitfahrkilometer soll er dort auch diesmal landen. Viel Unterstützung darf er von seinen Teamkollegen aber nicht erwarten. Der US-Amerikaner Matthew Riccitello, der Australier Sebastian Berwick und der Italiener Marco Frigo sehen ihre Stärken zwar allesamt in den Bergen, doch mit 21 bzw. 23 Jahren sind sie noch relativ unerfahren und einfach noch nicht auf diesem Niveau Zuhause. Der Kanadier Derek Gee fährt seine erste Grand Tour und wird im Zeitfahren auf eine Top-Platzierung hoffen. Für die Etappenjagd auf hügeligem Terrain und in den Bergen wurden der Brite Stephen Williams, der Däne Mads Würtz-Schmidt und der Australier Simon Clarke nominiert. Alle drei haben den Vorteil, dass sie auch ziemlich endschnell sind und dementsprechend aus einer Ausreißergruppe heraus immer ernstzunehmen sind.