Radsport: Selten ist der Winter die bevorzugte Jahreszeit eines Radprofis. Ganz besonders trifft das aktuell auf Chris Froome (Sky) zu. Vor wenigen Wochen wurde bekanntgegeben, dass der Brite bei einem Dopingtest der Vuelta a Espana durch zu hohe Werte auffiel. Die Fans sind enttäuscht – und die Experten ebenso. Auch in dieser Woche haben sich einige Persönlichkeiten zu Wort gemeldet. Chris Froome selbst äußerte sich in den vergangenen Tagen nicht mehr zu den Vorwürfen. Stattdessen trainiert der 32-Jährige derzeit in Südafrika. Doch auch dort läuft nicht alles perfekt: Durch einen Sturz zog sich Froome leichte Verletzungen zu.
Tim Wellens: „Ich bin gegen Inhalatoren“
Es war und ist ein Schock für den Radsport: Chris Froome wurde bei der Vuelta a Espana eine erhöhte Konzentration der Substanz Salbutamol nachgewiesen. Nach dem öffentlich gewordenen Test verteidigte sich der Brite. Es sei bekannt, dass er unter Asthma leide und er habe eine Genehmigung, bis zu einem Schwellwert in Höhe von 1000 Nanogramm pro Milliliter zu inhalieren. Dumm nur, dass die Kontrolleure fast die doppelte Menge in Froomes Körper vorfinden konnten. Viele Fans fragen sich, warum es überhaupt Ausnahmegenehmigungen bei Asthma-Erkrankungen gibt. Tim Wellens vom Team Lotto Soudal hat seine ganz eigene Meinung zu diesem Thema:
„Manchmal fühle auch ich ein gewisses Unbehagen in den Bronchien. Ich habe gelernt, dass ich mit einem Zug durch einen Inhalator meine Atmungskapazität um sieben oder gar acht Prozent steigern kann. Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich einen solchen Inhalator sogar ohne Attest verwenden darf. Aber ich bin gegen diese Inhalatoren. Ich will meine Atmung nicht auf diesem Wege um sieben Prozent verbessern. Ich bin eindeutig dagegen, aber viele Leute nutzen sie. Mir macht das wirklich zu schaffen. Sicher haben manche Fahrer keine andere Wahl, aber es liegt an jedem selbst, mit seiner Seele und seinem Gewissen zu entscheiden, ob wir bestimmte Produkte verwenden wollen oder nicht. Ich wünsche mir klare Regeln, Schwarz und Weiß und nicht diese Grauzonen. Wir alle wissen, dass ein Produkt wie Kortison viele Vorteile mit sich bringt – und das befindet sich in der Grauzone.“
Brian Holm: „Ich tippe auf neun Monate“
Brian Holm – ehemaliger Radrennfahrer für das deutsche Team Telekom und nun Sportlicher Leiter bei Quick-Step Floors – äußerte sich kritisch gegenüber Chris Froome und Sky. Während einem Trainingslager in Spanien attackierte er zunächst seinen Kollegen Dave Brailsford:
„Sein toller Plan, den Radsport zu säubern, läuft wohl nicht so gut. Wissen sie, er redet nicht so viel, wenn es gerade schlecht läuft, dieser Ritter auf seinem großen weißen Pferd.“
Auf die Frage, mit welcher Strafe er für Chris Froome rechnet, antwortete Brian Holm leicht zynisch. Der Däne scheint eine bevorzugte Behandlung für den Star des Radsports zu fürchten:
„Ich tippe auf neun Monate, aber wer weiß? Als er den Mont Ventoux bei der Tour de France hochlaufen musste, bekam er sogar noch Zeit geschenkt, anstatt sie zu verlieren. So etwas passiert sonst bei keinem Radfahrer. Das war irgendwie komisch, also wer weiß es wirklich …?“
Brian Holm and Tim Wellens speak out on Froome salbutamol case https://t.co/TmFKoMyqbL pic.twitter.com/EPQ3j07FPX
— Cyclist (@cyclist) 11. Januar 2018
Olaf Ludwig: „Es muss durchgegriffen werden“
Zu Wort meldete sich in Berlin auch der ehemalige Weltklasse-Sprinter Olaf Ludwig. Der 57-Jährige verlangt – ebenso wie Brian Holm – eine mehrmonatige Sperre für Chris Froome. Nicht nur der Bestrafung wegen, sondern vor allem, um den Radsport zu schützen. Es geht ihm um Glaubwürdigkeit. Schließlich wurde Diego Ulissi wegen 1900 Nanogramm Salbutamol pro Milliliter für neun Monate gesperrt. Alessandro Petacchi zog man mit 1320 Nanogramm Salbutamol pro Milliliter gar für zwölf Monate aus dem Verkehr.
