Test: Mit dem Rocky Mountain Instinct Powerplay C 70 hatten wir ein ungewöhnliches und höchst innovatives E-MTB im Test, das so einiges anders macht als die Konkurrenz. Wo das Bike der Kanadier mit eigenem Motor überzeugen kann und wo nicht – wir verraten es euch.
Schon seit einiger Zeit mischen die Kanadier von Rocky Mountain auch im E-MTB-Markt kräftig mit. Wie man es vom Kulthersteller aus British Columbia kennt, geht man jedoch auch mit den Powerplay Modellen (so die Bezeichnung für die E-Bikes) seinen ganz eigenen Weg – mit einzigartigem Motor, großen, integrierten Akkus und seit diesem Jahr auch einem Range Extender. Das neueste Mitglied der Powerplay Familie ist das Rocky Mountain Instinct Powerplay – mit 150 bzw. 140 mm Federweg und 29 Zoll Laufrädern ein waschechter Trail-Allrounder, wie das Instinct ohne Motor eben auch.
Dyname 3.0 Motor mit viel Power
Seit dem ersten E-MTB aus dem Hause Rocky Mountain setzt man auf das Dyname Antriebssystem, das gemeinsam mit dem Kanadischen Unternehmen Propulsion Powercycle entwickelt wurde. Es unterscheidet sich optisch wie technisch grundlegend von dem, was man ansonsten an aktuellen E-MTBs sieht. Der auffälligste Unterschied optischer Natur ist die Kettenumlenkung – vom normal-großen Kettenblatt läuft die Kette zusätzlich noch über ein kleines Röllchen und von dort weiter zur Kassette. An diesem Röllchen kann der Antrieb sehr schnell und genau die Leistung des Fahrers ermitteln und entsprechend dynamisch darauf reagieren – so die Theorie. Der sehr tief im Rahmen sitzende Motor soll dabei amtliche 108 Nm maximales Drehmoment liefern – damit liegt er deutlich über Bosch CX, Shimano EP 8 und Co.
Der Akku fällt mit 672 Wh ebenfalls ziemlich groß aus – und sitzt in einem dafür erfreulich schlanken Unterrohr. Kleiner Wermutstropfen dabei: Entnehmen lässt sich der Energiespeicher nur zur Reparatur oder Wartung, nicht jedoch zum Laden. Mit dem Overtimepack bietet Rocky jedoch seit diesem Jahr einen optionalen Range Extender an, der im Rahmendreieck befestigt wird und weitere 330 Wh Kapazität liefert.
Beim Thema Bedienung hält man es minimalistisch: Die Remote kommt ohne großen Schnickschnack aus, Unterstützungsstufe und Ladestand lassen sich anhand integrierter LEDs ablesen. Auf Wunsch kann das Smartphone via kostenloser App jedoch als Displayersatz dienen.
Carbonrahmen mit sportlicher Geometrie
Das von uns getestete Modell C 70 kommt mit einem Hauptrahmen aus Carbon und einem Hinterbau aus Alu. Verarbeitung und Optik sind tadellos und dem Preis von knapp 8.000 Euro vollkommen angemessen. Dass der Hinterbau aus Alu besteht, sehen wir nicht als Problem – das dürfte beim Gewicht kaum einen Unterschied machen und mögliche Schäden bei Stürzen dürfte das Bike so auch etwas besser wegstecken. Züge und Leitungen sind sauber intern verlegt und klappern während der Fahrt nicht. Sowohl auf der Kettenstrebe als auch dem Unterrohr ist gummierter Rahmenschutz angebracht, um Schäden und Kratzern vorzubeugen.
Bei der Geometrie des Rocky Mountain Instinct Powerplay wird es spannend – aus zwei Gründen. Zum einen ist hier – wie bei allen Fullies der Kanadier – auch das Ride9 Verstellsystem wieder mit von der Partie. Über einen zweiteiligen Flipchip an der Dämpferaufnahme lässt sich hiermit nicht nur die Geometrie, sondern auch die Kennlinie des Hinterbaus in insgesamt neun Positionen anpassen. Vor allem versierte Fahrer dürften diese Option des Feintunings zu schätzen wissen.
Auch die Abmessungen selbst sind besonders: Sie entsprechen fast 1:1 dem 2020er Instinct ohne Motor. Während das bei den Abmessungen des Hauptrahmens nun nichts Besonderes und auch keine große Konstrukteurs-Leistung ist, gilt das nicht für den Hinterbau: Ein E-MTB mit 29 Zoll Laufrädern, viel Reifenfreiheit und Kettenstreben deutlich unter 450 mm findet man ansonsten am Markt quasi gar nicht. Chapeau Rocky Mountain! So verspricht die Geometrie ein wirklich agiles, sportliches Handling.
