Radsport: Spanien ist zweifelsohne eine Radsport-Nation. Klangvolle Namen wie Indurain, Bahamontes, Sastre und Freire haben über Jahrzehnte hinweg gute Resultate eingefahren. Doch deren Karrieren sind längst vorbei. Jetzt ist auch Alberto Contador weg. Nachfolger sind nicht in Sicht. Hat der spanische Radsport ein ernstzunehmendes Problem?
Die Topstars hören auf
Es ist völlig normal, dass Nationen in verschiedenen Sportarten gewisse Ups and Downs erleben. Doch es gibt Länder, die nahezu ständig Topstars herausbringen. Im Radsport gehören dazu definitiv Belgien, Italien, Frankreich – und eben auch Spanien. Es gab kaum Jahre, in denen die Spanier nicht um die ganz großen Siege mitgeredet haben. Diese Zeit könnte nun aber kommen. Das deutet sich zumindest stark an. Denn im vergangenen Jahr hängte Joaquin Rodriguez (Katusha-Alpecin) sein Rad an den Nagel. Letzte Woche bestritt Alberto Contador (Trek-Segafredo) sein letztes Profirennen. Alejandro Valverde (Movistar) gehört ohne jeden Zweifel noch immer zur Weltspitze, doch Balaverde wird nächstes Jahr schon 38.
Das UCI-Ranking spricht Bände
Gemessen an den sportlichen Erfolgen in der WorldTour wird von der UCI jede Saison ein Ranking erstellt. Darin werden auch die Nationen miteinander verglichen. 2015 lag Spanien auf Rang eins. Im letzten Jahr genügte es nur noch zu Platz fünf. In dieser Saison stehen die Spanier bislang auf Position vier. Das klingt gar nicht so besorgniserregend. Doch wer hat die nötigen Punkte eingefahren? Valverde liegt auf vier (2.823 Punkte) und Contador auf zehn (2.242). Insgesamt sind beide für 5.065 der 11.145 Punkte verantwortlich. Nur Mikel Landa (Sky) und Jon Izagirre (Bahrain-Merida) gelang es 2017 bisher, ebenfalls über 1.000 Punkte zu sammeln. Mit ihren 28 Jahren befinden sich diese beiden immerhin im besten Radsportalter. Doch wer folgt danach?
Kaum junge Spanier rücken nach
Der fünftbeste Spanier liegt im UCI WorldTour-Ranking nur auf Rang 71. Jonathan Castroviejo (Movistar) ist nur echten Kennern bekannt. Seine Stärken liegen im Kampf gegen die Uhr, doch ein echter Siegfahrer bei wichtigen Rennen ist er nicht. Jesus Herrada (Movistar), Gorka Izagirre (Movistar), Carlos Barbero (Movistar) und David de la Cruz (Quick-Step Floors) komplettieren die Top 100-Riege des spanischen Radsports 2017. Sicher können sie alle hin und wieder Etappensiege einfahren, doch von einer Qualität Contadors oder Valverdes sind sie meilenweit entfernt. Neben wenigen Topfahrern leiden die Spanier jedoch auch unter einer geringen Anzahl an jungen Fahrern. Es scheint nichts nach zu kommen. Enric Mas (Quick-Step Floors), Ivan Garcia (Bahrain-Merida), Cristian Rodriguez (Wilier Triestina-Selle Italia), Manuel Diaz (Israel Cycling Academy), Alex Aranburu (Caja Rural) und Daniel Lopez (Burgos BH) sind die einzigen Spanier in den Top 1.000, welche nächste Saison noch nicht 25 Jahre oder älter sind. Es ist kein Zufall, dass die Lokalmatadoren bei der Vuelta a Espana kaum noch Etappen gewinnen. In diesem Jahr musste Contador auf dem vorletzten Teilstück die Kohlen aus dem Feuer holen und den einzigen Tageserfolg einfahren – früher ein undenkbares Szenario!
Mikel Landa wird der einzige spanische Siegfahrer sein
Auf Grund der negativen Zukunftsaussicht fragt man sich natürlich, wieso der spanische Radsport auf einmal unter solchen Problemen leidet. Genau beantworten können auch wir diese Frage nicht. Es scheint jedoch nicht ausgeschlossen zu sein, dass der Dopingfall Fuentes eine Mitschuld daran hat. Während sich Fußball und Tennis in Spanien auf einem Höhepunkt befinden, leidet der Radsport unter negativer Publicity. Der Fuentes-Skandal war vor elf Jahren und passt damit perfekt in das jetzige Zeitfenster. Es ist durchaus möglich, dass wir nach Valverde nur einen Topfahrer aus Spanien sehen werden: Mikel Landa. Dieser wechselt zur neuen Saison zum Team Movistar. Dort sind die Fußstapfen von Valverde und Quintana riesig, doch Landa ist fast alles zuzutrauen. Sicher können sich in 3-4 Jahren plötzlich neue Valverdes und Contadors aufs Rad schwingen, doch in Sicht sind diese aktuell nicht. Vor allem Sprinter und Klassikerjäger sind weit und breit nicht zu sehen. Wir dürfen gespannt sein, welche Entwicklung der spanische Radsport in den kommenden Jahren nehmen wird.