Radsport: Bernhard Eisel (Dimension Data) ist im Radsport-Zirkus ein alter Hase. Der 37-Jährige fährt seit vielen Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Nach seinem Sturz bei der Fernfahrt Tirreno-Adriatico rechneten viele Fans mit dem Karriereende – doch der Österreicher kam zurück. Wie geht es jetzt mit Bernhard Eisel weiter? Am Rande des Arctic Race of Norway hat Velomotion mit ihm gesprochen.
Bernhard, ist bei dir wieder alles in Ordnung nach deinem schweren Sturz und den Kopfverletzungen?
Bernhard Eisel: „Noch nicht wirklich alles. Ich bin noch nicht so weit, dass ich ein absolut normales Leben führen kann. Es gibt keine Folgeschäden, aber mit was ich da konfrontiert wurde, wäre für jeden Menschen nicht einfach gewesen. Sie sagten: Das Hämatom ist riesig und muss operativ entfernt werden. Ich habe aber nie Angst vor der OP gehabt. Im Gegenteil: Ich meinte sogar, wenn sie morgen nicht den Bohrer endlich ansetzen, dann mache ich es selbst mit dem Akkubohrer. Ich habe massivste Kopfschmerzen gehabt, ansonsten aber keine weiterem Symptome. Zuerst bin ich daher von Allergien ausgegangen – bis zum MRT. Die Operation ist einwandfrei verlaufen. Danach war ich noch eine Weile im Krankenhaus. Ich wollte immer so schnell wie möglich zurück aufs Rad.“
Also a massive thank you to the 🚑 and doctors @TirrenAdriatico! Grazie #HospitalAncona, every nurse radiologist and doctor there. The plastic surgent who came in on a Sunday to fix my face! #millegrazie
— Bernhard Eisel (@EiselBernhard) 11. März 2018
Was ist das Besondere am Arctic Race of Norway?
Bernhard Eisel: „Ich habe zuvor schon immer von diesem Rennen gehört und wollte es selbst erleben. Ich bin jetzt keiner, der auf ein Kreuzfahrtschiff geht und da oben Urlaub macht. So weit in den Norden kommst du nie wieder. Ich war ja letztes Jahr schon hier und es war eine wunderschöne Rundfahrt, nicht nur weil ich das Bergtrikot gewonnen habe – unverhofft kommt oft. Es war ein Riesenspaß. Die Rundfahrt war schön, die Gegend ist unglaublich. Ein kleines Fahrerfeld, wenige Verkehrsinseln, wenige Straßen, guter Asphalt. Wir haben als Mannschaft einfach sehr viel Spaß. In diesem Jahr wusste ich lange nicht, dass ich dabei bin, denn eigentlich sollte ich in Hamburg starten. Doch dann wurde Cavendish eingeplant und dann dachten wir, alleine können wir ihn mit zwei Stagiaires auch nicht da rauf schicken. Also ist halt der Bernie wieder mit dabei. Dann habe ich mich sofort riesig darauf gefreut, auch wenn ich danach direkt zur Deutschland Tour muss. Aber ich wehre mich extrem gegen das Denken, dass man im Europa immer die gleichen Straßen fährt. Deshalb nehme ich solche Expeditionen – wie Nordnorwegen oder Guangxi – immer gerne mit. Die Hotels sind schön, das Essen ist super. Alle sind sehr bemüht. Es ist wirklich ausgezeichnet. Leider bekommen solche Rundfahrten immer zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit. Aber wo bekommst du sonst eine Massage und eine Dusche auf dem Kreuzfahrtschiff?“
Inwiefern bekommt man die schöne Natur und die Rentiere auf dem Rad überhaupt mit?
Bernhard Eisel: „Schon. Im Rest von Europa hat man immer irgendwie Angst, dass einer durch die Straßensperre fährt oder jemand für ein Selfie auf die Straße läuft. Hier kannst du maximal von einem Rentier überlaufen werden. Und die Norweger sind ein extrem radsportbegeistertes Volk. Sie sind alle hier. Ich glaube, in der Finnmark leben ungefähr 100.000 Menschen – die haben wir alle schon am Straßenrand gesehen.“
Du hast ja schon angesprochen, dass du im vergangenen Jahr sensationell das Bergtrikot gewonnen hast. Dafür hast du 500 Kilogramm Lachs bekommen. Was ist damit passiert?
