Nach dem Europa-Block mit Stopps in Schottland, Frankreich und Italien ging es ab nach Übersee. Es war an der Zeit, die zweite Halbzeit der Enduro World Series (EWS) einzuläuten. Zielort: Winter Park, Colorado. Diesmal, wie schon im letzten Jahr, stand ein Rennen im Retorten-Skiort im Herzen der amerikanischen Rocky Mountains auf dem Plan.
Letztes Jahr waren wir sehr kurzfristig angereist und hatten die volle Wucht des Jetlags zu spüren bekommen. Das war uns eine Lektion und daher reisten über eine Woche früher an und schüttelten die acht Stunden Zeitdifferenz vor dem Rennen rechtzeitig ab. Die Höhe in Winter Park stellt jedoch eine weitere Herausforderung dar, die nicht zu verachten ist. Obwohl es aussieht wie im Mittelgebirge, liegt allein die Talstation des „Trestle Bike Parks“ schon auf 2.800 m über dem Meeresspiegel. So hoch hinaus kommen wir oft nicht mal auf den Gipfeln der Alpen… Die Atmung wird schwer und das Herz schlägt selbst in der Nacht fast doppelt so schnell wie üblich. Höhentrainingslager inklusive Wettkampf – der Vorteil sollte klar bei den Locals liegen.
Die bekannten täglichen Gewitter am Nachmittag sorgten für eine neue Besonderheit im Rennformat: die fünfte Runde der EWS wurde in sieben Stages über 3 1⁄2 Tage ausgetragen. Vormittags war Racen angesagt, am Mittag wurden die Stages des nächsten Tages bekannt gegeben und zum Training freigegeben. Lange Tage für das komplette Team, allen voran unsere Mechaniker Marc und Dougie.
Tag eins spielte sich nur im Bike Park ab. Als Enduro-Racer ist man ausgefahrene Parkstrecken mit Doubles, Anliegern und fiesen Bremsewellen nicht so gewohnt. Ein Blick auf die Ergebnislisten sollte das schnell bestätigen. Die Locals kannten alle Strecken aus dem Effeff und platzieren sich vor vielen Favoriten. Joe Barnes war trotzdem sehr zufrieden: “Letzes Jahr war ich auf der gleichen Stage noch 30. Jetzt als 17. anzukommen ist ein guter Schritt. Die Stage an sich war gut, aber ab der Mitte hat mein Magen nicht mehr mitgespielt. Ganz komisches Gefühl. Dann hab ich noch einen Sprung ziemlich übersprungen. Da war ich auf jeden Fall schneller als im Training. Ich hing dann so halb über dem Bike, wie ein Motocross-Racer. Das war genau da ziemlich perfekt. Danach war ich so geflasht, dass der Rest wie geschmiert lief. Ist schon ganz schön brutal da draußen.“
Der zweite Tag versprach dank des Streckenlayouts mehr Abwechslung und lockte mit bis dato unbekannten und unbefahrenen Wanderwegen abseits des Resorts. Das war leider so gar nicht nach Ludo Mays Geschmack:
“Die Stages 4 und 5 waren ultrakurz, zum Teil sogar weniger als zwei Minuten. Das sind wir so nicht gewohnt. Diese Wanderwege sind sehr staubig und besonders am Anfang ziemlich eng. Eigentlich nicht für‘s Mountainbiken geeignet. Da wird‘s auch mit dem Lenker zwischen den Bäumen ganz schön eng. Dazu ist es auch noch sehr flach – das mag ich überhaupt nicht, ziemlich unsexy. Aber das ist nun mal die amerikanische Interpretation von Enduro. Das haben sie auch diesmal wieder bewiesen und wir hätten es wissen können, bevor wir hierher kamen.“
Gleich zu Beginn des dritten Tages sollte es dann große Aufregung geben. Beim Lauf der Frauen verunglückte eine lokale Racerin leider so schwer, dass die Strecke für den Lauf der Männer gesperrt werden musste. Leider passierte dies erst, nachdem die ersten zehn Männer schon durch waren. Natürlich waren die Zeiten nicht brauchbar und so entschied Chris Ball, der EWS Managing Director, dass alle Männer zu einem Re-Run nochmal hoch müssen. Das sorgte natürlich bei einigen für Unverständnis und brachte den Ablaufplan komplett durcheinander, aus Fair-Play-Sicht war es aber die absolute richtige Entscheidung.
Die Racerin ist stabil und kam flott ins Krankenhaus in Denver. Die 6. Stage musste also zweimal gefahren werden – dass es die Anstrengendste des ganzen Wochenendes war, konnte man sich ja nicht aussuchen. Stage 7 war ähnlich der ersten und alle konnten bergab nochmal kräftig am Gashahn drehen. Am Ende schauten wir mit gemischten Gefühlen auf die Ergebnislisten: Joes wurde Siebter, Ludo landete auf Platz 52 und Ines Thoma belegte einen achtbaren 10. Rang. Joes Resümee nach dem Rennen fiel positiv aus:
“Das war für mich eigentlich ein Top-Rennen. Viel besser als im letzten Jahr und auch als erwartet. Gut, dass ich konstant an der Spitze bin und eine Stage am Samstag um ein Haar gewonnen hätte. Ich habe mich das ganze Wochenende echt gut gefühlt und bin jetzt ziemlich enttäuscht von der letzten Stage. Mein Run war okay, doch dann sah ich die Zeit – und dachte: Das kann eigentlich nicht wahr sein, so langsam? Aber auch das Timing Back-Up hat‘s bestätigt. Da wären noch zwei Plätze drin gewesen, aber immerhin ist es wieder ein solides Top-Ten-Ergebnis. Jetzt schnell ab nach Whistler!“
Nach einem Tag Ruhe für Mensch und Material geht es in den Flieger nach Vancouver. Check-In: Denver-Vancouver. Whistler, das Bike-Mekka schlechthin, erwartet uns. In nicht mal zwei Wochen gibt‘s die nächsten Strive Diaries.