Interview: Die Tour de France 2015 war des einen Freud´, des anderen Leid: Als frisch gekürter Deutscher Meister fuhr Emanuel Buchmann ins Rampenlicht, Dominik Nerz hingegen musste aussichtsreich im Rennen liegend in den Pyrenäen vom Rad steigen. Velomotion sprach mit den beiden Profis über die Frankreichrundfahrt, ihre Freundschaft, ihr Team BORA – Argon 18 und die sportlichen Ziele in den kommenden Jahren.
Wie habt Ihr die vergangenen Wochen verbracht? Wie erholt man sich von einer Tour de France, körperlich und mental?
Emanuel Buchmann: Ich bin direkt nach der Tour noch ein paar Kriterien gefahren und war dann eine Woche bei einem Kumpel am Gardasee. Da habe ich einfach Urlaub gemacht und vom Radsport abgeschaltet. Jetzt bin ich wieder frisch und motiviert für´s Training.
Dominik Nerz: Ich bin ein Kriterium gefahren. Ich habe viel Zeit mit Familie und Freunden verbracht, einfach um Abstand zu gewinnen und Energie tanken zu können.
Du bist mit großen Ambitionen im Gesamtklassement in die Tour gestartet, musstest dann aber auf der 11. Etappe aussteigen. Wie hast Du das verarbeitet?
DN: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hab das jetzt schon komplett auf die Seite geschoben. Das braucht seine Zeit. Die Tour war für mich der absolute Saisonhöhepunkt. Da ist klar, dass man nach einer Enttäuschung eine Zeitlang braucht, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Aber ich muss sagen, mittlerweile fühle ich mich körperlich wieder fit, und mir macht es auch wieder Spaß, auf´s Rad zu steigen. Und wenn jetzt die Wettkämpfe wieder anfangen, hoffe ich, die Tour 2015 zu den Akten legen und sagen zu können „Auf ein Neues!“
Hast Du Emanuels starken Auftritt bei der Tour verfolgt?
DN: Ich muss ehrlich sagen, in den ersten Tagen nach dem Ausstieg habe ich den Fernseher bewusst nicht angeschaltet. Das war für mich zu emotional, weil ich erstmal realisieren musste, dass ich selbst nicht mehr dabei bin. Aber die Ergebnisse habe ich natürlich gesehen und auch viel gelesen, gerade über Emu. Es hat mich unglaublich gefreut, dass er da voll durchzieht und zeigt, was er kann. Und ich muss sagen Respekt und Hut ab vor dieser Leistung. Sich bei der ersten Tour-Teilnahme und dann bei einem so schweren Parcours wie in diesem Jahr so behaupten zu können und nach Paris durchzufahren, ist aller Ehren wert.
Emanuel, hast Du schon realisiert, was da passiert ist bei der Tour?
EB: Ich hatte ja nun schon ein paar Wochen Zeit, mir Gedanken darüber zu machen. Langsam wird mir schon bewusst, dass der dritte Etappenplatz in den Pyrenäen und allgemein die Tour richtig gut waren.
Ist für Dich ein Traum wahr geworden?
EB: Als Nachwuchsfahrer war ich jetzt nie so richtig gut, hab nie daran gedacht, Profi zu werden. Da war es eher ein unrealistischer Traum, mal die Tour zu fahren. Das jetzt im ersten Profijahr doch geschafft zu haben, ist schon richtig geil.
Würdet Ihr beiden Euch als Berufs- und Teamkollegen bezeichnen oder als gute Freunde?
EB: Bevor ich zu Bora-Argon 18 gekommen bin, kannte ich Dominik gar nicht, aber wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und schnell sehr gut angefreundet. Bei den Rennen sind wir eigentlich immer zusammen auf dem Zimmer und haben auch schon richtig viel Spaß miteinander gehabt.
DN: Zum gemeinsamen Training haben wir es bisher nicht geschafft, auch wenn wir gar nicht weit auseinander wohnen. Aber ich kann nur bestätigen, was Emu sagt. Ich komme aus Teams, wo so ein gutes Verhältnis zu Teamkollegen nicht immer Programm war. Jetzt steigert es auch die Vorfreude, wenn ich weiß, beim Rennen treffe ich Emu und wir sind auf einem Zimmer. Das wird dann immer gut.
Wie ist Euer Rennprogramm? Sehen Euch die deutschen Fans in diesem Jahr noch einmal hierzulande?