Bernhard Eisel: „Ja, der Lachs! Den gibt es immer noch. Wir haben noch nicht alles weggegessen. Das ist einer der besten Preise, welche du im Radsport gewinnen kannst. Ich habe schon gehört, dass manche Fahrer ein Auto gewonnen haben, doch diese lassen sich innerhalb einer Mannschaft schwer aufteilen. Für unser kleines Team letztes Jahr war der Lachs perfekt. Wir haben dann in Südafrika ein Dinner veranstaltet. Der Sponsor ist mit zehn Mann und einem eigenen Koch zu uns gereist. Sogar die Botschafterin Südafrikas ist zum Essen gekommen. Es war ein Riesenspaß! Damals haben wir ungefähr 60 Kilogramm weggegessen. Jetzt bekomme ich bald die letzte Lieferung.“
Wie verändern sich deine Aufgaben innerhalb der Mannschaft, wenn Mark Cavendish nicht mit dabei ist?
Bernhard Eisel: „Für mich selbst ändert sich gar nicht so viel. Ich selber fahre ja auch nicht mehr auf Siege. Letztes Jahr war unverhofft, da ich auf der ersten Etappe in der Fluchtgruppe gelandet bin. Da wollte ich mir dann einfach das Bergtrikot holen, wenn ich schon einmal als Ausreißer aktiv bin – und dann durfte ich es sogar behalten. In diesem Jahr habe ich allerdings gewusst, dass die Form nicht passt. Mekseb Debesay hat noch keinen Vertrag und wir haben zwei Stagiaires mit dabei. Ich versuche sie in eine gute Position zu bringen und zu helfen, dass sie einen Vertrag bekommen. Für mich ist es einfacher. Aber mit nur fünf Mann, davon zwei Stagiaires, gehst du einfach mit weniger Ambitionen in ein Rennen. Wir versuchen es, aber verlieren können wir nichts.“
International bist du vor allem als treuer Cavendish-Helfer bekannt. Wie gehst du damit um, für Erfolge eines anderen Fahrers mitverantwortlich zu sein, selbst aber diese Siege nicht in deiner Vita gutgeschrieben bekommst?
Bernhard Eisel: „Ich war selbst ja auch schon Sprinter und Kapitän in einer Mannschaft. Du wirst halt immer an deinen Siegen gemessen. Und du kannst dich selbst, sowie die Mannschaft unglücklich machen, wenn du dein eigenes Ziel weiterverfolgst, aber eigentlich nicht wirklich ablieferst. Ich glaube vor drei Jahren habe ich von allen aktiven Radfahrern die meisten Top 10 Ergebnisse bei einer Tour de France gehabt – aber keinen Etappensieg. Davon kannst du dir nichts kaufen. Das heißt zwar, dass du sehr gut bist, aber nicht gut genug. Bei mir war es ziemlich einfach, da auf einmal Cavendish aufgetaucht ist und sozusagen unschlagbar war. Da ist es dann easy, wenn du merkst, da hat jemand so viel Talent und du wächst dann in die Rolle hinein. Viele Fahrer könnten viel mehr aus ihrer Karriere herausholen, wenn sie die Helferrolle akzeptieren. Man ist glücklicher und der Kapitän, sowie das Team weiß es zu schätzen. Außerdem hast du viel weniger Druck und dein Job ist etwas einfacher. Das sieht man derzeit auch an Marcel Kittel. Was er durchmachen muss, nur weil er bei der BinckBank Tour ausgestiegen ist. Was es einem Kittel bringt, eine Amstel-Etappe und eine kleine Flandernrundfahrt zu fahren, weiß ich nicht. Aber ein leidender Sprinter bringt niemandem etwas. Also für das Durchfahren wurde ich noch nie bezahlt. Ich hätte es nicht gemacht. Wenn er bei der Deutschland Tour aber eine Etappe gewinnt, ist wieder alles in Ordnung. Deshalb sage ich: Mit einem Kapitän würde ich nicht zwingend tauschen wollen. Man muss die Top-Ergebnisse jedes Jahr bestätigen und das Interesse und der Druck steigen. Das macht vielleicht den Unterschied zwischen den fünf Top-Fahrern in der Welt und denjenigen, die dort hin möchten.“
Mark Cavendish meinte in einem Interview, er habe mittlerweile Angst, voll in einen Massensprint reinzuhalten. Wie verhält es sich bei dir nach einem Sturz?
