Test: Die Inflite-Serie von Canyon erblickte 2013 das Licht der Welt – ursprünglich als günstiger Einstieg in die Welt der Aluminium-Crosser gedacht, entpuppte sich das Rad immer mehr als wahrer Allrounder, das auf dem CX-Parcours eine ebenso gute Figur macht wie als Commuter auf den Straßen deutscher Städte. Wir haben das Topmodell Canyon Inflite Al 9.0 S eine Saison lang in verschiedensten Bedingungen getestet.
Das eine für alles. Die eierlegende Wollmilchsau. Sportlich und bequem. Das sind die oftmals unmöglich erscheinenden Anforderungen vieler Käufer an ihr neues Rad, egal ob auf der Straße oder auf dem Trail. Diejenigen, die nach einem Straßen-Allrounder suchen, möchten damit meist wochentags zur Arbeit pendeln – auf regennasser Straße, über die Abkürzung auf Schotter und verstopfte, enge Wege der Innenstadt. Am Wochenende soll das Rad dann aber auch für eine ausgedehnte Tour entlang Donau oder Isar herhalten und der eine oder andere möchte damit vielleicht auch eine sportliche Feierabendrunde drehen. Genau für diese Anforderungen hat Canyon sein Inflite im Programm.
Rahmen und Geometrie
Das Canyon Inflite kommt in allen Varianten mit einem Rahmen aus Aluminium. Optisch macht das dunkelgrüne Bike einiges her, und die Lackierung erfüllt sogar neben der bloßen Optik noch einen zweiten Zweck: Eingearbeitete reflektierende Partikel lassen den Rahmen und die Decals bei Lichteinfall im Dunkeln aufleuchten – ein tolles Sicherheitsfeature im Straßenverkehr, vor allem bei schlechten Sichtverhältnissen während der kalten Jahreszeit.
Die Verarbeitung ist wie man es von Canyon inzwischen gewohnt ist hervorragend. Saubere Schweißnähte, keine Lacknasen, perfekt ausgeriebenes Sitzrohr, saubere Gewinde und eine tolle Haptik – hier gibt es wirklich rein gar nichts zu mäkeln, tolle Arbeit Canyon! Auch technisch ist der Rahmen des Inflite absolut auf der Höhe der Zeit: Flache Sitzstreben und ovale Kettenstreben sorgen für vertikalen Flex und hohen Komfort im Hinterbau und das abgeflachte Oberrohr macht das Rad angenehm zu Tragen – ob auf dem Crossparcours oder den Treppen in der Innenstadt.
Die Züge verlaufen teils intern, teils extern – Zughüllen für Umwerfer und Schaltwerk verstecken sich im Rahmen, die hydraulischen Leitungen für die Scheibenbremsen verlaufen außerhalb. Prinzipiell ist das von Canyon eine kluge Maßnahme, da bei Wartungsarbeiten – gerade an Scheibenbremsen – das Verlegen der Leitungen innerhalb des Rahmens zu einem Geduldsspiel ausarten kann. Leider fanden wir die Verlegung der Leitung für die Hinterradbremse entlang des Oberrohrs nicht ganz optimal gelöst, da sie sich immer wieder losrüttelte. Das sieht optisch nicht sonderlich elegant aus und neigt während der Fahrt auch zum Klappern. Dennoch: Das ist nur ein winziges Haar in einer ansonsten äußerst wohlschmeckenden Suppe.
Durchaus eine Besonderheit für ein Rad in dieser Klasse sind die Gewindeösen für die Schutzblechmontage. Gemeinsam mit SKS hat man bei Canyon außerdem ein spezielles Schutzblechset für das Inflite entwickelt, das sich optisch wie technisch perfekt zum Allrounder fügt und auch bei Schmuddelwetter für einen trockenen Hintern sorgt. Natürlich ließen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen und testeten das Inflite mitsamt montierter Schutzbleche.
Beim Blick auf die Geometrie offenbart sich die Cross-DNS des dunkelgrünen Renners. Mit einem kurzen, aber nicht zu kurzen Steuerrohr, einem für Cross-verhältnisse eher kurzen Oberrohr und recht tiefem Tretlager ist die Sitzposition zwar sportlich, wird aber zu keinem Zeitpunkt unbequem – Stichwort Streckbank. Rahmen und Gabel bieten auch inklusive der montierten Schutzbleche eine üppige Reifenfreiheit – 28mm Reifen sind überhaupt kein Problem. Verzichtet man auf den Spritzschutz, lassen sich auch Crossreifen problemlos aufziehen und es bleibt dennoch genug Puffer für den Fall, dass die Ausfahrt mal ein wenig schlammiger wird.
