Test: Mit dem Liv Hail 2 LTD haben wir eines der ganz ganz wenigen echten Enduro Bikes speziell für Frauen getestet. Zu einem attraktiven Preis gibt es hier ein äußerst potentes Rad mit großen Reserven, tollem Fahrwerk und nur wenigen echten Schwächen.
Liv Hail 2 LTD: Rahmen und Geometrie
Liv ist an und für sich noch eine sehr junge Marke – seit 2014 ist man einer der ganz wenigen frauenspezifischen Fahrradhersteller am Markt. Das geschulte Auge erkennt jedoch direkt auf den ersten Blick die Ähnlichkeit bzw. Verwandtschaft mit einem bekannten Fahrradriesen: Giant. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Giant vertreibt unter dem Namen Liv ein eigenes Programm von Rädern, die speziell auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind. Der eigene Markenname weckt Erwartungen bei der Käuferschaft: Wo viele andere Hersteller nur ein, zwei Komponenten austauschen, die Rahmenfarbe ändern und so ihre Herrenmodelle als Damenversion verkaufen, geht man bei Liv deutlich weiter.
Zwar haben sämtliche Modelle von Liv ihre entsprechenden Schwestermodelle bei Giant, doch handelt es sich dennoch um komplett eigene Bikes, mit eigener Geometrie, eigener Ausstattung und natürlich auch dem entsprechenden Paintjob. Ein gutes Beispiel ist das von uns getestete Liv Hail 2 LTD. Optik und Eckdaten wie die üppigen 160mm Federweg erinnern Giant-Kenner natürlich sofort an den bewährten Enduro-Boliden Reign. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, auch wenn die eine oder andere Parallele natürlich nicht von der Hand zu weisen ist.
Gemeinsam haben Reign und Hail definitiv ihre Ausrichtung: Hier ist mit 160mm Federweg und robuster, abfahrtsorientierte Ausstattung Enduro-Action angesagt. Auch die Rahmen scheinen auf den ersten Blick identisch – doch das täuscht: Bei Liv hat man sich zum Ziel gesetzt, Bikes für Frauen zu bauen, die eben keine „zurechtgebogenen“ Männer-Räder sind. So hat man bei der Geometrie des Hail im Vergleich zum Reign einiges geändert. Exemplarisch sei hier der mit 66° etwas steilere Lenkwinkel (Reign: 65°) erwähnt. Der Grund dafür liegt in dem bei Frauen typischerweise etwas kürzeren Oberkörper. Wo da der Zusammenhang ist? Durch den kürzeren Torso fällt es Frauen etwas schwerer, genügend Druck auf das Vorderrad zu bringen. Ist dann der Lenkwinkel zu flach, kippelt der Vorderreifen in Kurven oder steigt im Uphill. Weitere Anpassungen umfassen ein höheres Tretlager und eine niedrigere Überstandshöhe.
LIV Hail 2
XS | S | M | L | |
Sitzrohr (in mm) | 365 | 380 | 431 | 482 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 570 | 585 | 610 | 625 |
Steuerrohr (in mm) | 95 | 100 | 115 | 130 |
Kettenstrebe (in mm) | 435 | 435 | 435 | 435 |
Radstand (in mm) | 1145 | 1160 | 1188 | 1205 |
Lenkwinkel (in °) | 66 | 66 | 66 | 66 |
Sitzwinkel (in °) | 74 | 74 | 74 | 74 |
Reach (in mm) | 404 | 418 | 439 | 450 |
Stack (in mm) | 576 | 580 | 594 | 608 |
Auch in Sachen Hinterbau und Rahmenmaterialien ist das Liv Hail state-of-the-art. Boost Achsen gehören inzwischen schon zum Standard und auch die innenverlegten Züge – sowohl bei den Aluminium, wie auch den Carbonrahmen, sind zumindest optisch eine Wohltat. Apropos Rahmenmaterial: Das Hail gibt es als Advanced-Variante auch mit Hauptrahmen aus Carbon. Der Hinterbau hingegen besteht in allen Ausstattungsvarianten aus Aluminium – laut den Liv-Entwicklern ist die Gewichtsersparnis in diesem Bereich vernachlässigbar und Aluminium für typische Beschädigungen wie Steinschläge unempfindlicher. Immer aus Carbon ist dagegen der Umlenkhebel des Maestro Hinterbaus.
