Tour de France Geschichte: Den 21.07.2003 werden alle Radsportfans noch in Erinnerung haben. Denn rückblickend wurde an diesem Tag der spannendste Zweikampf zwischen Jan Ullrich und Lance Armstrong entschieden.
2003 zeigte Armstrong erstmals Schwächen
Seit 1999 dominierte Lance Armstrong (US Postal) die Tour de France. Die Fans seiner Gegner hofften zwar Jahr für Jahr, doch wirklich an eine Chance glaubte niemand. 2003 präsentierte sich der Texaner aber erstmals nicht unschlagbar. Direkt beim Prolog verlor er fünf Sekunden auf Jan Ullrich (Bianchi), fuhr sich dann aber in Form. 43 Sekunden brummte er dem Deutschen beim Teamzeitfahren auf, rund eineinhalb Minuten hinauf nach Alpe d’Huez. Mit über zwei Minuten Vorsprung auf seinen stärksten Widersacher schien die Rundfahrt schon wieder nach der Hälfte der Etappen gelaufen zu sein. Doch dann schlitterte der US-Amerikaner in eine Krise. Beim 47,0 Kilometer langen Zeitfahren von Gaillac nach Cap Découverte verlor er 1:36 Minuten auf Jan Ullrich. Nur einen Tag später büßte er sogar im Gebirge hinauf nach Ax-3 Domaines 19 Sekunden ein. Zeitabstände zu seinen Ungunsten kannte er bis dato nicht. Aus einem komfortablen Vorsprung von über zwei Minuten sind 15 Sekunden geworden.
Gelber Beutel bringt Gelbes Trikot zu Fall
An jenem 21.07.2003 stand hinauf nach Luz-Ardiden die letzte Bergetappe der 100-jährigen Frankreich-Rundfahrt an. Das 15. Teilstück wurde in Bagneres-De-Bigorre gestartet und führte auf 159,5 Kilometern unter anderem über den Col d’Aspin und den Col du Tourmalet. Da noch ein Zeitfahren folgen sollte – und Ullrich in jenem Jahr der stärkere Zeitfahrer zu sein schien – musste Armstrong in die Offensive gehen. Doch zunächst testete der Deutsche seinen Kontrahenten. Schon hinauf zum Tourmalet griff er an und brachte nahezu alle Begleiter in Schwierigkeiten. Doch es war zu früh. Zum Showdown kam es erst im Schlussanstieg hinauf nach Luz-Ardiden. Iban Mayo (Euskaltel – Euskadi) attackierte, Armstrong und Ullrich gingen mit. Als der Texaner seine Konterattacke setzte, blieb er auf der rechten Seite mit seinem Lenker an einem gelben Beutel eines Zuschauers hängen. Mayo und Armstrong gingen zu Boden – Ullrich nicht.
Bianchi-Chef Rudy Pevenage:
„Dass Jan gewartet hat, war seine Entscheidung.“
Jan Ullrich:
„Lance war heute der Stärkste. Ich habe gekämpft und alle Register gezogen. Aber es ist noch nichts entschieden.“
Armstrong steht auf und fährt allen davon
Die Gestürzten stiegen wieder auf ihre Räder und machten sich auf die Verfolgung. Ullrich fuhr weiter. Bis heute ist ungeklärt, ob der Deutsche auf seinen Kontrahenten gewartet hat oder nicht. Anhand der TV-Bilder ist schwer abzuschätzen, ob er sein Tempo drosselte. Dafür spricht, dass nur kurz darauf die bereits abgehängten Mitfavoriten wieder aufschließen konnten. Tyler Hamilton (CSC) fuhr wild gestikulierend neben Ullrich und ermahnte die gesamte Gruppe, auf das gestürzte Gelbe Trikot zu warten. Derweil wäre eben jener Armstrong fast erneut gestürzt, als er mit seinem rechten Schuh aus dem Pedal rutschte. Doch diesmal hatte er Glück. Ohne weiteren Sturz konnte er gemeinsam mit einem Teamkollegen und dem ebenfalls gestürzten Mayo wieder aufschließen. Es dauerte nicht lange, da hagelte es weitere Attacken. Schließlich konterte Armstrong endgültig – und ließ alle stehen.
Lance Armstrong:
„Ich wusste, dass sie warten. Ich tat das gleiche für Jan 2001, als er auf der Abfahrt vom Peyresourde gestürzt war. Ich verhielt mich damals korrekt und er verhielt sich diesmal korrekt.“
Hat Ullrich gewartet oder nicht?
Armstrong gewann die Etappe und konnte seinen Vorsprung in der Gesamtwertung um 52 Sekunden ausbauen. Aus 15 Sekunden wurden 67. Es war die Entscheidung. Im Zeitfahren gelang es Ullrich nicht, Armstrong Zeit abzunehmen. Im Gegenteil: Der Texaner war elf Sekunden schneller. Am Ende sollte er die Tour de France 2003 mit 61 Sekunden vor Ullrich gewinnen. Monate später revidierte Armstrong seine Einschätzung. Nach dem Studieren der TV-Bilder war er zu der Ansicht gekommen, Ullrich hätte nicht gewartet. Zwei Jahre zuvor – übrigens genau zwei Jahre zuvor, also am 21.07.2001 – kam Ullrich auf der Abfahrt vom Peyresourde zu Fall. Armstrong wartete demonstrativ, indem er auf dem Rad Dehnübungen machte und sich immer wieder umblickte. Ullrich konnte wieder aufschließen. Der Etappensieg ging dennoch an Armstrong.