Test: Vor ziemlich genau einem Jahr stellte Bosch erstmals sein E-Bike ABS vor. Es wurde mit viel Skepsis beäugt, auch von uns; erste Tests damals wussten jedoch zu überzeugen und nun hatten wir am Flyer TX ABS erstmals Gelegenheit, das Bosch E-Bike ABS über einen längeren Zeitraum auf die Probe zu stellen.
Flyer TX ABS: Bewährte Qualitäten nun mit Bosch E-Bike ABS
Das Flyer TX ist kein echter Neuzugang im Portfolio des E-Bike Pioniers aus der Schweiz; das universelle E-Trekkingrad mit Vollfederung erfreut sich schon seit seiner Einführung im Jahr 2016 großer Beliebtheit. Mit seinem hohen Komfortfaktor und der bedingen Offroad-tauglichkeit bewegt es sich im Spannungsfeld zwischen klassischen Trekkingrädern und Mountainbikes. Damit ist es genau das, wonach viele Käufer suchen, denn man bekommt einerseits die angesprochene Vollfederung mit 65 bzw 75mm am Vorderrad und sogar 100mm im Heck, andererseits jedoch auch eine alltagstaugliche Vollausstattung mit Beleuchtung, Schutzblechen und Gepäckträger.
Das Flyer TX ABS ist ein Neuzugang für das Modelljahr 2019 und steht derzeit exklusiv als Testflotte im Firmensitz von Flyer bereit. Wie der Name schon sagt, ist es eines der ersten Serienrädern, die mit dem neuen ABS Bremssystem von Antriebshersteller Bosch ausgestattet ist, das dieser schon vor einem Jahr erstmals der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Das Funktionsprinzip dürfte vom Auto oder mehr noch vom Motorrad bestens bekannt sein: Über zwei an den Bremsscheiben befestigte ABS-Ringe überwacht das System, wie schnell sich die beiden Laufräder drehen. Zusätzlich erhält es Daten des Antriebs wie Kadenz, Geschwindigkeit, Motorunterstützung etc. All diese Informationen werden zu einem Bild zusammengefügt und genutzt um zwei Ziele zu erreichen:
- Das Vorderrad soll nicht blockieren
- Das Hinterrad darf während des Bremsvorgangs nicht den Boden verlassen
Die Idee dahinter ist klar: Bremsvorgänge sollen effizienter und sicherer werden, beherzte Bremsungen sollen auch am Vorderrad möglich sein, ohne Angst zu haben, das Rad würde wegrutschen oder man könnte sich überschlagen.
https://www.velomotion.de/2017/06/bosch-e-bike-abs-bremse-pedelec/
Kann das Bosch E-Bike ABS in der Praxis überzeugen?
Nach dem Einschalten des Antriebs leuchtet die am Lenker montierte ABS Kontrollleuchte auf und signalisiert uns damit: Alles klar, das ABS ist einsatzbereit und aktiv. Mehr muss man als Fahrer nicht tun – auch ein manuelles (De-)Aktivieren der Funktion ist nicht möglich. Natürlich war von den ersten Metern an die Neugier und der Spieltrieb in uns geweckt und wir wollten testen, wie gut das Fahrrad ABS denn wirklich funktioniert. Unnötige Spielerei oder möglicherweise eine kleine Revolution im E-Bike Markt? Das galt es herauszufinden.
Bei den ersten, alltäglichen Bremsmanövern hielt sich das Bosch E-Bike ABS angenehm zurück und das Bremsverhalten entsprach weitestgehend dem, was wir eben auch von anderen E-Bike mit einem vergleichbaren Bremssystem kennen. Apropos Bremssystem: Die Magura CMe ABS besteht aus einem 4-Kolben Sattel vorn und einem 2-Kolben Sattel hinten. Diese Kombination kennt man so beispielsweise auch von der MT Trail aus dem selben Hause und macht auch durchaus Sinn: Der kräftigere 4-Kolben Sattel vorn übernimmt den Löwenanteil der Bremspower, die zwei Kolben hinten genügen jederzeit locker, um das Rad zu blockieren. Soweit, so bekannt also. Neu sind die Bremsgeber – Optisch erinnern diese an diejenigen der hydraulischen Felgenbremsen von Magura und kommen auch mit einem langen Bremshebel, wie ihn vor allem Gelegenheitsfahrer zu schätzen wissen. Ergonomisch haben wir daran jedenfalls nichts auszusetzen.
