Privatleben und Zukunft
DR: Nochmal zurück zum Oprah-Interview. Dort hast du behauptet, zwischen 2009 und 2010 nicht gedopt zu haben. Hältst du daran fest?
LA: Absolut.
DR: Verletzt es dich, wenn die Leute sagen ‚Er lügt‘?
LA: Ich bin geduldig diesbezüglich. Es wird die Zeit kommen, in der man Bluttransfusionen zweifelsfrei feststellen kann. Die erste Person, die diesen Test machen wird, ist Lance Armstrong.
Ich habe ’09 und ’10 nicht gedopt. Sobald es diesen Test geben wird, werde ich der erste sein, der seine Proben aus dieser Zeit zu Verfügung stellt. Es muss hunderte davon geben.
Da muss ich einfach geduldig sein und schlussendlich wird meine Ehrlichkeit bewiesen werden.
DR: Wusste Hein Verbruggen von der ganzen Sache und hat es vertuscht?
LA: Er hat mich nie darauf angesprochen. Er kam nie an und hat gefragt: ‚Hey Jungs, was macht ihr da? Schaut interessant aus!‘ So offensichtlich war es nie.
Wusste Hein davon? Er musste davon wissen, was im Radsport abging. Das alles hat in den späten 80ern, frühen 90ern angefangen. Es gab gar keinen Weg daran vorbei, es mitzubekommen.
So wenig fehlerfrei und um ehrlich zu sein, so unsympathisch wie Hein ist, was hätte er denn tun sollen? Klar wusste er davon, aber er konnte bis 2000 oder 2001 rein gar nichts dagegen unternehmen.
Er musste zehn Jahre die Risse im Radsport irgendwie kitten. Er hatte es nicht leicht. Die Leute sehen die Schuld bei ihm und ich werde ihn hier nicht verteidigen, auch weil wir nicht unbedingt die besten Freunde sind, aber ich wüsste nicht, was er hätte tun sollen.
DR: Wie stehst du zu den Leuten, die deinen Abgesang herbeigeführt haben? Die David Walshs, die Andreus oder Greg Lemonds?
LA: Ich habe Verständnis für vieles davon, vielleicht mehr als jeder andere. Wie ich vorhin gesagt habe – egal ob auf persönlicher oder emotionaler Ebene: Ich habe mich darum bemüht, die Wogen zu glätten, habe wirklich mein Bestes getan. Ja, manchmal ist es auch auf finanzieller Ebene. Ich versteh‘ schon.
Es tut mir gut, Bestätigung von gewissen Leuten zu bekommen. Ich freue mich, wenn ich eine SMS von Emma O’Reilly bekomme oder wenn Filipo Simeoni mir eine Mail schickt. Das zeigt mir, dass ich doch etwas richtig gemacht habe. Bei anderen wird es wohl nicht so weit kommen.
DR: Da musst du die Schuld aber durchaus auch bei dir suchen. Nehmen wir beispielsweise Betsy Andreu: Du musstest einiges an Kritik einstecken, dass du dich bezüglich des Geständnisses im Krankenhaus bei Oprah bedeckt gehalten hast. Kannst du heute etwas Licht ins Dunkel bringen?
LA: Ich habe damals Betsy zuerst angerufen. Frankie und sie waren beide zusammen im Auto, also habe ich mehr oder minder mit beiden gesprochen. Mein Verhalten ihr gegenüber, die Art und Weise wie ich sie in Interviews und auch auf persönlicher Ebene behandelt habe waren völlig inakzeptabel und dafür musste ich mich entschuldigen. Würden sich meine Kinder so benehmen … naja.
DR: Was sie aber wollte, mehr als alles andere, war, dass du ihre Aussagen bestätigst.
LA: Stimmt, das verstehe ich auch.
DR: Kannst du das jetzt tun?
LA: Was aber, wenn ich mich nicht daran erinnere? Wenn ich keine Erinnerung an etwas habe, das vor 18 Jahren in einem Krankenhauszimmer, 24 Stunden nach mehreren Gehirnoperationen geschehen ist? Ich kann nichts bestätigen. Das hätte ich bei Oprah sagen sollen.
Betsy gefällt diese Antwort nicht. Aber das kann ich nicht ändern und das ändert auch nichts an der Tatsache, dass ich ein echter Kotzbrocken zu ihr war. Ich habe sie angerufen und ihr gesagt, dass es mir wirklich und aufrichtig leid tut.
Zuerst hat sie meine Entschuldigung akzeptiert, inzwischen hat sie es wieder zurückgenommen. Aber das ist oay. Es tut mir immer noch leid. Ich kann mich nicht ewig entschuldigen. Vielleicht sollten wir das aber tun? Ich weiß es nicht. Mir tat es damals leid und es wird mir immer leid tun.
DR: Du hast vorhin erwähnt, dass du dich auf die Zukunft fokussierst. Welche Ziele hast du? Mal von einem niedrigeren Handicap beim Golf abgesehen?