EB: Ich trainiere nun noch vier Wochen, dann folgt eine Reihe von Eintagesrennen in Italien mit der Lombardei-Rundfahrt als Highlight. Gerade auf dieses Rennen bin ich noch mal richtig heiß und möchte dort gut fahren. In Deutschland steht dieses Jahr leider kein Start mehr auf dem Programm.
DN: Das ist bei mir ähnlich. Ich fahre zusätzlich noch die Tour of Alberta in Kanada sowie die beiden Eintagesrennen in Quebec und Montreal. Nach der Lombardei-Rundfahrt fahre ich dann noch ein Rennen in Abu Dhabi. Anschließend ist auch bei mir Schluss.
Wie fühlt Ihr Euch im Team Bora – Argon 18 aufgehoben?
EB: Das Teamgefüge ist sehr gut. Als Neuprofi hatte ich nie den Eindruck, dass es Hierarchien gibt und sich die Mannschaft aufteilt in die jungen, eher unerfahrenen Fahrer und die alten Hasen. Wir verstehen uns alle sehr gut und fahren auch gerne und motiviert füreinander.
DN: Ich mag die Größe des Kaders. Bei BMC habe ich manche Fahrer einmal im Jahr im Trainingslager gesehen und dann für den Rest der Saison nicht mehr. Das ist jetzt anders. Man kennt seine Kollegen, verbringt Zeit miteinander, zieht an einem Strang. Die Tatsache, dass Bora – Argon 18 „nur“ mit Professional Continental Lizenz fährt, empfinde ich nicht als Nachteil. Wir sind bei allen großen Rennen dabei, aber auch die kleinen Rundfahrten, die man als World Tour-Team wahrscheinlich gar nicht mehr fahren würde, machen richtig Spaß.
Der Wechsel in Liga Zwei war also kein Rückschritt?
DN: Auf keinen Fall! Ich fühle mich wohl, übernehme Verantwortung, und die Motivation ist top. Unser Equipment und unser Fuhrpark sind vom Allerfeinsten. Da sind wir besser aufgestellt als manches World Tour-Team. Ich persönlich weiß gar nicht, ob man den Schritt in die Erste Liga überhaupt gehen muss. Dann müsste der Kader erweitert werden, weil man noch viel mehr Rennen bestreiten muss. Bringt uns der höhere Status so viel ein oder fahren wir nicht auf unserer derzeitigen Schiene sehr gut?
Man hätte natürlich die Startgarantie bei den größten Rennen.
DN: Ich gehe schwer davon aus, dass wir auch 2016 zu einer der drei Grand Tours eingeladen werden. Vielleicht lehne ich mich auch zu weit aus dem Fenster. Aber wenn ich sehe, wie wir aufgetreten sind in diesem Jahr, wie wir gefahren sind, was wir erreicht haben, haben wir ein gutes Zeugnis abgelegt. Das sehen die Veranstalter auch. Man kann uns schon auch als Talentschmiede bezeichnen. Emu hat schon bewiesen, dass er ein richtig Guter ist. Die Teamleitung unterstützt uns alle sehr gut, baut uns gut auf, lässt aber auch genug Freiraum.
EB: Die dreiwöchigen Rundfahrten sind schon das Größte im Radsport. Da möchte ich mich weiter entwickeln, in Richtung eines Klassementsfahrers.
Für Euren Sport nehmt Ihr viele Entbehrungen in Kauf. Fehlt es Euch als junge Menschen nicht manchmal, es am Wochenende wie die Altersgenossen krachen zu lassen?
EB: Ganz einfach ist das sicher nicht, wenn die Kumpels, mit denen man in der Schule war, feiern gehen, und man selbst muss trainieren oder hat ein Rennen. Aber wenn man Ziele hat und motiviert ist, kann man auch darauf verzichten. Im Oktober und November kann man ja schon auch ein bisschen mehr feiern gehen als unter der Saison. Das reizt mich schon, muss ich sagen, und das nutze ich dann auch voll aus. Dann ist es auch okay, wenn während der Saison weniger geht.
DN: Wenn man einen Hammer-Sommer hat wie dieses Jahr, und Du kriegst per WhatsApp Fotos von den Kumpels, wie sie am See liegen, grillen und Bierchen trinken, da ärgert man sich schon manchmal. Aber man muss auch die ganzen Vorzüge sehen. Wir sehen so viel, reisen um die ganze Welt, wir leben quasi unseren Traum. Und es rentiert sich ja auch. Nach der Karriere kann man sich dann erstmal eine Zeitlang zurücklehnen und das Leben genießen.
