Markt / E-Performance: Nach einigen Gerüchten in den letzten Wochen und Monaten ließ man bei Bosch heute die Katze aus dem Sack. Noch in diesem Jahr werden die ersten Bosch E-Bikes mit ABS Bremssystem auf den Markt kommen. Man konnte viel Know-How aus dem Motorradbereich einbringen und arbeitete eng mit den schwäbischen Bremsenspezialisten von Magura zusammen. Wir hatten die Chance, das System bereits einem kurzen Test zu unterziehen.
Es war zweifellos nur eine Frage der Zeit und in der Vergangenheit munkelte man immer wieder über das Thema ABS am Fahrrad. Heute präsentierte nun E-Bike Spezialist Bosch das erste serienreife ABS Bremssystem, das ausschließlich für E-Bikes mit Bosch Antrieb erhältlich sein wird. Zunächst im Herbst 2017 in ausgewählten Fahrradflotten enger Partner, ab Mitte 2018 dann auch an normalen Serien E-Bikes.
Nun mag es sicher einige geben, die die Notwendigkeit eines solchen Systems zumindest teilweise in Frage stellen. Ging doch bisher auch ohne, oder? Klar, diesen Einwurf kann man immer vorbringen, aber man muss sich auch vor Augen halten, dass sich der Fahrradmarkt derzeit entscheidend im Wandel befindet. E-Bikes werden immer populärer, in der Stadt und auf dem Land. Das ist einerseits natürlich eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, für den Fahrradmarkt ebenso wie für die Entwicklung einer neuen Mobilität.
Der Siegeszug von E-Bikes bringt jedoch auch einige Probleme mit sich. Die tendenziell eher schweren Räder lassen sich oft recht mühelos auf 25km/h und schneller beschleunigen und müssen im Falle einer Vollbremsung auch entsprechend schnell zum Stehen kommen. Die Fahrradhersteller haben dort in der Vergangenheit dazugelernt und statten die meisten E-Bikes inzwischen mit starken Scheibenbremsen aus. Nun will so viel Bremskraft aber auch richtig eingesetzt werden. Gerade weniger versierte Radfahrer haben damit Probleme. Viele nutzen vorwiegend die Hinterradbremse und damit nur einen kleinen Bruchteil der zu Verfügung stehenden Kraft – der Bremsweg wird viel länger. Die Bremse am Vorderrad ist vielen suspekt: Zu groß ist die Angst vor einem Überschlag oder unkontrolliertem Wegrutschen auf Kies und Schotter. Genau hier möchte Bosch mit dem neuen ABS Bremssystem nun eingreifen und beschränkt sein ABS auch auf den Einsatz am Vorderrad. Eigens in Auftrag gegebenen Studien zufolge ließe sich jeder vierte Pedelec-Unfall durch den flächendeckenden Einsatz von ABS verhindern.
Bosch E-Bike ABS: Entwicklungsvorsprung durch Motorrad
Als führender Anbieter für Motorradsicherheitstechnik hat man bei Bosch natürlich einen großen Entwicklungsvorteil gegenüber der Konkurrenz, die sich bis dato ausschließlich auf den Fahrradmarkt beschränkt hat. Natürlich lässt sich die Motorrad-Technik keineswegs 1:1 auf Fahrräder oder E-Bikes übertragen, doch wichtiges Know-How und unschätzbar wichtige Erfahrungen aus den letzten Jahren griffen den E-Bike ABS Entwicklern bei Bosch natürlich mächtig unter die Arme. Bereits 1994 setzte Bosch erste Blockierverhinderer an japanischen Polizeimotorrädern ein. Seither forscht man in diesem Bereich und entwickelt die bestehenden Systeme konsequent weiter.
Ein wichtiger Partner im Entwicklungsprozess des neuen ABS waren die schwäbischen „Nachbarn“ von Magura. Der Bremsenspezialist arbeitet nun schon seit einigen Jahren in unterschiedlichen Bereichen mit Bosch zusammen und konstruierte die neue CMe ABS Bremse, mit der das Bosch E-Bike ABS ausschließlich eingesetzt wird. Dabei handelt es sich um eine Vierkolbenbremse mit neuen Bremshebeln, die nochmals eine Spur länger sind als die Carbotec-Einheiten, die man von Maguras MT5 oder MT7 kennt.
Bosch E-Bike ABS: Steuereinheit unter dem Lenker
Das „Gehirn“ des Bosch E-Bike ABS sitzt in einem optisch nicht unbedingt unauffälligen schwarzen Kasten, der unter dem Lenker angebracht wird. Eine Status LED auf höhe des Vorbaus informiert zudem über die ordnungsgemäße Funktion des Bremssystems. Bezüglich der Systemintegration ist also noch viel Luft nach oben – das weiß man bei Bosch auch und die Idee für die Zukunft ist es durchaus, das ABS dann auch im Rahmen zu integrieren. Zunächst möchte man jedoch auch auf das Feedback der Hersteller warten und sich dann Schritt für Schritt nach vorne tasten. Das scheint auch durchaus plausibel: Man muss sich nur mal vor Augen halten, wie klobig beispielsweise E-Bike Akkus vor drei oder vier Jahren noch aussahen verglichen mit heute.
