Spektrum: In einem Interview mit der englischen Tageszeitung ‚The Times‘ hat sich Doping-Sünder Lance Armstrong über die Scheinheiligkeit bezüglich Doping im derzeitigen Peloton ausgelassen. Einmal in Rage geredet, teilte der Texaner auch noch ordentlich gegen die USADA aus. Doch es gibt auch versöhnliche Worte.
„Gäbe es heute eine Alternative zu EPO – jeder würde es benutzen!“ – so die gewagte These von Lance Armstrong in seinem in der heutigen Ausgabe der ‚The Times‘ erschienen Interview. Der Texaner, dem 2012 alle sieben Toursiege wegen Dopings aberkannt wurden, findet in diesem Gespräch deutliche Worte und wirft vielen der aktiven Profis, Teams und Verantwortlichen Scheinheiligkeit im Umgang mit Doping vor. „Man hatte damals diese Substanz, EPO, die hocheffizient und nicht bzw. nur schwer nachzuweisen war. Gäbe es ab morgen etwas Vergleichbares, das nicht nachweisbar wäre, es würde doch jeder nehmen!“
Einmal in Rage, holt Armstrong zum Rundumschlag aus und die US-Anti-Doping-Organisation USADA bekommt ihr Fett weg. „Die USADA hat drei oder vier Dinge, deren sie mich immer wieder bezichtigt. ‚Das komplexeste Dopingprogramm der Geschichte‘, ‚Der größte Betrüger in der Geschichte des Sports‘, ‚Armstrong hat junge Männer gezwungen, verbotene und gefährliche Substanzen einzunehmen.‘ – das war es doch oder? Keine einzige dieser Anschuldigungen entspricht der Wahrheit!“ Vielleicht zeigte sich der 44-jährige auch besonders dünnhäutig, weil der erst kürzlich erschienene Kinofilm ‚The Program‘ seinen Plot auf den obigen Anschuldigungen aufbaut. „Ich habe mich nicht vor meine Teamkollegen gestellt und sie gezwungen zu dopen. Das ist zu 100% falsch.“
Und wie so oft in der Vergangenheit beteuerte Armstrong auch wieder, dass er in den Jahren 2009 und 2010 clean gewesen sei – aus diesem Grund würde die USADA auch keine Proben aus dieser Zeit anfordern. „Das würde nicht in ihre hübsche Geschichte passen,“ meint der Texaner. Dass aber bei dieser Untersuchung eben vor allem die Jahre interessant sind, in denen der US-Amerikaner das Maß der Dinge im Radsport war – darauf wird er höchstwahrscheinlich auch selbst kommen. Insofern passen viele dieser Aussagen in das Bild der letzten Jahre, in denen er sich oft unreif, trotzig und schlicht uneinsichtig gezeigt hatte.
Doch ein paar versöhnliche Worte findet Armstrong auch – vor allem gegenüber seiner (ehemaligen) Fans. „Inzwischen habe ich begriffen, wie sehr sich viele Leute betrogen gefühlt haben. Sie haben sich betrogen gefühlt, weil sie mir vertrauten. Sie haben mich unterstützt, haben für mich gekämpft, haben für mich gespendet und standen immer hinter mir. Diese Leute haben sich gefühlt wie die größten Idioten. Das ist eine schwere Last mit der ich leben muss.“ Doch Lance Armstrong wäre nicht Lance Armstrong, wenn er auch hier nicht noch Grund zur Kritik fände. „Die unschuldigen Leute fühlten sich wirklich betrogen. Doch diejenigen, die von der Sache wussten und jetzt noch immer tun als seien sie so geschockt – für die habe ich ein besonderes Plätzchen in meinem Herzen.“
Wieder einmal muss man wohl konstatieren, dass sich Lance Armstrong mit seinen Aussagen keinen Gefallen getan hat. Gerechtfertigt oder nicht, aber mit der Art und Weise, wie er seine Wut und seinen Frust äußert, reißt er wohl die letzten Reste seines noch verbliebenen Denkmals selbst ein.