Radsport: Peter Sagan ist neuer Weltmeister auf der Straße. Der Slowake setzte einen beeindruckenden Schlusspunkt unter viele Stunden packenden Radsports in Richmond. Noch 3km vor dem Ziel schien alles offen, doch mit einer beispiellosen Attacke düpierte Sagan sämtliche Konkurrenten und fuhr als Solist zu seinem ersten Weltmeistertitel. Michael Matthews fährt zu Silber, Ramunas Navardauskas aus Litauen wird Dritter. John Degenkolb landet als bester Deutscher nur auf Platz 29.
Am heutigen Sonntag gab es bei der Straßen-WM die geballte Ladung Radsport, mit allem was wir daran lieben. Attacken, Taktik, große Einzelleistungen, starke Mannschaften und nicht zuletzt einen absolut verdienten Sieger. Der neue Weltmeister Peter Sagan war eine der prägendsten Figuren dieser Saison mit den vielleicht konstantesten Leistungen im Peloton. Auch heute zeigte der Slowake wieder seine unglaublichen Qualitäten und ließ der Konkurrenz mit einem sprachlos machenden Soloritt keine Chance.
Aus deutscher Sicht verlief der Tag leider nicht wie gewünscht. John Degenkolb wurde im Vorfeld als großer Favorit auf den Titel gehandelt, war aber über die gesamte Distanz nur wenig zu sehen und fuhr auf einen enttäuschenden 29. Platz. Tony Martin und vor allem André Greipel hatten sich im Vorfeld für ‚Dege‘ aufgerieben und unglaublich gearbeitet. Die Mannschaftsleistung bietet also wenig Anlass zur Kritik, nur das Ergebnis blieb leider aus.
Michael Matthews fährt eine mehr als verdiente Silbermedaille ein – sein australisches Team war über die mehr als 260km durch Richmond dauerpräsent, arbeitete viel und schaffte es dann, mit Matthews und Simon Gerrans (Platz 6) gleich zwei Fahrer in die Top 10 zu bringen. Tolle Geschichte auch um die Bronzemedaille: Ramunas Navardauskas hatte im Vorfeld wohl kaum jemanden auf dem Zettel, doch der Litauer taktierte klug und wagte zum perfekten Zeitpunkt den Sprung in die Fluchtgruppe. Dass er dann schlussendlich sogar eine Medaille für sein Land ersprintet – tolle Geschichte.
Die 16 Runden durch die Innenstadt von Richmond waren eine für ein Weltmeisterschaftsrennen verhältnismäßig zerfahrene Angelegenheit. Direkt nach dem Start hatten sich acht Fahrer vom Feld absetzen können, darunter der Ire Conor Dunne, der Koreaner Park Sung-Baek und der US-Amerikaner Ben King. Die Lücke wuchs schnell auf über vier Minuten an, vor allem weil es die Teams im Peloton äußerst gemächlich angehen ließen und keinerlei Anstalten machten, schon so früh am Tag unnötig Energie zu verbrennen.
Diese Flucht hatte bis ca. 100km vor dem Ziel bestand – dann mussten sich auch der tapfere Ben King und Dunne dem Druck aus dem Feld beugen – hier machten jetzt vor allem die Mannschaften aus Deutschland, Italien und Holland enorm Druck. In der Folge kam viel Hektik ins Rennen, es wurde unübersichtlich und zerfahren. Immer wieder gab es kleine Fluchtgruppen, das Feld zerfiel in kleine Splits und auf dem inzwischen vom leichten Regen rutschigen Asphalt kam es auch hin und wieder zu kleineren Stürzen.
Knapp 30km vor dem Ziel wurde es dann spannend, und das war wohl auch der Moment, der die deutschen Medaillenhoffnungen beendete. Der Brite Ian Stannard attackierte am Pflasteranstieg hinauf zum Libby Hill und rasch hefteten sich Daniel Moreno (Spanien), Michal Kwiatkowski (Polen), Elia Viviani (italien), Tom Boonen (belgien) und Andre Amador (Kolumbien) an sein Hinterrad. Aus dem deutschen Team verpassten sowohl Degenkolb als auch Martin den Sprung in die starke Fluchtgruppe, die schnell auf über 30 Sekunden davonzog.
Die Topfahrer in der Spitzengruppe harmonierten hervorragend und machten es enorm schwer für das Feld, die Lücke wieder zu schließen. Da fast alle Teams einen Fahrer in der Gruppe platzieren konnten, lag es vor allem an den deutschen Fahrern, Verfolgungsarbeit zu leisten. André Greipel und Tony Martin schlugen ein enormes Tempo an, konnten den Abstand aber nur sehr langsam reduzieren.
Schließlich, 20km vor dem Ziel schafften es dann einige Fahrer, darunter auch John Degenkolb, sich der inzwischen nur noch etwas mehr als zehn Sekunden vor dem Feld fahrenden Spitzengruppe anzuschließen. Die Verfolgung hatte jedoch enorm viel Kraft gekostet. André Greipel und Tony Martin mussten am Ende des Feldes abreißen lassen und auch Degenkolb machte keinen allzu frischen Eindruck mehr. Wenige Kilometer später war das Feld dann wieder beisammen.
Was danach kam – davon wird man wohl in vielen Jahren noch sprechen. Es schlug die Stunde von Peter Sagan – und wie! Am letzten Anstieg hinauf zur 23rd Street attackierte der Slowake mit einer Power, die wohl nicht nur die tausenden Zuschauern vor Ort, sondern Radsportfans in aller Welt gleichermaßen begeisterte. Der 25-jährige pflügte regelrecht über den groben gepflasterten Weg und stürzte sich danach unnachahmlich in die kurze Abfahrt. Innerhalb weniger hundert Meter hatte er bereits eine riesige Lücke aufgefahren, die die Verfolger nicht mehr schließen konnten. Großartig! Glückwunsch!
Sagan, der die Vuelta nach einem Zusammenstoß mit einem Begleitmotorrad beenden musste, schlug in seinem Interview nach dem wohl größten Triumph in seiner Karriere jedoch überraschend nachdenkliche Töne an: „Eine große Motivation für mich heute war auch das, was momentan auf der Welt und in Europa passiert. Wir wissen nicht, wie es in ein paar Jahren aussehen wird. Sport ist immer etwas, das Leute zusammenbringt, ich hoffe, das wird auch in Zukunft so sein.“ Doch natürlich äußerte sich der oftmals etwas impulsive Slowake auch zum Rennen: „Es war irgendwie seltsam. Zusammen mit meinem Bruder [Juraj Sagan] habe ich gelauert und einfach gehofft, dass ich bei der letzten Kopfsteinpflasterpassage noch in aussichtsreicher Position sein werde und es hat geklappt. Ich hatte großes Glück, dass mich die Verfolger nicht mehr eingeholt haben, zum Sprinten hätte ich nicht mehr die Power in den Beinen gehabt.“
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1.,Peter Sagan,Slowakei,06:14:37
2.,Michael Matthews,Australien,00:00:03
3.,Ramunas Navardauskas,Litauen,
4.,Alexander Kristoff,Norwegen,
5.,Alejandro Valverde,Spanien,
6.,Simon Gerrans,Australien,
7.,Tony Gallopin,Frankreich,
8.,Michal Kwiatkowski,Polen,
9.,Rui Costa,Portugal,
10.,Philippe Gilbert,Belgien,
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