„Wenn der Radsport noch einen Rest von Glaubwürdigkeit beanspruchen will, muss durchgegriffen werden und die Entscheidung vor Saisonbeginn fallen. Ich bin kein Mediziner, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie Froome das Doppelte des erlaubten Wertes erklären will. Man kann ja nicht vor Jahren den Italiener Ulissi in einem ähnlichen Fall sperren und bei Froome nichts tun. Gerade, weil der sich auch immer für Transparenz stark gemacht hat.“
Dr. Michele Ferrari. „Ohne Salbutamol hätte Froome die Tour nicht viermal gewinnen können“
Auch Lance Armstrongs ehemaliger Dopingarzt Dr. Michele Ferrari äußerte sich zum Fall Chris Froome. Ferrari wurde nach seiner Verstrickung in das Dopingsystem von Armstrong und US Postal von der amerikanischen Dopingagentur USADA lebenslang gesperrt. Aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat sich der Italiener aber nie. Auf seiner Webseite und in seinem Forum äußert er sich immer wieder zu aktuellen Fällen.
„Salbutamol ist kein leistungssteigerndes Produkt für nicht erkrankte Patienten. Es ist auch nicht wahr, dass es eine anabole Wirkung hat. Es gibt keine Studie, die das Gegenteil beweist. Ich glaube, Froome hat mit seinen Zügen einfach übertrieben, vielleicht nicht einmal absichtlich. In den vorherigen Stadien schien sein Wert um 600 Nanogramm pro Milliliter zu schwanken. Vielleicht dachte er, dass sich der Wert durch Verdopplung der Dosis proportional auf 1200 Nanogramm pro Milliliter erhöhen würde – ohne dabei zu berücksichtigen, dass bei Verwendung einer bestimmten Dosis der Metabolismus eines bestimmten Arzneimittels gesättigt werden kann und eine größere Menge im Urin ausgeschieden wird. Bei genauerer Betrachtung könnte man sagen, dass Froome ohne Salbutamol die Tour de France wahrscheinlich nicht vier Mal gewonnen hätte. Genauso, wie ein Fahrer mit einem Hämatokrit-Gehalt von 38 ohne EPO nicht. Beide Substanzen packen die Ungerechtigkeit der Genetik richtig an.“
Jan Frodeno: „Salbutamol hilft bei Schwangerschaft … oder, Chris?“
Einen ganz anderen Weg schlug Jan Frodeno ein. Der deutsche Triathlet ist in den Sozialen Medien bekannt für seine bissigen und humorvollen Kommentare. In einem Tweet schrieb er direkt Chris Froome an. Die Konfrontation scheint er demnach nicht zu fürchten.
„… anscheinend hilft Salbutamol, sich während der Schwangerschaft zu entspannen. Hast du dazu irgendwas zu sagen, Chris?“
With that being said, I‘m off to Europe for a couple of days. No giving birth without me @emmasnowsill – apparently Salbutamol helps relax contractions. Any word on that @chrisfroome ?
— Jan Frodeno (@janfrodeno) 12. Januar 2018
Julie Harrington: „Er ist unschuldig bis seine Schuld bewiesen ist.“
Bei all der Kritik und Provokation ist es doch schön, dass Chris Froome in dieser Woche dann doch noch jemand zur Seite gesprungen ist. Ausgerechnet Julie Harrington, die Vorsitzende des Britischen Radsportverbands, kritisierte den Umgang mit ihrem Landsmann stark.
„Es ist ein Schlag gegen den Ruf des Radsports und gegen den Ruf des Sportlers. Man braucht sich nur die Kommentare unter den Artikeln ansehen … die Leute machen sich ihre eigenen Gedanken, obwohl sie keine Beweise haben. Schade, denn das Problem ist, dass der Prozess durchgesickert ist. Während versucht wird, zu beweisen, wieso dieses negative analytische Ergebnis zustande gekommen ist, wird er schon durch das Gericht der öffentlichen Meinung verurteilt. Er ist nicht gesperrt und steht weiterhin zur Auswahl. Der Athlet selbst hat die Möglichkeit, sich auszuschließen, aber nach den Regeln des Rennsports steht er zur Verfügung und ist unschuldig bis seine Schuld bewiesen ist.“
Chris Froome schweigt, trainiert und stürzt
Während die ganze Radsportwelt über Chris Froome diskutiert, hat sich der Brite selbst zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ganz besonders leicht fällt ihm dies in Südafrika, wo er in Ruhe seinem Training nachgehen kann. Ganz so perfekt läuft es aber auch dort nicht, denn der 32-Jährige ging während einer Trainingssession zu Boden. Auf Instagram veröffentlichte er ein Foto, auf dem Schürfwunden zu sehen sind. Zwar gab das Team Sky sofort Entwarnung, doch Froome selbst entfernte das Bild wieder. Da das Internet jedoch nichts vergisst, kursiert das Foto natürlich weiterhin im World Wide Web. Es bleibt Spannend im Fall Chris Froome – oder erleben wir gerade schon den Fall des Chris Froome?
Chris Froome crashes during training block in South Africahttps://t.co/YROsijuoGR pic.twitter.com/Hu9dvnXYbM
— La Bicicleta News (@LaBicicletaNews) 12. Januar 2018