In der deutschen Öffentlichkeit werden besonders Kittel, Degenkolb, Martin und Greipel wahrgenommen. Kommen die kleinen Teams in der öffentlichen Aufmerksamkeit manchmal zu kurz?
EB: Ich denke nicht. Die vier sind ja auch die erfolgreichsten deutschen Radsportler. Und gerade bei der Tour war ich im Deutschen Meistertrikot ordentlich beschäftigt mit Interviews.
DN: Bei der Tour hat man gemerkt, dass Radsport-Deutschland wieder ein bisschen aufwacht. Ich fand auch die Berichterstattung der ARD richtig klasse. Ich habe nach meinem Ausstieg tolles Feedback bekommen und viel Aufmunterung. Das hat mich sehr gefreut und hat auch geholfen, über die suboptimale Situation hinweg zu kommen. Da merkt man, dass das Interesse allgemein – nicht nur an den vier Genannten – wieder größer wird. Das ist ein gutes Gefühl.
Kittel, Degenkolb und Martin haben öffentlich geschworen, niemals zu dopen. Wie findet Ihr das?
EB: Ich finde es gut, dass sie das gemacht haben. Ich hätte auch kein Problem damit, einen solchen Schwur abzugeben. Wir sind sauber unterwegs und tun alles dafür, das Image des Sports zu verbessern.
Gibt es besondere Regeln bei Bora – Argon 18?
DN: Wir gehören der MPCC an, der Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport, ein Zusammenschluss von Teams, Verbänden, Sponsoren und Veranstaltern. Da gelten noch einmal striktere Regeln.
Was denkt Ihr über Fahrer, die gedopt haben?
DN: Ich persönlich muss sagen, ich differenziere stark zwischen Fahrern, die heute positiv getestet werden und Fahrern, die früher gedopt haben. Das waren andere Zeiten. Ich glaube, es kann keiner nachvollziehen, was damals abgelaufen ist. Deswegen halte ich mich da sehr zurück und verurteile auch niemanden. Ich bin aber doch sehr enttäuscht, wenn heute jemand positiv getestet wird. Es ist schade, dass es immer noch welche gibt, die nicht begriffen haben, dass ein neues Zeitalter begonnen hat. Die werfen ein negatives Licht auf unseren Sport. Andererseits: Eine Sache wie Luca Paolini bei der Tour ist von den Medien unheimlich aufgebauscht worden. Als ich gehört habe, dass er positiv auf Kokain getestet wurde, musste ich zuerst fast schmunzeln, denn ich kenne Paolini, und er ist ein Lebemann. Ich glaube jetzt einfach, dass er vielleicht mal genug von allem hatte und abschalten wollte, und da keine leistungssteigernde Absicht dahinter stand. Die Medien haben aber gleich den Teufel an die Wand gemalt á la „Das Doping ist zurück im Radsport“. Das war nach meinem Empfinden fehl am Platze.
Was macht für Euch die Faszination am Radsport aus?
EB: Ich hab als Kind immer die Tour de France im Fernsehen verfolgt und bin darüber auch zum Radsport gekommen. Radfahren macht Spaß, Du bist in der Natur, kommst herum, lernst viele Orte und Menschen kennen. Es ist einfach ein schöner Sport.
Wie sollen sich Eure Karrieren in den kommenden fünf Jahren entwickeln?
EB: Das ist eine schwere Frage. Ich hoffe natürlich, dass ich in ein paar Jahren einmal bei der Tour de France oder einer anderen großen Rundfahrt in der Gesamtwertung in die ersten Zehn fahren kann. Das ist mein Ziel. Aber ob das klappt, kann ich natürlich nicht sagen. Ich kann nur alles dafür tun und abwarten.
DN: In fünf Jahren gehöre ich ja schon zu den alten Männern im Peloton. Ich wünsche mir, dass ich dann noch voll im Saft stehe, noch bei bester Gesundheit bin, dass ich zurückschauen kann auf einige schöne Erfolge. Und dass es mir immer noch Spaß macht und ich immer noch dafür brenne.
Dann wünsche ich Euch alles Gute dafür! Vielen Dank für das Gespräch!