Liv Hail 2 LTD: Ausstattung
Rahmen | LIV Hail AuxX SL Aluminium |
Federgabel | FOX Performance 36 Talas |
Dämpfer | FOX Performance Float X2 |
Laufräder | Giant PAM-2 |
Reifen VR | Schwalbe Hans Dampf Performance |
Reifen HR | Schwalbe Hans Dampf Performance |
Schaltwerk | Shimano XT 10-fach |
Schalthebel | Shimano SLX |
Kurbel | Shimano M627 36/22 |
Umwerfer | Shimano Deore |
Bremse | Shimano Deore M615 |
Bremsscheiben | Shimano RT-66 203/180mm |
Sattelstütze | Giant Contact Switch SL |
Sattel | Liv Contact Upright |
Vorbau | Truvativ Holzfeller |
Lenker | Giant Contact SL DH 800mm |
Die Ausrichtung des Liv Hail 2 LTD wird beim Blick auf die Ausstattung sofort klar: Mit der Fox 36 Federgabel an der Front und dem X2 Dämpfer -beides in der Performance Version – im Hinterbau gibt’s hier jede Menge Reserven auch für lange Abfahrten. Zudem lässt sich vor allem beim Dämpfer das Setup komfortabel und differenziert auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Eine Besonderheit ist zudem die Talas Technologie der Federgabel, womit diese sich per Hebel auf 130mm absenken lässt – so bekommt man für längere Anstiege eine angenehmere und effizientere Sitzposition.
In eine vergleichbare Kerbe schlägt das Cockpit, das mit kurzem Vorbau und 800mm (!) breiten Lenker auch einem Freerider gut zu Gesicht stehen würde. Zierliche Fahrerinnen mit weniger breiten Schultern müssen beim Lenker eventuell sogar mit der Säge ran und ein wenig kürzen. Etwas überrascht waren wir von der Auswahl des Antriebs: Während 2-fach Antriebe noch immer – zurecht – ihre Fans haben, ist die Wahl einer 10-fach Schaltung an einem 2017er Modell doch etwas seltsam, auch wenn man mit einem Shimano XT / SLX Mix qualitativ kaum etwas auszusetzen hat. Ebenfalls von Shimano kommt die Deore Bremse mit 203 / 180mm Scheiben, die den teureren Modellen aus SLX und XT Reihe kaum nachsteht.
Die Laufräder sind aus eigenem Hause bzw. von Formula und bieten mit 25mm breiten, tubelessfähigen Felgen solide Kost. Darauf ist ein paar Schwalbe Hans Dampf montiert – während der Reifen dem Einsatzgebiet des Hails angemessen ist, finden wir es schade, dass man auf die günstige Performance Gummimischung setzt, die gerade im Nassen doch deutliche Schwächen hat. Die Giant Contact Switch SL Sattelstütze funktioniert gut, der Hub fällt aber mit 100mm in der von uns getesteten Rahmengröße M ein wenig klein aus – erst in Größe L gibt es 125mm.
Liv Hail 2 LTD: Auf dem Trail
Sitzposition und Gesamtergonomie am Liv sind erstklassig. Man fühlt sich sofort zuhause und trotz des üppigen Federwegs und der recht potenten Reifen ist der Vortrieb beachtlich und es geht auch auf der Ebene ordentlich voran, auch wenn aus einem Enduro natürlich kein Marathonbike wird. Ohnehin ist das Fahrwerk sicherlich das Highlight. Ein passendes Grundsetup war zwar schnell gefunden, wer hier aber gerne experimentiert und Details verbessert, findet an der 36er und dem X2 Dämpfer jede Menge Optionen zum Feintuning.
Neben typischem Enduro Terrain nahmen wir mit dem Liv Hail auch flowiges Gelände mit schnellen Anliegern unter die Räder. Überraschenderweise konnte es hier mit großer Spritzigkeit und viel Agilität punkten, während hier andere Bikes dieser Federwegsklasse schnell etwas träge wirken. Der Lenker ist schön breit und dürfte mit 800mm für die meisten Frauen und Mädels wahrscheinlich sogar ein Tick zu viel des Guten sein.
Die übrige Ausstattung verhält sich unauffällig und gibt nur wenig Grund zur Kritik. Der 10-fach Antrieb bietet eine ausreichende Bandbreite und auch die Funktion ist Shimano-typisch gut – jedoch ist er schlicht nicht mehr zeitgemäß und wir hätten uns über einen 11-fach Antrieb gefreut. Die Laufräder gehören zwar nicht unbedingt zu den Leichtgewichten, sind dafür jedoch schön steif und auch die Reifen überzeugen zumindest im Trockenen. Nasse Wurzeln oder Steinplatten gehören jedoch nicht zu ihren Spezialitäten und da wird es schnell unvermittelt etwas rutschig.
So richtig blüht das Hail jedoch im groben Gelände auf, wo es mit seinem sehr guten Fahrwerk und der gelungenen Geometrie viel Sicherheit vermittelt. Dank des langen Hauptrahmens bleibt der Schwerpunkt der Fahrerin auch an Steilstufen angenehm zentral, ohne dass man sein Gewicht allzu weit nach hinten verlagern muss. Überschlagsgefühle gibt es so kaum und wenn man es richtig laufen lässt, saugen Gabel und Hinterbau auch grobe Unebenheiten zuverlässig auf.