Interview: Zwei Jahre fuhr Michel Koch im Team Cannondale an der Seite von Ivan Basso und Peter Sagan. 2015 startet der gebürtige Wuppertaler als Kapitän für das Team Rad-net ROSE. Velomotion sprach exklusiv mit Koch über seine Erfahrungen in der WorldTour und seine Saisonziele 2015.
Michel, Du hast mit 15 Jahren Dein Elternhaus verlassen, um in Cottbus auf ein Sportinternat zu gehen. Erklärtes Berufsziel: Radprofi. Das ist ein außergewöhnlicher Schritt für einen jungen Menschen. Wie bist Du dazu gekommen?
Radsportbegeistert war ich eigentlich schon immer. Ich bin von klein auf Rennen gefahren, und wenn man eine Sache für sich entdeckt hat, dann will man sie auch weiter verfolgen und sich verbessern. Der Traum Radprofi lag da natürlich nahe. Als es später immer schwieriger wurde, Training und Schule unter einen Hut zu bekommen, musste nach einer Lösung gesucht werden. Das Ergebnis war ein Sportinternat.
Was haben Deine Eltern dazu gesagt?
Meine Eltern haben mich seit jeher immer unterstützt. Es ist nicht selbstverständlich, dass man seine Kinder an fast jedem Wochenende im Sommer zum Rennen fährt und auch das Training leitet. Daher wusste ich, dass meine Eltern auch bei dieser Entscheidung voll hinter mir stehen würden. Auch wenn es sicherlich nicht einfach ist, sein Kind so früh von zuhause „ausziehen“ zu lassen.
Wie war das Leben im Sportinternat?
Der Tagesablauf war sehr durchgeplant mit Schule, Training, lernen und geregelten Essenszeiten, aber dafür waren die Freunde am Abend nur ein Zimmer weiter. Da wir Sportler alle gleiche Trainingsbedingungen hatten, habe ich vor allem gelernt, dass letztendlich neben Talent vor allem Disziplin, Ehrgeiz und Durchhaltewillen zum Erfolg führen.
Und Erfolge haben nicht lange auf sich warten lassen: Du warst Deutscher Junioren-Meister im Einzelzeitfahren und in der Mannschaftsverfolgung 2009 und hast 2012 die Radbundesliga gewonnen. 2013 hat Dich das Team Cannondale unter Vertrag genommen.
Das war schon etwas Besonderes, tatsächlich in der WorldTour anzukommen. Man hat schließlich lange und hart dafür gekämpft. Allerdings war es auch ein spannendes Abenteuer: Ohne die Sprache zu beherrschen nach Italien zu ziehen und in einem fremden Land völlig auf sich allein gestellt zu sein, das war schon ein Sprung ins kalte Wasser.
Bei Cannondale bist Du zwei Jahre an der Seite von Ivan Basso, Peter Sagan und Co. gefahren. Wie war der Kontakt zu den Stars und was hast Du von ihnen gelernt?
Durch die Trainingslager und Wettkämpfe lebt man auf recht engem Raum und hat somit auch engeren Kontakt. Letztendlich ist es mit den Stars aber nicht anders als mit den restlichen Teamkollegen: Mit den einen versteht man sich besser, mit den anderen schlechter. Ivan Basso war mir z.B. eine große Hilfe, da er immer ansprechbar war und auch auf uns „Neue“ zukam. Gelernt habe ich vieles, unter anderem wie ich meine Kräfte während einer längeren Rundfahrt richtig einteile.
2014 bist Du Deine erste dreiwöchige Landesrundfahrt gefahren, den Giro d´Italia. Ein Höhepunkt Deiner bisherigen Karriere?
Auf jeden Fall. Den Giro d’Italia, Italiens wichtigstes Rennen, für ein italienisches Team fahren zu dürfen, war wirklich atemberaubend. Die letzte Etappe durch zu fahren und damit zu wissen, man hat es geschafft, war ein sehr bewegender Moment für mich.
Schnee an Gavia und Stelvio, die viel diskutierte Frage um die neutralisierte Abfahrt, Quintanas beeindruckender Etappensieg: Wie hast Du die legendäre 16. Etappe erlebt?
Jeder wusste bereits bei einem Blick auf das Höhenprofil, dass diese Etappe definitiv eine der härtesten werden würde. Bereits am Start regnete es, was die Etappe nicht einfacher werden ließ. Es wurde vom Start weg ein enorm hohes Tempo angeschlagen, so dass sich bereits nach wenigen Kilometern kleine Gruppen bildeten, die gemeinsam um die Karenzzeit und gegen die Eiseskälte kämpften. In meiner Gruppe gab es keine Neutralisation. Jeder in meiner Gruppe verfolgte nur ein Ziel an diesem Tag: irgendwie heil ins Ziel kommen.
Trotz vielversprechender Ergebnisse – u.a. Siebter im Prolog der Tour de Suisse, Sieger der Sprintwertung bei der Katalonienrundfahrt und der Supersprintwertung bei Lüttich-Bastogne-Lüttich – war für Dich nach der Fusion der Teams Garmin und Cannondale kein Platz mehr im Kader. Eine Enttäuschung?
Ja. Das war für mich ein sehr enttäuschender Moment. Dass mir die Nachricht erst so spät im Jahr übermittelt wurde, machte die Lage für mich noch schwieriger.
Gab es Kontakte zu anderen Teams der ersten oder zweiten Division?
Es gab Kontakte zu drei Teams der zweiten Division. Als eine mündliche Zusage von einem Team vorlag, wurden die anderen Gespräche beendet. Leider wurde das Team wortbrüchig, und ich bekam keinen Vertrag mehr.
Als Kapitän von rad-net ROSE fährst Du nun in der dritten Liga, bekommst aber mehr Verantwortung. Was sind Deine Saisonziele?
Ich komme prima mit meinen neuen Teamkollegen klar und fühle mich im Team sehr wohl. Meine Saisonziele muss ich nach einem sehr bescheidenen Winter/Frühjahr 2015 aber leider neu fassen. Bedingt durch den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr und einer hartnäckigen Erkältung saß ich fast acht Wochen nicht auf dem Rad. Anstatt Erfolge einzufahren, hechle ich zur Zeit meiner Form hinterher und muss eigentlich einen komplett neuen Formaufbau starten. Ich hoffe in der zweiten Saisonhälfte meine alte Form wieder erreicht zu haben, um mit meinem Team Erfolge einfahren zu können. Alternativ könnte ich mir auch vorstellen, meinen Schwerpunkt für 2015/16 auf die Bahn zu verlagern. Der Bahn-Vierer würde mich reizen, und ich hoffe, dass ich mich noch in den Kader von [Bahnrad-Bundestrainer] Sven Meyer fahren kann.
Stell Dir vor, wir führen in fünf Jahren wieder ein Interview. Wie hat sich Deine Karriere bis dahin entwickelt?
Ich habe in Rio mit dem Vierer eine Medaille eingefahren und konnte mich durch gute Ergebnisse wieder für den Profizirkus empfehlen.
Michel, vielen Dank für das interessante Gespräch, alles Gute und viel Erfolg für Deine Saison!