Test / Cargobike: Mit dem Riese & Müller Load 75 hatten wir ein dank Vollfederung extrem komfortables und dank zahlreicher Aufbauten auch enorm vielseitiges E-Cargobike im Test, das sich nur in winzigen Details Schwächen erlaubt.
Unser Testrad: Riese & Müller Load 75 touring
Das Riese & Müller Load 75 wurde zum Saisonfinale im letzten Jahr präsentiert und basiert in weiten Teilen auf dem bereits davor bekannten und bewährten Load 60. Im Gegensatz dazu bringt es jedoch satte 50% zusätzlichen Stauraum mit, wobei die Abmessungen selbst nur um einige Zentimeter gewachsen sind. Beeindruckend! So hat Riese & Müller nun auch bei seinem vollgefederten Modellen eine Variante für den Transport von drei Kindern im Programm. Apropos Vollfederung: Wie auch beim Load 60 ist diese natürlich eines der ganz großen Highlights am Load 75.
Viel Komfort dank Control Technology
Während Federgabeln an Lastenrädern mittlerweile keine Seltenheit mehr sind, ist die Hinterradfederung, Riese & Müller nennt sie Control Technology, ein echtes Alleinstellungsmerkmal. 70mm (vorn) bzw. 80mm (hinten) Federweg machen aus dem Load zwar gewiss kein Mountainbike, doch das wäre auch am Einsatzbereich eines Cargobikes vorbei. Stattdessen sollen sie die hierzulande nicht immer entsprechend asphaltierten Radwege etwas komfortabler machen – für Fahrer und Mitfahrer gleichermaßen.
Bei beiden Federelementen, Gabel und Dämpfer, entscheidet man sich bei Riese & Müller für Varianten mit Stahlfedern. Diese sind etwas sensibler, wartungsärmer, lassen sich aber nicht ganz so gut auf unterschiedliche Gewichte oder Beladungen einstellen. Bei einem Lastenrad nicht allzu tragisch – die Entscheidung für Wartungsarmut und Komfort macht Sinn. Schön zudem: Der optional erhältlich Heckgepäckträger ist ebenfalls gefedert.
Unser Testrad entsprach weitestgehend der Standardausstattung des Load 75 touring – wir hatten lediglich die Hohen Seitenwände, den Heckgepäckträger und einen zweiten Akku montiert.
Eine Rahmengröße, kein Problem?
Wie bei den meisten Lastenrädern üblich ist auch das Load 75 nur in einer einzigen Rahmengröße erhältlich. Das hat gleich mehrere Gründe. Die einen sind ökonomischer Natur: Konstruktion und Produktion eines Lastenrads sind um ein Vielfaches kostspieliger als bei einem „normalen“ Fahrrad. Entsprechend würde es die Verkaufspreise unverhältnismäßig in die Höhe treiben, wollte man als Hersteller hier mehrere Rahmengrößen anbieten. Andererseits würde das Anbieten unterschiedlicher Größen irgendwie auch am Einsatzbereich der meisten Lastenräder vorbei gehen, da sie oft von unterschiedlichen Personen gefahren werden, die trotz unterschiedlicher Körpergröße das Rad passend einstellen müssen.
Riese & Müller gibt an, das Load 75 sei passend von einer Körpergröße von 1,50m bis 1,95m. Möglich machen soll das ein flacher Sitzwinkel und der höhen- und winkelverstellbare Vorbau.
Hohe Variabilität dank zahlreicher Aufbauten: Vom Kindetransporter zum Lastesel
In seiner „nackten“ Standardausführung kommt das Load 75 ohne Seitenwände für die Ladefläche auf deren Boden eine stabile und unempfindliche Holzplatte die Ladung trägt. Die Ladefläche selbst misst ungefähr 73cm in der Länge und 40cm in der Breite – da ist also ganz schön viel Platz. Die Seitenwände sind praktisch und in zwei Höhen erhältlich. Je nach Einsatzbereich sind sie jedoch eventuell aber auch gar nicht notwendig: Durch die Rahmenkonstruktion mit der „Reling“ seitlich der Ladefläche lassen sich größere Gepäckstücke hier auch bequem anlehnen oder auch festzurren.