Bernhard Eisel: „Es ist schon immer im Hinterkopf, nicht noch einmal stürzen zu wollen. Es kommt aber auch einfach darauf an, wo du fährst und wie wohl du dich fühlst. Wenn es dann wieder brenzlig wird und das Wetter schlecht ist – wie zum Beispiel bei Ride London – dann nehme ich sofort raus. Aber wenn man wieder reinkommt, seine Position fahren kann und selbst wieder alles unter Kontrolle hat, dann geht es wieder. Andere Fahrer kann man nur leicht mit beeinflussen. Wenn du jemandem nicht ganz traust, musst du Sicherheitsabstand halten. Viele sagen, dass früher alles besser war. Vermutlich stimmt das aber nicht. Damals dachten vielleicht bei mir auch einige „oh nein, jetzt kommt der schon wieder“. Die jungen Fahrer wollen ja auch nichts böses. Aber wir hatten sehr viele schwere Stürze in diesem Jahr. Das muss nicht sein.“
Sooo happy to be riding again with my best mate, @EiselBernhard. More importantly, so pleased he’s fit and well after a haematoma on his brain only a few months back. (📸 @mhaller91) pic.twitter.com/FnBBLaj7aH
— Mark Cavendish (@MarkCavendish) 31. Juli 2018
Du bist bei der Athletenkommission der UCI und in der CPA. Was machst du dort?
Bernhard Eisel: „Mit der CPA habe ich eigentlich nichts zu tun. Es wird immer erzählt, dass jeder eine Stimme hat, aber so ist es in Wirklichkeit nicht. Derzeit haben ca. 50 Prozent sozusagen gar kein Stimmrecht, weil wir nicht zu den großen Nationen gehören. Es würde und auch nicht viel Helfen, dort einen Vertreter zu haben, da die alten Nationen einfach zu viel zu sagen haben. Die CPA ist dennoch eine richtig gute Organisation. Aber derzeit kann man nicht zufrieden sein mit der Arbeit. Die Mühlen malen langsam. Es wird schon etwas getan. Ich bin immer dafür, dass Leute in diesen Gremien sind, die das Ganze hauptberuflich machen. Es lässt sich so nebenbei nicht mit einer anderen Tätigkeit vereinbaren. Dafür steht zu viel auf dem Spiel und es ist viel zu viel Arbeit.“
Und dann gibt’s einen neuen Vertrag?
Bernhard Eisel: „Ja, den habe ich hoffentlich vorher schon unterschrieben. Ich denke schon, dass da in den nächsten zehn Tagen bis zwei Wochen die Entscheidung fällt, in welche Richtung es gehen wird. Zuerst möchten wir aber alle wissen, was die Ärzte dazu sagen. Wenn es keine Einwände gibt, können wir über einen neuen Vertrag sprechen.“
Die letzte Frage stellen wir allen Velomotion-Interviewpartnern: Hast du Tipps für die jungen Fahrer?
Bernhard Eisel: „Mit Tipps tue ich mich immer schwer. Die jungen Fahrer von heute sind ja schwer beeinflussbar. Ich glaube, das wichtigste ist, den jungen Fahrern den Spaß mit auf den Weg zu geben. Radsport ist vielleicht nicht der anerkannteste Sport, aber mit Abstand der genialste – und der schwerste. Du wirst in deinem Leben aber so viel lernen und für dein künftiges Leben mitbringen. Es wird dich formen, egal ob du zwei oder 20 Jahre fährst. Schon mit zwölf Jahren lernst du Orte kennen, die andere erst mit dem Moped finden. Der Horizont wird einfach sehr schnell erweitert. Du lernst Menschen kennen, neue Orte – und was noch hinzukommt – du bist selbst bestimmend. Du bist von jungen Jahren daran gewöhnt, dein Leben selbst zu steuern. Auch wenn es mit der Profikarriere nichts wird, sammelst du viel mehr Erfahrung.“
„Cycling isn’t just a job, we’re doing this for a greater cause“@TeamDiData rider @EiselBernhard discusses how the team and @Qhubeka are helping change children’s lives with bicycles: https://t.co/98rlGsozDh pic.twitter.com/j4AOJjvBCc
— Dimension Data (@DimensionData) 28. Juli 2018