S | M | L | XL | |
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Stack | 608 | 608 | 617 | 626 |
Reach | 412 | 437 | 460 | 487 |
Steuerrohr | 100 | 100 | 110 | 120 |
Sitzrohr | 394 | 432 | 470 | 508 |
Kettenstreben | 442 | 442 | 442 | 442 |
Radstand | 1161 | 1186 | 1212 | 1244 |
BB-Drop | 30 | 30 | 30 | 30 |
Lenkwinkel | 66.5 | 66.5 | 66.5 | 66.5 |
Sitzwinkel | 75.2 | 75.3 | 75.1 | 75.1 |
Durchdachte Ausstattung ohne Schnitzer
Das von uns getestete Rocky Mountain Instinct Powerplay C 70 kommt zum Preis von 7.900 Euro mit einer rundum gelungenen Ausstattung, an der wir nichts auszusetzen haben: Das Fox Fahrwerk mit 36er an der Front und DPS Dämpfer im Heck in Performance Elite Ausführung steht der edlen Factory-Variante auf dem Trail quasi in nichts nach und erledigt seinen Job tadellos. Dass man beim Dämpfer auf einen Ausgleichsbehälter verzichtet, dürfte sich allenfalls bei sehr langen Abfahrten überhaupt bemerkbar machen.
Schaltung und Bremsen kommen komplett aus Shimanos XT-Reihe. Der Antrieb bietet satte 510% Übersetzungsbandbreite und die 4-Kolben Bremssättel vorn und hinten werden mit großen 203 mm Scheiben kombiniert. Gelungen ist auch die Wahl der Reifen – mit der beliebten Minion DHF und DHR II Kombination ist man für quasi jeden Untergrund gewappnet, dank stabiler Exo+ Karkasse wird Durchschlägen vorgebeugt.
Auch in der B-Note finden wir quasi keine Kritikpunkte: Weder an den Race Face Alufelgen, noch an der Race Face Dropper Post oder dem Cockpit aus eigenem Hause haben wir etwas auszusetzen.
Rahmen | Smoothwall Carbon / Alloy Rear |
Federgabel | Fox 36 Performance Elite Fit4 |
Antrieb | Dyname 3.0 Class 1 |
Akku | 672 Wh |
Dämpfer | Fox Float DPS Performance Elite |
Laufräder | Race Face AR 35 |
Reifen VR | Maxxis Minion DHF MaxxTerra Exo+ 2,6" |
Reifen HR | Maxxis Minion DHR II MaxxTerra Exo+ 2,6" |
Schaltwerk | Shimano XT M8100 |
Schalthebel | Shimano XT M8100 |
Kurbel | Race Face Aeffect 34t |
Umwerfer | Ohne |
Bremse | Shimano XT M8120 |
Bremsscheiben | Shimano RT 66 203 mm |
Sattelstütze | Race Face Turbine R |
Sattel | WTB Volt Race |
Vorbau | Rocky Mountain 35 AM |
Lenker | Rocky Mountain AM 780 mm |
Auf dem Trail
Um es direkt vorweg zu nehmen: Mit dem Rocky Mountain Instinct Powerplay haben die Kanadier ein wirklich einzigartiges E-MTB im Programm. Wie kein zweites verbindet es einen enorm kräftigen Antrieb mit quirligem Handling und ganz viel Potenzial für’s Gelände.
Beim Antrieb muss man sich zunächst ein wenig umstellen: Die drei Unterstützungsstufen unterscheiden sich recht stark und wollen auch entsprechend eingesetzt werden. Der Eco-Modus liefert ein Minimum an Unterstützung, dafür gibt’s in der dynamischen Stufe Trail einen reaktionsschnellen Motor, der auf Wunsch auch so richtig zupacken kann. Wie viel Power aber wirklich in dem Kraftpaket steckt, spürt man vor allem in der stärksten Einstellung – im Gelände reicht ein nervöses Zucken im Fuß, um den Hinterreifen durchdrehen zu lassen. Ein riesiger Spaß auf befestigtem Untergrund, für technische Uphill-Passagen halten wir den Trail-Modus jedoch für geeigneter.
Ansonsten fällt die eigenwillige Geräuschkulisse auf. Der Motor selbst ist überraschend leise, selbst bei Höchstleistung, doch die Kettenumlenkung ist mit einem Rasseln jederzeit hörbar. Das monotone Geräusch lässt sich in der Praxis zwar ganz gut ausblenden, aber empfindliche Biker sollten eventuell probefahren oder -hören.
In der Abfahrt bzw. auf dem Trail gibt sich das Bike genau so, wie man es anhand der Geometriedaten vermuten konnte: Spaßig, verspielt, vielseitig. Das Gewicht von 23,2 kg ist kaum spürbar, das poppige Fahrwerk lädt zum Spielen ein und verzeiht auch mal eine etwas unsaubere Linienwahl. Andere Hersteller werben oft mit dem Versprechen: „Fühlt sich an wie ein MTB ohne Motor“ – im Falle des Instinct Powerplay trifft genau das auch zu, im positiven Sinne!