Ausstattung
Die Ausstattung unseres Topmodells Canyon Inflite Al 9.0S bietet Komponenten der oberen Mittelklasse und lässt kaum Wünsche offen. Der Antrieb kommt aus dem Hause Shimano – genauer gesagt verbaut Canyon am Inflite 9.0 eine komplette Ultegra 11-fach Gruppe samt hydraulischer Scheibenbremsen. Der Antrieb der Japaner ist seit jeher ein sicheres Brett und auch die noch vergleichsweise jungen hydraulischen Scheibenbremsen funktionieren hervorragend. Der Druckpunkt passt, die Bremsleistung auch – unabhängig vom Wetter.
Beim Laufradsatz vertrauen die Koblenzer auf die Expertise von DT Swiss. Im Inflite 9.0 steckt ein R23 Spline Laufradsatz der Schweizer – edel! Die Naben haben den bewährten Zahnscheibenfreilauf, der nicht nur mit einem knackigen Sound für ein Lächeln im Gesicht sorgt, sondern überdies auch nahezu wartungsfrei und äußerst langlebig ist. Die Aluminiumfelgen haben eine Breite von 21mm – das reicht locker aus, selbst breitere Crossreifen finden hier festen Halt. Mit 1520 Gramm sind die Laufräder außerdem recht leicht.
Die Anbauteile kommen allesamt aus eigenem Hause, doch egal ob Vorbau, Lenker oder Sattelstütze – Verarbeitung, Optik und Qualität sind auf hohem Niveau und müssen sich keinesfalls vor renommierten Herstellern verstecken. Gerade die Carbonsattelstütze mit 25mm Setback macht einen wirklich hervorragenden Eindruck. Dass man bei Canyon außerdem ein Auge für wichtige Details hat, beweist der hochwertige Steuersatz aus dem Hause Acros, der mit gut gedichteten Lagern auch konstanten Schlamm- und Spitzwasserschutz problemlos wegsteckt. Ebenso setzt Canyon auf Topreifen von Continental: Der GP 4000s II gehört ohne Zweifel zu den besten Straßenreifen auf dem Markt.
Fahrverhalten
Bei den harten Fakten zeigt sich also der ausgewiesene Allround-Charakter des Canyon-Bikes. Wie schlägt sich das Rad jedoch in der Praxis in den unterschiedlichen Einsatzgebieten? Einige Monate war das Inflite unser stetiger Begleiter in der Passauer Innenstadt. Wer noch nie in Passau war, dem seien die Verhältnisse kurz geschildert: Enge Straßen, viele Pflastersteine, schlechte Radwege, viele Hügel und verwinkelte Gassen. Optimales Terrain also für einen sportlichen Commuter wie das Inflite Al 9.0S – oder?
Das durchaus anspruchsvolle Terrain in der niederbayerischen Universitätsstadt entpuppt sich als Spielwiese für den Koblenzer Flitzer. Die ausgewogene, eher auf Laufruhe optimierte Geometrie weiß im Zusammenspiel mit dem gewohnt guten Grip der Conti-Reifen, den bissigen Ultegra-Bremsen und dem klaglos funktionierenden Antrieb zu gefallen. So verlieren selbst nasse Pflastersteine ein Stück weit ihren Schrecken. Als Alltagsrad wissen wir außerdem die Schutzbleche bereits nach dem ersten größeren Regenschauer zu schätzen – das Gesäß bleibt trocken – immer!
In der Stadt fühlt sich das Inflite also durchaus wohl, doch wie schlägt es sich im sportlichen Einsatz, auf und abseits der Straße? Die sportliche Feierabendrunde über unbefestigte Waldwege meistert das Canyon auch mit Bravour, jedoch fühlt es sich hier nicht ganz so zuhause wie in den engen Gassen Passaus. Das liegt sicherlich auch am persönlichen Geschmack des Fahrers, doch die doch in Richtung Komfort tendierende Geometrie lässt das letzte Quäntchen Spritzigkeit vermissen. Damit wir uns richtig verstehen: Selbst ein Crossrennen ist für das Inflite – die entsprechende Bereifung vorausgesetzt – im Bereich des Möglichen, doch ist der Unterschied zu einem eher raceorientierten, sportiven Crosser durchaus spürbar.
Fazit
Das eine für alles? Eierlegende Wollmilchsau? Treffen diese Begriffe nun schlussendlich auf das Canyon Inflite Al 9.0 S zu? Das können wir nur mit einem klaren Jein beantworten. Der Allround-Charakter des Bikes aus Koblenz lässt sich jedenfalls nicht von der Hand weisen – Straße, Schotter, Commuter, Racer, Crosser – all das unter einen Helm zu bringen ist schwierig und erfordert natürlich Kompromisse, das muss jedem Käufer klar sein. Doch ist das Inflite ein wirklich hervorragender Kompromiss und macht auf fast jedem Terrain, in fast jedem Einsatzbereich eine richtig gute Figur. Gerade von seinen Qualitäten als sportlicher Commuter waren wir sehr angetan. Wer es jedoch auf und abseits der Straße richtig krachen lassen will und ein agiles, eher sportliches Rad sucht, könnte sich an der doch recht komfortablen Geometrie stören.