Test / Rennrad / Bekleidung: Bei der Gravel-Runde oder auf einer Radreise: Überall dort, wo man sich locker kleiden will, ist Raphas Radhose mit Taschen in ihrem Element. Mit dem Stauraum eines Trikots macht sie dieses überflüssig –Velomotion hat ausprobiert, ob das funktioniert.
Ob Sport oder Alltag: Wie wir uns kleiden, hat nicht nur mit Funktion zu tun. Ebenso wichtig ist, was angemessen ist, wie wir gesehen werden wollen und wie wir uns fühlen. Und nicht zuletzt, was für Ansprüche wir an uns haben: Wer mit frisch rasierten Beinen und im engen Aero-Trikot auf seine Rennmaschine steigt, will sich und der Welt etwas beweisen, sei es auf der Rennstrecke, bei der Clubausfahrt oder im Training. Und gegen sportlichen Leistungswillen dieser Art gibt es rein gar nichts zu sagen – höchstens, dass manchmal etwas anderes dran ist.
Zum Beispiel eine lockere Runde ohne Leistungsdruck und Trainingsziele, bei der Effizienz und Geschwindigkeit der Freude an der Bewegung untergeordnet sind. Einfach nur unterwegs sein, ohne an Umfänge, Trainingszonen und das „große Ganze“ zu denken – so wie jemand, der eben nicht „trainiert“, sondern nur gerne Rad fährt. Klar, das geht auch im engen Trikot und mit der verspiegelten Sportbrille, aber es kann durchaus sein, dass man sich damit selbst unter Druck setzt, eben doch wieder auf den Output zu achten, aufs Trainingsziel statt auf den Weg.
Der perfekte Gravel-Kompagnon?
Der erste Schritt dazu, hier etwas Druck rauszunehmen, könnte sein, das Rennrad mal im Keller zu lassen und sich stattdessen auf einen Crosser oder ein Gravel-Bike zu setzen. Alleine vom Asphalt wegzukommen, nimmt etwas von dem Anspruch, flott im Straßenverkehr mitzuschwimmen, das gewohnt scharfe Tempo vorzulegen, damit am Ende der Schnitt stimmt. Wer auf Wirtschaftswegen und im Wald fährt, könnte merken, dass es mit einem Mal nicht mehr darum geht, schnell zu sein – zum entspannten Gefühl, nicht auf den Verkehr achten zu müssen, gesellt sich die Erkenntnis, dass es eigentlich nur auf ein angenehmes Belastungsgefühl in den Beinen ankommt.
Schritt zwei – und damit sind wir beim Thema – könnte sein, sich anders anzuziehen: lockerer, vielleicht auch weniger auffällig; aber jedenfalls so, dass wir nicht hinter einem vermeintlich sportlichen Anspruch zurückbleiben. Also T-Shirt statt Trikot, und da trifft es sich, dass es die schlichten Hemden natürlich längst aus funktionellen Materialien gibt – zum Joggen etwa. Schon dabei nervt die Tatsache, dass man den Schlüsselbund immer in der Hand halten muss (das Handy kann man ja heute am Oberarm befestigen), wie soll man es also beim Radfahren machen?
Für genau diesen Zweck hat Rapha bereits vor einem Jahr etwas erfunden, was erst einmal seltsam wirkt: eine Radhose mit Taschen an den Oberschenkeln und am Rücken. Anfangs nur in der edlen „Brevet“-Ausführung erhältlich, sind Raphas Cargo Bib Shorts nun auch in der günstigen Core-Variante erhältlich – als Trägerhose für 135 Euro und als Shorts für 115 Euro. Breitensport-taugliche Preise also und ein guter Grund, sich die innovative Hose einmal genauer anzuschauen.
Erst einmal präsentiert sich die Rapha Core Cargo Bib Shorts in unauffälligem Schwarz; in vielen Details entspricht sie Raphas Einsteiger-Radhose: nahtloser Beinabschluss mit großflächiger Gummierung (was beim Anziehen etwas umständlich ist, dann aber super hält), ein nicht zu weiches, eher schlicht geformtes Sitzpolster sowie eine Mischung aus konventionellen und Flachnähten. Die teure „Pro Team“-Trägerhose wird komplett mit letzteren verarbeitet, was sich aber zumindest auf kürzeren Strecken nicht spürbar auf den Tragekomfort auswirkt.