Doch zurück zur Steuereinheit: Diese erhält konstant während der Fahrt Signale von zwei Raddrehzahlsensoren. Damit diese auch jederzeit zuverlässig funktionieren, verabschiedet man sich von oft etwas problematischen Lösungen wie Speichenmagneten, sondern man montiert wie beim Motorrad zwei Messscheiben über den Bremsscheiben. Diese benötigen jedoch zusätzlichen Bauraum und damit ist das System nicht mit jeder Gabel und jeder Nabe kompatibel.
Summa summarum kommt das gesamte ABS – inklusive der Scheiben, Kabel und Steuereinheit auf ca. 800 Gramm. Das mag im ersten Moment viel erscheinen, setzt man es jedoch in Relation zum Gesamtgewicht eines E-Bikes, relativiert sich dies wieder. Zunächst kommt das ABS ausschließlich in Kombination mit den Performance Line Cruise und Speed Antrieben.
Bosch E-Bike ABS: Big Brother is watching you
Die Steuereinheit des ABS wird während der Fahrt nicht nur mit Daten von den bereits erwähnten Drehzahlsensoren versorgt, sondern sammelt ebenso Infos, die der Antrieb zu Verfügung stellt: Darunter fallen Geschwindigkeit, Kadenz, Leistung und einige mehr. Komplizierte Algorithmen berechnen daraus die Fahrsituation: Geht es steil bergab? Wie viel tritt der Fahrer? Wie ist der Untergrund beschaffen. Abhängig davon passt das ABS auch die Ausgangsbremsleistung an. Rollt man beispielsweise mit hoher Geschwindigkeit einen Berg hinunter und zieht an der Vorderbremse, stellt das System schon von Beginn an nicht die volle Leistung zu Verfügung, um einem Überschlag vorzubeugen. Konkret möchte man vor allem zwei Sturz-Szenarien entgegenwirken:
Bremsszenario 1: Das Vorderrad droht zu blockieren
Registriert das System, dass das Vorderrad während eines Bremsvorgangs kurz vor dem Blockieren steht und damit entweder ein Abrutschen auf rutschigem Untergrund oder ein Überschlag bei mehr Grip droht, reguliert es automatisch die Bremskraft herunter und erhöht sie wieder, sobald sich das Rad wieder schneller zu drehen beginnt. So erhält man die größt-mögliche Bremskraft, ohne jedoch ein blockierendes Vorderrad zu riskieren.
Bremsszenario 2: Drohender Überschlag
Doch Moment: Jeder Radfahrer weiß, dass das Hinterrad bei schneller Fahrt und Bremsung am Vorderrad oft schon abhebt, lange bevor das Vorderrad blockiert. Doch auch hierfür gibt es bereits einen Algorithmus im System: Wird registriert, dass sich das Hinterrad vom Boden abhebt, wird die Bremskraft ebenfalls heruntergeregelt.
Bosch E-Bike ABS: Erste Fahreindrücke
Ausgiebig werden wir das neue E-Bike ABS erst in den kommenden Monaten testen können, aber dennoch wollten wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, einige Testrunden auf dem Parcours vor der Bosch Zentrale zu drehen. Klar: Die Optik ist nicht unbedingt elegant, aber hier sind wir zuversichtlich, dass sich in den nächsten Jahren einiges tun wird. Ebenfalls Luft nach oben haben unserer Meinung nach die Bremshebel, die ein wenig scharfkantig sind und ergonomisch damit nicht ganz überzeugen.
Damit hätten wir jedoch schon die beiden einzigen Härchen aus der Suppe gefischt – denn die Funktion des ABS ist super. Zieht man bei hohem Tempo entgegen sämtlicher, mühsam angesammelter Biker-Instinkte, mit voller Kraft an der Vorderbremse, ist es ganz schön ungewohnt; weder blockiert das Vorderrad und droht wegzurutschen, noch müssen wir mit aller Gewalt das Hinterrad am Boden halten. Zieht man an beiden Bremsen gleichzeitig, bekommt man einen extrem kurzen Bremsweg und ein sattes, sehr kontrolliertes Bremsverhalten.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist Anfangs der Umstand, dass der gezogene Bremshebel bei aktivem ABS ein wenig zum Lenker wandert. Der Grund hierfür liegt in der fehlenden Rückförderung der Bremsflüssigkeit. Doch keine Angst: Sinkt der Flüssigkeitsstand zu weit, schaltet das System automatisch ab und man bekommt die volle Bremskraft zurück.
Bosch E-Bike ABS: Preise und Verfügbarkeit
Zunächst wird das Bosch E-Bike ABS an Rädern ausgewählter Partner aus Verleih und Tourismus im Herbst 2017 zum Einsatz kommen. Ende 2018 wird man das System den Herstellern zu Verfügung stellen – damit dürften nicht vor dem Modelljahr 2019 mit ersten ABS E-Bikes in Serie zu rechnen sein. Da das ABS nicht zum Nachrüsten erhältlich sein wird, kann man über Preise natürlich nur mutmaßen. Bei Bosch rechnet man jedoch damit, dass E-Bikes mit ABS ungefähr 500€ mehr kosten werden, als identische ausgestattete Räder mit herkömmlichen Bremsen.