LA: Ein niedrigeres Handicap klingt verlockend. Ich habe in der Vergangenheit viel Ballast abgeworfen und bin aber damit nicht nicht ganz fertig. Ich freue mich auf eine Zeit, in der keine Anwälte in den Top3 meiner Anruflisten sind. Wenn ich mich voll und ganz darauf konzentrieren kann, wie sich meine Kinder in der Schule schlagen und wie das Wetter morgen so wird. Wenn ich einfach mal wieder einen tollen Tag mit der Familie verbringen kann.
Fast so sehr wünsche ich mir aber, dass ich irgendwann wieder die Möglichkeit bekommen werde, Menschen zu helfen. Doch das wird mir vielleicht für immer verwehrt bleiben. Ich habe es nie an die große Glocke gehängt, das haben andere getan. Im kleineren Rahmen tue ich es heute aber noch immer.
DR: Kannst du trotz all dem, was geschehen ist, noch Leuten helfen und sie inspirieren?
LA: Ja, das sagen sie zumindest. Vielleicht lügen sie auch? Solche Leute gibt es immer noch. Vielleicht sind es weniger als früher, aber das spielt keine Rolle. Ich brauche keine Menschenmassen. Jeder der mich kennt, kann bestätigen, wie gerne ich anderen helfe.
DR: Bei all den Erinnerungen – was war dein persönliches Karrierehighlight?
LA: Puh, schwierig zu sagen. Sieben Jahre, 150 Etappen. Es ist fast lustig, aber ich habe 2003 gehasst. Dieses knappe Duell mit Jan, der Ausritt auf das Feld oder der Sturz in Luz Ardiden. Ich mochte nichts davon. Doch jetzt, im Nachhinein, war das vielleicht das besonderste Jahr.
Es gab natürlich noch andere Momente. Der Sieg beim Prolog 1999, sich das erste Mal das Gelbe Trikot überstreifen, Jan 2001 in Alpe d’Huez geschlagen zu haben, der sechste Toursieg 2004, das Karriereende nach sieben Touren oder Jan 2005 beim Prolog eingeholt zu haben. Es gibt so viele schöne Erinnerungen.
Das ist eben die Sache – es fühlt sich für mich so an, als hätte ich in diesen Jahren gewonnen. Viele Leute denken ich hätte es nicht, sie denken niemand hätte gewonnen, dass die Tour einfach nicht stattgefunden hat. Verstehe ich, ist in Ordnung.
Wenn ich mir aber Gedanken mache, was mich angetrieben hat … diese Trikots hier an der Wand hängen nicht da, weil ich Applaus dafür haben möchte. Nein, nicht deshalb.
DR: Aber stolz bist du darauf doch?
LA: Klar bin ich das und sieben andere hängen in meinem Haus. Aber mein Zuhause ist kein Denkmal für meine Radsportkarriere.
Ich bin Rennen gefahren, weil ich dafür bezahlt wurde und dachte, ich muss diesen Job erledigen. Außerdem gefiel es mir – Ich liebte das Training, die Anspannung vor dem Rennen, es war großartig. Drittens bin ich auch für meine Erinnerungen gefahren. Egal, was man dir gibt oder wegnimmt, die Erinnerungen bleiben immer da, all die Duelle mit meinen Konkurrenten, die Busfahrten mit den Teamkollegen, Abendessen mit der Mannschaft oder intensive Momente mit Johan [Bruyneel] – das kann mir niemand nehmen.
Jedes Jahr war die Tour vorüber und kein einziges Mal dachte ich: ‚Ich kann es kaum erwarten, in 40 Jahren wieder hier am Ziel zu stehen wo die Leute mit dem Finger auf mich zeigen und sagen: Hey, da ist dieser Armstrong-Typ, der hat sieben Mal die Tour gewonnen.‘
Das ist mir nicht wichtig. Ich wollte es damals nicht und auch heute nicht. Die drei Dinge, die mir wichtig waren, habe ich erleidgt. Ich habe meinen Job gemacht, hart gearbeitet und heute noch wertvolle Erinnerungen, die mir niemand nehmen wird.
DR: Die Alternative zum Doping wäre die Heimreise gewesen? Stimmt das? Hättest du nicht woanders Erfolg haben können, in einem sauberen Sport wie beispielsweise im Triathlon?
LA: Klar, vielleicht, eventuell im Triathlon. Ich hätte auch dem Radsport treu bleiben können und mich irgendwo hinten anstellen, aber das entspricht nicht meiner Mentalität. Ich wollte die Tour de France gewinnen. Als ich sie einmal gewonnen hatte, wollte ich sie ein zweites Mal gewinnen und so ging es immer weiter.
DR: Wie sieht denn heute ein schlechter Tag für dich aus?
LA: Wenn ich morgens nicht aus dem Bett komme – Spaß beiseite. Es kommt immer auf die Perspektive an und die ändert sich täglich. Ich hatte schlechte Tage, aber nicht in den letzten zwei oder drei Jahren. Einer dieser Tage war der 2. Oktober 1996: ‚Wir haben schlechte Nachrichten, Sie haben Hodenkrebs im fortgeschrittenen Stadium und vielleicht eine 50%ige Überlebenschance.‘ Das ist ein schlechter Tag. Heute hat es immer eher etwas mit irgendwelchen Rechtsstreitigkeiten, irgendsoeinem Blödsinn zu tun.