Um dem Bosch E-Bike ABS jedoch wirklich auf den Zahn zu fühlen, musste ein echter Härtetest her. Schauplatz für das erste Testszenario war eine knapp einen Kilometer lange, abschüssige Asphaltstraße. Nach dem – dank des Motors – höchst entspannten Hinaufkurbeln ließen wir es beim Hinunterfahren rollen und streuten sogar noch einige Kurbelumdrehungen ein. Bei einer Geschwindigkeit von ca. 50km/h nahmen wir dann all unseren Mut zusammen und taten das, was man in einer solchen Situation eben genau nicht tun sollte: Wir zogen mit aller Kraft und gleich mehreren Fingern an der Vorderbremse. Während uns ein solches Bremsmanöver bei jedem anderen Fahrrad kostenlose Flugstunden inklusive anschließendem Krankenhausaufenthalt beschert hätte, passierte beim Flyer TX ABS: Nichts. Der Druckpunkt der Bremse lag an, wir wurden sanft gebremst, ohne jedoch auch nur zu einer Sekunde das Gefühl zu haben, das Hinterrad könnte den Boden verlassen.
Das Bremsgefühl bei einer solch brachialen Bremsung, die in der Praxis auch nur selten vorkommt, ist etwas gewöhnungsbedürftig: Mit zunehmender Bremsdauer wandert der Bremshebel weiter zum Lenker hin und es ist ein leichtes Vibrieren spürbar. Beides ist in der Praxis jedoch zu vernachlässigen: Eine solch lange Vollbremsung mit nur einer Bremse sollte hier nämlich im besten Fall nie vorkommen. Den ‚Überschlagstest‘ hat das Bosch E-Bike ABS also mit Bravour bestanden.
Mindestens ebenso interessant ist Boschs Versprechen, dass das ABS ein Blockieren des Vorderrads während des Bremsens in jeder Situation und auf fast jedem Untergrund verhindern soll. Der Hintergrund ist klar: Das Vorderrad ist dafür zuständig, das Fahrrad zuführen, zu lenken und zu kontrollieren. Kommt dieses ins Schlingern, ist ein Sturz meistens kaum mehr zu verhindern. Gerade auf Schotterwegen und in Kurven sind Bremsmanöver deshalb oft ein Tanz auf der Rasierklinge.
Auf einem sehr grob geschotterten Forstweg wollten wir dieses Versprechen dann ebenfalls sogleich auf den Prüfstand stellen. Zunächst auf gerader Strecke – Beschleunigen auf 20km/h, Vollbremsung am Vorderrad. Hier greift das ABS deutlich spürbarer in den Bremsvorgang ein als noch auf Asphalt und man fühlt sich unweigerlich an Auto oder Motorrad erinnert. Immer dann, wenn das Rad für einen Bruchteil einer Sekunde blockiert, drosselt das ABS die Bremsleistung. Das Rad dreht sich weiter bis zur (fast-)Blockade und wieder von vorn. Dies wiederholt sich in schneller Reihenfolge, was dazu führt, dass sich das Vorderrad weiterdreht und auch in tiefem Kies nie ganz die Traktion verliert. Gleichzeitig bringt man die maximal mögliche Bremsleistung auf den Untergrund. Im Bremshebel ist das Vibrieren nun etwas deutlicher zu spüren, wird aber keineswegs unangenehm.
Dieses Bremsverhalten provozieren wir auch nochmals in einer abschüssigen Kurve, ebenfalls auf Schotter. Im Normalfall lautet hier die Devise: Finger weg von der Bremse am Vorderrad! Trotzdem ziehen wir mit voller Kraft am linken Bremshebel und können mit gedrosselter Geschwindigkeit um die Kurve fahren. Ohne ABS wären wir hier zweifellos mit einem rutschenden Vorderrad unsanft auf der Nase gelandet.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich von diesen beiden Extremtests für die Praxis ziehen? Vollbremsungen mit beiden Bremsen werden mit Boschs E-Bike ABS deutlich sicherer und effizienter. Man kann nun getrost mit voller Kraft an beiden Bremsen ziehen – das Vorderrad blockiert nicht, das Hinterrad nur bis zu einem gewissen Maße. Die Bremsleistung ist bei unsanften Bremsmanövern viel besser, vor allem auf schlechtem Untergrund.
Inwiefern man das Bosch ABS am E-Bike braucht – daran werden sich wohl auch weiterhin die Geister scheiden. Fakt ist, dass die Box unter dem Lenker nichts tut, was man nicht auch mit einer guten Bremstechnik und Fahrerfahrung bewerkstelligen könnte. Fakt ist aber auch: Nicht jeder besitzt eine entsprechend fortgeschrittene Bremstechnik und im Falle von Schreckbremsungen ist man auch als erfahrener Fahrer nicht davor gefeit.