Radsport: Mit Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar scheinen zwei Fahrer schon fast sicher auf dem Podium der Tour de France zu stehen – obwohl diese noch gar nicht begonnen hat. Oft vergessen werden die Herausforderer der beiden Topfavoriten. Daher blicken wir heute auf all diejenigen, die bei der Tour de France 2023 überraschen könnten – oder zumindest den letzten Platz auf dem Treppchen in Paris wollen.
Ein erbitterter Kampf ums Podium
Bei der Tour de France 2023 erwarten alle ein Duell zwischen Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) und Tadej Pogacar (UAE). Was aber ist, wenn sowohl der Däne, als auch der Slowene nicht an die erwarteten Leistungen anknüpfen können? Welcher Fahrer könnte dann plötzlich in die Favoritenrolle rutschen? Selbst wenn die beiden Topfavoriten alles abrufen, ist noch ein Platz auf dem Podium in Paris frei. Darum kämpfen zahlreiche Fahrer. Als Sieger des Giro d’Italia 2022 ist allen voran Jai Hindley (Bora – hansgrohe) zu nennen. Aber auch der Spanier Enric Mas (Movistar), der Franzose David Gaudu (Groupama – FDJ), der Brite Simon Yates (Jayco – AlUla) und der Ecuadorianer Richard Carapaz (EF Education – EasyPost) sollten nicht unterschätzt werden.
Jai Hindley (Bora – hansgrohe)
Kaum zu glauben, aber Jai Hindley fährt 2023 zum ersten Mal in seinem Leben eine Tour de France. Der Australier stand bereits 4x beim Giro d’Italia am Start und 2x bei der Vuelta a Espana. Besonders in Italien war er erfolgreich, als er 2020 Gesamtzweiter wurde und zwei Jahre später den Titel gewann. In dieser Saison verzichtete er auf einen Start beim Giro, weil er erstmals in seiner Karriere bei der Tour de France sein Glück versuchen möchte. Er genießt das Vertrauen seiner Mannschaft und kann auf eine schlagkräftige Truppe bauen. Fraglich nur, ob er selbst das Zeug und vor allem die Form dazu hat, um in den Kampf ums Podium tatsächlich einzugreifen. Denn die Saison 2023 verläuft für ihn bislang nicht wirklich wie geplant. Sowohl bei der Tour Down Under, als auch bei der Volta ao Algarve und Tirreno – Adriatico verpasste er den Sprung unter die ersten zehn. Aber bei der Katalonien-Rundfahrt wurde er Achter und beim Critérium du Dauphiné Vierter. Er ist immer noch weit weg von einem Pogacar oder Vingegaard, hat sich jedoch kontinuierlich gesteigert. Und das trifft nicht nur auf diese Saison zu, sondern auch auf seine Karriere. Die logische Konsequenz wäre nun eine Top-Platzierung bei der Tour de France 2023.
David Gaudu (Groupama – FDJ)
Wer im Vorjahr Gesamtvierter wurde, ist bei Abwesenheit des letztjährigen Gesamtdritten automatisch ein Mitfavorit aufs Podium in Paris. Doch David Gaudu hat mehr zu bieten als das. Der Franzose befindet sich mit seinen 26 Jahren im besten Radsport-Alter. Im Schatten von Thibaut Pinot hat er viel gelernt, ist zu einem wahren Leader gereift. Auch auf ihn trifft zu, dass er sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert hat. Zählen wir alle Wertungen mit rein, fuhr er in dieser Saison satte 18x unter die Top Ten. Nur bei der Generalprobe zur Tour lief es nicht perfekt. Denn beim Critérium du Dauphiné landete er lediglich auf Rang 30. Und auch die Ardennen-Klassiker zuvor konnte er nicht zu Ende fahren. Dennoch vertraut man ihm im Team Groupama – FDJ. Schließlich entschied man sich gegen die Nominierung von Arnaud Démare, um sich voll und ganz auf David Gaudu konzentrieren zu können.
Enric Mas (Movistar)
Auch für Enric Mas lief es beim Critérium du Dauphiné alles andere als nach Plan. Der Spanier wurde nur 17. Die Parallelen zu David Gaudu in der Vorbereitung sind auffallend, denn auch er präsentierte sich zu Beginn der Saison eigentlich gut in Schuss. Bei der Ruta del Sol, Tirreno – Adriatico und der Baskenland-Rundfahrt kam er unter die ersten sechs. Wie beim Franzosen war dann auch beim Spanier aber der Ofen aus, als es über die Ardennen-Klassiker zum Criterium ging. Auch Enric Mas muss hoffen, dass er seine Form bis zum Start der Tour de France wieder findet, denn ansonsten wird auch diese Frankreich-Rundfahrt für ihn ein Desaster. Mit Rang fünf wie im Jahr 2020 darf sich ein Fahrer mit seinen Qualitäten einfach nicht mehr länger zufrieden geben. Bei der heimischen Vuelta a Espana wurde er bereits 3x Gesamtzweiter. Es wird Zeit für den ganz großen Wurf in Frankreich.
Simon Yates (Jayco – AlUla)
Mit 14 Grand Tours in den Beinen ist Simon Yates längst ein alter Hase. Als dennoch erst 30-Jähriger wird er aber auch bei der Tour de France 2023 noch einmal die Chance haben, das wichtigste Radrennen der Welt auf dem Podium zu beenden. Bislang war die Tour jedoch nicht sein Lieblingsrennen – zumindest nicht, wenn er auf Gesamtwertung fuhr. 2017 fuhr er auf Rang sieben das einzige Mal unter die Top Ten. Dafür gewann er ein Jahr später die Vuelta a Espana und 2021 wurde er Gesamtdritter beim Giro d’Italia. Er kann es also noch, wie er auch in dieser Saison schon unter Beweis stellen durfte. Als Zweiter der Tour Down Under und Vierter bei Paris – Nizza blickt er auf einen erfolgreichen Start in die Saison zurück. Magenprobleme stoppten ihn bei seinem Vorbereitungsrennen in der Romandie. Diese dürften ihn bei der Tour de France aber wohl nicht mehr behindern. Vielmehr könnte seine Mannschaft zum Problem werden, denn dort baut man vorwiegend auf Etappensiege. Durchaus möglich, dass Simon Yates also doch wieder auf Etappenjagd geht und er im Gesamtklassement der Tour de France einmal mehr nicht sein ganz großes Glück findet.
Richard Carapaz (EF Education – EasyPost)
Sehr wechselhafte Leistungen zeigt auch Richard Carapaz. Dennoch ist eine Statistik besonders beeindruckend: Seit 2018 beendete der Ecuadorianer immer mindestens eine Grand Tour unter den Top vier. 2021 wurde er bei der Tour de France Gesamtdritter – und das soll es auch in diesem Jahr wieder werden. Aber die Saison 2023 lief für ihn bislang alles andere als perfekt. Mit dem Eintagesrennen Mercan’Tour Classic Alpes-Maritimes konnte er zwar immerhin einen Sieg einfahren, aber ansonsten fuhr Carapaz nur hinterher. Als 51. bei der Katalonien-Rundfahrt, einem DNF im Baskenland und Rang 36 beim Critérium du Dauphiné ist es fast schon verwunderlich, dass er von der Teamleitung für die Tour de France nominiert wurde. Der Neuzugang im Team EF Education – EasyPost wird wohl recht früh merken, ob er auf die Gesamtwertung fahren kann oder doch lieber auf Etappenjagd gehen sollte.