Sehr früh hieß es heute aufzustehen, meine sieben Sachen zu schnappen und zu Fuß zum Transferplatz zu hasten. Im Bus dann provisorisch gefrühstückt und in Conegliano noch einen Espresso genossen, das Rad abgeholt, Gepäck abgegeben und Verpflegung im Mavic Auto verstaut. Um 9:00 Uhr fiel der Startschuss und es ging ganz gemütlich los. Es sind vor allem sehr viele Hobbyfahrer am Start, der Großteil des Feldes ist ähnlich wie bei der La Marmotte eher gemütlich unterwegs und für diese Fahrer stellt ein solches Etappenrennen schon eine unheimliche Herausforderung dar. Deutschsprachige Fahrer waren nur wenige am Start, hauptsächlich sind es Engländer und Franzosen.
Ganz anders an der Spitze des Feldes. Bis auf Nico kannte ich vor der heutigen Etappe niemanden, es gibt ja keine Startliste bei der Haute Route. Jedenfalls ging es über den Passo san Boldo schon richtig zur Sache und auch ich fühlte der Konkurrenz ganz oben mal auf den Zahn. Nach der ebenso technischen Abfahrt nach Tirchiana (die ich vom GF Bellunese letztes Jahr kenne) und der Begrüßung meiner dortigen Freunde Stefano und Paolo vom Straßenrand ging es weiter – stetig bergauf durch das Tal über Sedico – Agordo und Alleghe.
Durch das Tal rollte viel wieder zusammen und bis nach Alleghe waren mindestens 100 Fahrer in der ersten Gruppe. In den ersten Rampen nach Caprile merkte ich schon, dass es super lief für mich und nachdem in den Anstieg vom letztjährigen Fotoshoting in Alta Badia kannte, konnte ich mir meine Kräfte perfekt einteilen. So gab ich mir keine Blöße und fuhr drei scharfe Angriffe, um zu sehen, wer von den mir unbekannten Fahrern wirklich was drauf hatte. Mit zwei Mann am Hinterrad ging es weiter, der Rest war schon deutlich distanziert. Keiner der Beiden wollte in die Führung, und so wartete ich bis nach dem kurzen Flachstück, wo der Passo Giau so richtig los geht, um erneut anzugreifen.
Nachdem oben am Pass die Zeitnehmung endete, gab es nichts zu verlieren und ich fuhr den ersten Kilometer mit dem Messer zwischen den Zähnen. Erst dann platzte der Erste der beiden ab, der andere machte noch einen total relaxten Eindruck, während ich ordentlich zu kämpfen hatte. Ich dachte an den letztjährigen Endura-Alpentraum und legte nochmal einen Gang nach, bis mein zweiter Begleiter auch reißen lassen musste. Von nun an kämpfte ich vor allem gegen mich selbst! Der Abstand wurde kaum größer und mir ging irgendwie das Gas aus. Das Notfallgel kompensierte noch ein wenig, die letzten Kilometer waren aber dann eine richige Schinderei! Schneegraupel setzten ein und entwickelten sich rasch zu einem richtigen Hagelschauer, die Reifen knirschten, wie auf einer Schneefahrbahn.
Ich blickte mich nicht ein einziges Mal um, kämpfte nur noch gegen den Wind, die Kälte und jede Sekunde, die ich für die nächsten Tage als Reserve brauche. Oben war ich komplett leer, konnte kaum bremsen und bekam zum Glück sofort die Jacke aus dem Mavic Auto gereicht, das ab der Flame Rouge hinter mir her gefahren war. In der Abfahrt ging es zum Glück um nichts mehr und kaum war Cortina erreicht, schien wieder die Sonne!
Nach Verpflegung, Massage, Briefing, Siegerehrung und Sauna sitze ich nun am schreiben und bin sehr zufrieden damit, wie es heute gelaufen ist. Lange hat es gedauert, aber der erste Saisonsieg gibt mir einen richtigen Schub nach vorne. Wie ich die nächsten Tage anlegen werde, wird sich wohl morgen gleich am Start entscheiden. Um Chancen auf den Tagessieg in Meran zu haben, müsste ich wohl früh attackieren und die ganze Etappe solo fahren. Mit der Königsetappe mit Bergankunft am Gavia-Pass vielleicht eine recht kräfteraubende Taktik – aber morgen nach dem Rennen wisst ihr mehr.
Ab morgen wird’s dann richtig zäh, täglich um 7:00 Uhr Start, gleich hinauf auf den Falzarego, weiter über Prodoijoch und Karerpass; am Ende die Highspeedabfahrt durchs Eggental, das endlose Flachstück von Bozen bis Meran, wo dann Alexander auf mich wartet.
Liebe Grüße aus Cortina d´Ampezzo, bis morgen!