Für den Kindertransport gibt es natürlich die Möglichkeit, das Load 75 mit einem Doppelsitz auszustatten – auch ein zusätzlicher dritter Sitzplatz entgegen der Fahrtrichtung lässt sich dazubestellen. Dank 5-Punkt Gurt lassen sich die Kleinen auch bequem und zuverlässig sichern. Für Regenfahrten ist auch eine äußerst geräumige Regenhaube erhältlich deren großzügige Fenster den Fahrspaß für die Mitfahrer erheblich vergrößern.
Wer sich für die hohen Seitenwände ohne Kindersitz entscheidet, bekommt eine enorm geräumige Ladewanne, in der sich vollkommen problemlos mehrere Getränkekisten unterbringen lassen. Praktisch platzierte Öffnungen für Spanngurte erlauben auch die Befestigung von größeren Gegenständen, die über die Ladefläche hinausragen. Wem das dann noch immer nicht ausreicht, hat am Load 75 zusätzliche die Option, noch einen Heckgepäckträger zu montieren – optimal beispielsweise für Radtaschen auf dem Weg ins Büro. Unendliche Möglichkeiten also? Fast – denn einen kleinen Wermutstropfen gibt es dann doch. Mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 200kg bewegt man sich für ein Lastenrad in dieser Größenkategorie eher im unteren Durchschnitt. Insbesondere schwere Fahrer sollten dies beachten. Unser Testrad brachte mit Heckgepäckträger, hohen Seitenwänden, Doppelkindersitz und Zweitakku 51,5kg auf die Waage. Bei einem Fahrergewicht von 90kg bleiben dann beispielsweise noch knapp 60kg Zuladung übrig.
Modelle, Ausstattungen, Preise – bald auch mit Bosch Cargo Line Motor?
Das Riese & Müller Load 75 kommt in zwei Basisvarianten, die sich hauptsächlich in puncto Schaltung unterscheiden. Die von uns getestete Variante Load 75 touring hat die bekannte und bewährte Deore XT 11-fach Kettenschatung von Shimano verbaut, wohingegen das Load 75 Vario mit einer Enviolo Schaltnabe ausgestattet ist.
Beide Varianten bieten eine Übersetzungsbandbreite von ca. 380% und unterscheiden sich vor allem bei ihrer Charakteristik und dem Gewicht. Das Touring-Modell mit Kettenschaltung dürfte sich etwas sportlicher fahren mit knackigen Schaltsprüngen und einem etwas geringeren Gewicht am Hinterrad. Die stufenlose Enviolo Nabe passt dagegen perfekt zum hohen Komfort-Anspruch des Lastenrads.
Von beiden Ausstattungsvarianten ist auch eine hs (=Highspeed) Version mit einem Bosch Performance Speed Motor erhältlich. Diese S-Pedelecs unterstützen dann bis 45km/h und liegen preislich 600 Euro über den Standardmodellen.
Dank des variablen Aufbaus und des online-Konfigurators lassen sich die Räder zudem auch in einigen Punkten auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. So sind gegen Aufpreis statt des Intuvia Displays auch die KioX und Nyon Varianten von Bosch erhältlich, ebenso wie das Dual Battery System mit einem zweiten 500Wh Akku. Letzteres schlägt mit satten 899 Euro Aufpreis zu Buche.
Ab 2020 mit Bosch Cargo Line Motor?