DR: Du hast vorhin das Wort „Brutal“ benutzt…
LA: Ja, vielleicht etwas vorschnell. Ich müsste mal die Leute um mich herum fragen. Ich habe meine eigene Sicht der Dinge.
DR: Haben sich deine Freunde Sorgen gemacht?
LA: Das haben sie mit Sicherheit. Ich weiß, dass meine Mutter es tat. Ich sehe sie nicht jeden Tag, nicht einmal jede Woche. Aber ich kenne sie und ich weiß wie sie ist, wie vielleicht alle Eltern in einer solchen Situation sind. Aber ich denke, wir haben uns gut geschlagen.
Richtig Angst hatte ich vor dem Tag, wenn eines meiner älteren Kinder – meine beiden jüngeren haben die Sache noch nicht wirklich mitbekommen – am Boden zerstört zu mir kommen und sagen: ‚Papa, ich hab dies und jenes in der Schule gehört oder im Internet gelesen. Stimmt das?‘ So kam es zum Glück nie und…
DR: Das war einer deiner wenigen sehr emotionalen Momente bei Oprah, als du erzähltest, wie du deinem Sohn gesagt hast, er solle aufhören, dich zu verteidigen…
LA: Stimmt, und das hat er seitdem auch nicht mehr getan.
DR: Bist du denn auf diesen Moment vorbereitet?
LA: Ja, das bin ich – aber noch kam es nicht dazu. Doch das liegt nicht in meiner Macht, sondern ist ein Verdienst der tollen Gemeinschaft hier in Austin, sei es an den Schulen selbst, in den Klassen oder unter den Lehrern. Aber ja, das würde mich ziemlich aus der Bahn werfen.
DR: Wie sehr bereust du dein Comeback 2009?
LA: Sehr.
DR: Weil du erwischst wurdest?
LA: Nein, wobei – es war wie eine Art Brücke in die Vergangenheit. Ohne das Comeback wäre die Vergangenheit auch dort geblieben. Meine Rückkehr hat eine Brücke gebaut.
Es war aber meine Entscheidung und ich muss dafür geradestehen. Es war einer der größten Fehler meines Lebens und ich habe nicht einmal einen guten Grund, weshalb ich es damals getan habe. Ohne das Comeback würden wir jedenfalls nicht hier sitzen und diese Unterhaltung führen.
DR: Lance, das ist aber Wasser auf die Mühlen derer, die sagen, dass du nur bereust, erwischt worden zu sein, nicht deine Taten selbst. Ohne dieses Zugeständnis werden sie dir nicht vergeben. Kannst du das verstehen?
LA: Ja, ich verstehe das und wir haben darüber gesprochen, wie diese Entscheidung in einer großen Gruppe getroffen wurde.
Wenn ich mich in das Jahr 1995 zurück begebe – manche haben früher angefangen, andere später – aber lass uns dort anfangen: Ich denke es tut uns allen leid. Weißt du was uns leid tut? Dass wir in diese Situation gekommen sind. Niemand wollte vor dieser Entscheidung stehen. Wir alle hätten es vorgezogen Mann gegen Mann zu kämpfen, nur Brot und Wasser. So in dieser Art.
Ja, es tut uns leid, dass wir in dieser Sackgasse steckten. Wir waren alle junge Kerle und dachten: ‚Oh Gott, ich muss zurück in die Schule, ich muss mir einen Job suchen, in einem Fahrradladen oder einer Fabrik arbeiten.‘
DR: Was ist denn verkehrt daran? Okay, du hast keine glorreiche Karriere, aber immerhin hättest du so dein Gesicht gewahrt.
LA: Oder vielleicht auch nicht. Ich kenne wenige Leute, denen das gelungen ist.
DR: Manchen ist es aber gelungen. Und das ist das Traurige.
LA: Da hast du recht, es gab diese Ausnahmen. Scott Mercier ist ein tolles Beispiel. Mit ihm bin ich schon davor Rennen gefahren. Er ist einer meiner besten Freunde heute. Scott und ich unterhalten uns viel über diese Dinge. Scott hatte damals aber schon die Uni hinter sich und zuhause wartete auf ihn keine Feldarbeit, sondern die Wall Street.
Ich will mich hier gar nicht rechtfertigen, mich entschuldigen oder mir sagen, dass es mir leid tut. Das tut es nämlich, aber wie bereits erwähnt, eher die Umstände für alle von uns.
Wir saßen alle im selben Boot, aber ich war derjenige, der sich anderen gegenüber wie in Idiot benommen hat. Das ist das, wofür ich mich wirklich entschuldigen muss. Die Art und Weise wie ich andere Leute behandelt habe. Völlig inakzeptabel und unentschuldbar. Ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, um diese Schuld irgendwie aufzuwiegen.
Was wir damals alle getan haben, haben wir getan. Keinem gefiel es, keiner wusste, wo es hinführen würde, aber wir haben uns so entschieden.