Ein Unterschied zur normalen Core-Hose ist der kleinere Rückenausschnitt an der Trägerpartie, bedingt durch die Anbringung der Taschen. Diese befinden sich in etwa dort, wo die Rückentaschen eines Trikots liegen würden; ihre Grundfläche ist gut postkartengroß. Die mittlere Naht, die die zwei Taschen trennt, ist oben mit einer geklebten Verstärkung versehen, damit der Stoff nicht einreißt. Die seitlichen Taschen sind etwas tiefer ausgeführt. Hält man die Trägerhose in der Hand, wirken die Taschen eher locker; beim Tragen werden sie dann sozusagen vorgespannt und liegen fest an. Das elastische Netzmaterial ist so flexibel, dass es auch ungünstig geformte Gegenstände umschließt; der Abschluss der Taschen, der an den Beinen leicht bogenförmig ausfällt, liegt eng an, wenn nicht gerade oben etwas aus der jeweiligen Tasche herausschaut.
Überraschend viel Stauraum
Je größer ein Gegenstand, desto weniger tief kann er logischerweise in die Taschen eingeschoben werden; theoretisch passt jedenfalls auch eine Trinkflasche in jede Tasche. Wie Trikottaschen auch, sind die Taschen der Cargo Bib Shorts aber eher auf flache Dinge abgestimmt – ein Etui, Energieriegel, eine Sonnenbrille. Kantige, spitze Formen lassen sich nicht so einfach hineinschieben und könnten das Material beschädigen – natürlich haben wir es nicht drauf angelegt. Andererseits könnte man sich natürlich bei einem Sturz an mitgeführten Gegenständen verletzen; auch das sollte beim Beladen der Taschen bedacht werden.
Natürlich ist es erst einmal ungewohnt, an sich herunterzuschauen und an den Oberschenkeln Taschen zu sehen. Na gut! In die Rückentasche packe ich Minipumpe und Schlüssel, dazu das Etui mit dem Smartphone – für Fotozwecke wird es später ans Bein wandern. Dort wird auch die Sonnenbrille verstaut. Als Oberbekleidung dient mir ein Rapha Technical T-Shirt aus dem Vorjahr, das aus dem dünnen Material eines Radtrikots besteht und gleich mal die Vorzüge dieses Looks bestätigt: Das Shirt flattert angenehm im Wind und ist schön luftig an einem so heißen Tag; hinten liegt es nicht so eng an wie ein von den Rückentaschen beschwertes Trikot. Die Option, es per Reißverschluss weiter zu öffnen, um noch mehr Luft hereinzulassen, besteht natürlich nicht. Viel langsamer als sonst bin ich im T-Shirt übrigens nicht unterwegs.
Hoher Tragekomfort, auch voll bepackt
Die Cargo-Hose wiederum trägt sich ausgesprochen unauffällig. Pumpe und Etui sind am Rücken kaum spürbar und drücken kein bisschen, auch die Brille am Oberschenkel spüre ich kaum. Angesichts der wechselnden Lichtverhältnisse im Wald ziehe ich sie immer wieder auf und setze sie ab; dass sie so leicht zu erreichen ist, erweist sich dabei als sehr praktisch. Auf meiner nächsten Tour packe ich noch ein paar Radhandschuhe, eine Radmütze und eine Windweste ein – Platz genug habe ich ja.
Die von Raphas Cargo Bib Shorts versprochene Flexibilität beim Anziehen ist also eine gute Sache. Klar kann man auch im Trikot entspannt radeln, doch gerade an heißen Tagen geht es mit der getesteten Kombination noch einmal locker und luftiger – vom mentalen Entspannungs-Aspekt ganz zu schweigen. Und nicht zuletzt dürfte es Radfahrer geben, denen ein richtiges Radtrikot zu sportlich ist. Rapha bietet die Taschen-Hose als Core Cargo Shorts übrigens auch ohne Träger an – dann jedoch nur mit den seitlichen Taschen, was bereits ein großer Vorzug sein kann.