Radsport: Hippe Bärte, cooler Style, großes Engagement: Das Guilty76 Racing Team aus dem Rhein-Main-Gebiet will keine Mannschaft wie jede andere sein – und zieht damit große Aufmerksamkeit auf sich. Eine Annäherung an dieses etwas andere Radteam.
„Wir sind kein Verein“, betont Florian Jöckel im Gespräch vehement, „wir sind eher so eine Art Gang.“ Der Gründer und führende Kopf des Guilty76 Racing Teams sieht, „dass viele Leute ambitioniert und mit viel Spaß Radfahren, aber keine Lust haben auf das klassische Vereinsleben.“ Mitgliedsbeitrag oder -Ausweis, Vereinsheim oder Jahreshauptversammlung sind Fremdwörter für die Guilty76 Racer. Die Sportlerinnen und Sportler eint eher ein Lebensgefühl.
„It´s only Rock´n´Roll“ steht auf den Hosen, Namensgeber Guilty76 ist eine Agentur für Rockmusiker und Tournee-Organisation. Modische Bärte und schwarz-gelbe Retro-Klamotten dominieren das Erscheinungsbild. Das Team hat die Anmutung einer Art St. Pauli auf Rädern. Von hippen Großstädtern auf Stahl-Fixies scheint es ein kurzer Weg zu sein zu den Rock´n´Roll-Radlern auf Carbon-Maschinen. Doch Mode- und Lifestyle sowie eine gewisse Lockerheit sind nur ein Aspekt. Was das Guilty76 Team darüber hinaus ausmacht, ist eine tiefe, aufrichtige Liebe zum Radsport – nicht zu einem glamourösen VIP-Radsport mit Business-Lounge, sondern zum Kopfsteinpflaster-Radsport im Schatten der Fördertürme von Roubaix.
Vielfältiges Engagement, klare Aufnahmebedingungen
Angetrieben vom Willen, „die untergehende Kultur des Radsports am Leben zu erhalten“ (Jöckel), zeigen sich die Guilty76-Racer umtriebig: Das Guilty76 Team hat den Stoppomat am Feldberg im Taunus vorangetrieben und dort ein Einweihungsfest sowie ein Bergrennen veranstaltet, ist zu einem festen Bestandteil des Rennens „Eschborn-Frankfurt“ geworden, organisiert den Seesprint bei der Eurobike-Messe in Friedrichshafen und das „We love cycling“-Openair in Frankfurt. Darüber hinaus hilft man an den Verpflegungsstellen des Frankfurter Ironman, unternimmt einmal im Jahr eine große Radreise in die Alpen oder Pyrenäen und feuert vor Ort bei Mailand-Sanremo, Paris-Roubaix oder Tour de France die Guilty76-Gangmitglieder John Degenkolb und Simon Geschke an.
Dieses vielfältige Engagement hat große Aufmerksamkeit erregt. Die Facebook-Seite des Guilty76 Racing Teams verzeichnet mittlerweile über 1.600 Likes. Schnell haben sich Freundschaften und Kooperationen mit anderen Akteuren der Radszene ergeben: bruegelmann.de sponsert jedem Mitglied einen kompletten Trikotsatz, Votec liefert Räder, von Lightweight kommt schon mal ein Testlaufradsatz.
Mitmachen darf aber lange nicht jeder, der will. Ähnlich wie bei einem Motorradclub benötigt man zwei Bürgen, die sich für die Aufnahme einsetzen. Während Vereine zunehmend über Mitgliederschwund und ausbleibenden Nachwuchs klagen, gönnt sich das Guilty76 Team den Luxus, Interessierte abzulehnen. „Wir wollen mit den richtigen Leuten coole Sachen machen und Spaß haben“, erläutert Jöckel die strikten Aufnahmebedingungen, „und man kann nun mal nicht jedem Rock´n´Roll auf den Arsch schreiben.“ Über 150 Mitglieder hat das Team mittlerweile, endlos wachsen soll es nicht. Bei solchen Zahlen können viele klassische Radsportvereine gut mithalten, bei der Frequenz und Öffentlichkeitswirksamkeit der Guilty76-Aktivitäten hingegen nicht.
Breitensport soll Breitensport bleiben
Beim Heimrennen „Eschborn-Frankfurt“ zeigt man traditionell besondere Präsenz. „Die terrorbedingte Absage in diesem Jahr war ein Schock“, erinnert sich Jöckel. Kurzfristig organisierte er mit dem Guilty76 Team, Polizei und Rennveranstalter eine alternative Trainingsausfahrt samt Freibier, an der an die 1.000 Jedermänner und -frauen teilnahmen.
Bei aller Liebe zum Heimrennen „Eschborn-Frankfurt“ entwickelt sich der Breitensport in Jöckels Augen mit Formaten wie dem German Cycling Cup in die falsche Richtung. „Da fahren vorne irgendwelche Spinner weit über der Leistungsgrenze normaler Hobbysportler, bekommen von mittelständischen Unternehmen 500 bis 600 Euro im Monat und sind erheblich besser ausgestattet als jedes Amateurteam. Das hat mit Jedermann-Sport nichts mehr zu tun. Als Hobbyrenner freut man sich über die abgesperrten Straßen und den sportlichen Wettstreit mit Konkurrenten. Die sollen aber bitte unter gleichen Bedingungen antreten.“ Das gelte für die semiprofessionelle Spitzengruppe von etwa 150 Fahrern schon lange nicht mehr. Jöckels Bitte: „Wer richtig Rennen fahren will, soll tatsächlich in die Vereinsstruktur gehen, eine Lizenz lösen und nicht den Breitensport aufmischen. Das ist eher armselig.“
Was ist nun also dieses Guilty76-Team? Es ist irgendwo angesiedelt zwischen Radsport-Romantik und Lifestyle, Ambition und Spaß sowie dem Wunsch, den Radsport aktiv mitzugestalten. Es steht außerhalb klassischer Strukturen, achtet diese aber doch. Letztlich sind die Rock´n´Roll-Radler ein Sinnbild für die bunte Vielfalt an Akteuren, die heutzutage den Radsport prägen.
Das nächste Event – De Ronde van Bensheim
Bei der Deutschen Straßenmeisterschaft am 28. Juni in Bensheim bieten das Guilty76 Racing Team und die Rennveranstalter 666 Kurzentschlossenen die Möglichkeit, 10 Minuten nach dem Start des Damenrennens eine neutralisierte Runde auf dem Originalrennkurs zu drehen – Führungsfahrzeug, Begleitmotorräder und Besenwagen inklusive. Die 26 Kilometer lange Runde weist 400 Höhenmeter auf, gefahren wird ein 26er Schnitt. Anschließend steigt eine Riesenparty im Guilty 76-Artist Pro Village im Start- und Zielbereich. Hier können auch der weitere Verlauf des Damenrennens sowie das wenig später startende Herrenrennen verfolgt werden. Weitere Informationen und Anmeldedetails finden sich hier.