Anfang Juni waren wir in Stuttgart bei der Bosch-Präsentation der neuen Motoren – darunter auch den neuen Cargo Line Antrieben. Vor Ort gab es für uns Gelegenheit, die Motoren an einigen Testrädern für einige Meter zu fahren; das Cargobike erinnerte mit seiner Vollfederung und der gesamten Rahmenkonstruktion verdächtig an das Load – insofern rechnen wir damit, dass Riese & Müller demnächst, vielleicht bereits Anfang September auf der Eurobike, die neuen, aktualisierten Modelle der Öffentlichkeit präsentieren wird.
Fahr- und Praxiseindrücke: Komfort ist King
Unser Testrad musste sich über einen längeren Zeitraum in unterschiedlichem Gelände und verschiedenen Anwendungsbereichen bewähren. Um es gleich zu Beginn kurz zu machen: Das Riese & Müller Load 75 ist ein hervorragendes, vielseitiges und insbesondere komfortables Lastenrad, das nur bei einigen minimalen Details Grund zur Kritik zulässt. Bleiben wir jedoch zunächst beim Positiven: Die überwiegende Zeit waren wir mit den hohen Seitenwänden und ohne Kindersitz unterwegs. So hat man ein wirklich großes Ladevolumen, das sich gut und einfach verstauen lässt. Dazu trägt auch der stabile und gut konstruierte Doppelständer bei. Ist das Rad voll beladen, braucht es zwar ein wenig Kraft, um es auf den Ständer zu hieven, dann steht das Rad jedoch vollkommen sicher, auch auf nicht ebenem Untergrund.
Wer das Fahren von Lastenrädern gewohnt ist, wird sich auch auf dem Load 75 auf Anhieb wohl fühlen. Das Fahrverhalten bewegt sich in einem angenehmen Spektrum zwischen sportiv und tourig und dürfte sehr vielen Fahrern bzw. Fahrerinnen entgegenkommen. Das bereits angesprochene Alleinstellungsmerkmal, die Vollfederung, ist während jeder Sekunde im Sattel spürbar. Dank des kurzen Hubs und der eher straff gewählten Abstimmung versinkt man beim Aufsitzen nicht im Federweg, auch unangenehmes Wippen stellt sich zu keinem Zeitpunkt ein. Wird die Straße schlecht oder man verlässt den Asphalt gar komplett, mag man seinem Hintern kaum trauen: Selbst der kurze Federweg macht einen gigantischen Unterschied zu komplett ungefederten Cargobikes. Selbst flache Bordsteine, Kanaldeckel oder andere Unebenheiten im Alltag werden fast gänzlich aufgesaugt.
Überzeugende Ausstattung, bergauf und bergab
Unsere Testregion im Bayerischen Wald ist selten komplett flach, meist geht es hier munter hoch und runter, was dem Riese & Müller Lastenrad keine Probleme bereitete. Das Zusammenspiel aus Bosch Performance CX Motor und der großen Bandbreite der XT 11-fach Schaltung macht auch steilere Rampen bei voller Beladung gut und ohne große Anstrengung befahrbar. Auch wenn es von besagten Rampen wieder nach unten geht, macht das Load eine gute Figur – auch wenn die Tektro Auriga Bremsen bei voller Beladung an ihre Grenzen kommen. Hier hätten wir uns ein etwas kräftigeres Modell gewünscht.
Überraschend wendig – mit einem Wermutstropfen
Das Load 75 hat einen Radstand von etwas über 2m – damit liegt man in einer Liga mit den größeren einspurigen Cargorädern, doch das Load lässt sich wirklich überraschend gut manövrieren, auch wenn es mal etwas enger auf der Straße oder dem Radweg wird. Verantwortlich dafür ist die bewährte und gut konstruierte Umlenkung, die jedoch auch einen – oder zwei – kleine Nachteile hat: Zum einen fällt der Wendekreis in Linkskurven spürbar größer aus, was anfangs etwas Eingewöhnung braucht, dann jedoch in Fleisch und Blut übergeht. Außerdem führt dies dazu, dass das Lenkgestänge bei vollem Lenkereinschlag am Schutzblech anstößt und dieses gegen den Reifen drückt.