Test: Das Nukeproof Digger Comp ist ein ungewöhnliches Einsteigerrad, das jedoch einmal mehr beweist, dass es sich durchaus lohnen kann, wenn Hersteller über den Tellerrand hinausschauen. Im Falle des britischen Alu-Gravelbikes werden klassische Gravel-Elemente mit Features aus dem MTB-Gravity-Bereich verheiratet. Ob das mal nicht schief geht?
Nukeproof Digger Comp: Die Fakten
Rahmenmaterial: Aluminium
Laufradgröße(n): 650b (700c und 29″ kompatibel)
Maximale Reifenfreiheit: 2,3″ (650b) / 2,0″ (700c)
Achsmaß (v/h): 15×100 / 142×12
Schutzblechösen: Ja
Gepäckträgerösen (v/h): Ja / Ja
Flaschenhalter: Unterrohr oben, Sitzrohr
Gewicht Laufräder v/h/gesamt (mit Reifen und Bremsscheiben): 1.790g / 1.992g / 3.782g
Gewicht Komplettrad ohne Pedale (Größe M): 10,01kg
Preis: 1.499 Euro
Alles andere als gewöhnlich
Was passiert, wenn eine dem MTB-Sport und eigentlich den Gravity-Disziplinen wie Freeride und Downhill entsammende Bikeschmiede wie Nukeproof sich entscheidet, ein Gravelbike zu bauen? Dann kommt an Ende ein Rad wie das Nukeproof Digger heraus, das – so viel bereits vornweg – anders ist, als sämtliche Räder, die wir ansonsten im Test hatten. Bevor wir nun aber zu den Besonderheiten kommen, bleiben wir zunächst beim „Gewöhnlichen“.
Das Digger kommt in allen drei Ausstattungsvarianten mit dem gleichen Rahmen aus Aluminium, der bezüglich seiner Features in der Preisklasse des Bikes (zwischen 1.500 und 2.000 Euro) einen guten Eindruck hinterlässt. Steckachsen vorn und hinten, eine gute gelöste interne Zugverlegung und eine schlichte, aber dennoch gelungene Optik gefallen. Auch die in allen Varianten verbaute Carbongabel ist in dieser Preisklasse nicht selbstverständlich. Gut sieht es auch bei den Befestigungsoptionen aus; Schutzbleche lassen sich ebenso anbringen wie Gepäckträger vorn und hinten.
Bei genauerem Hinsehen offenbart das Digger jedoch ein paar kleinere Schwächen im Detail, die jedoch primär optischer Natur sind. Die entfernbare Brücke zwischen den Sitzstreben zum Anbringen des Schutzblechs ist wenig elegant ausgeführt und dürfte wie auch das an der Gabel überlackierte Befestigungsloch für die Radschützer der ziemlich aggressiven Preisgestaltung des britischen Herstellers geschuldet sein.
Kommen wir nun zur ersten beachtlichen Besonderheit am Digger – die Reifenfreiheit. Sämtliche Kompletträder werden für 2020 mit 47mm breiter Bereifung 650b Bereifung von WTB ausgeliefert, doch dem Käufer stehen danach quasi sämtliche Optionen offen. Wer lieber klassische 28″ (bzw. 29″) Felgen fährt, kann hier vom klassischen Gravel-Pneu mit 40mm bis hin zum XC-Reifen mit 2″ Breite alles montieren. Für jene, die weiter auf 650b setzen möchten, aber vor allem im Gelände zuhause sind, sind dann sogar echte MTB-Reifen mit bis zu 2,3″ Breite möglich.
Die nächste Besonderheit erwartet uns bei der Sattelstütze. Diese kommt im für das Gravelsegment ungewöhnlich großen Durchmesser von 31,6mm – nicht unbedingt gut für den Komfort, dafür lassen sich so jedoch auch problemlos versenkbare Sattelstützen verbauen. Das Digger ist für eine entsprechende interne Zugverlegung vorbereitet und wird von Nukeproof in der Factory-Topvariante auch mit Dropper Post ausgestattet.
Angesichts dieser nicht von der Hand zu weisenden MTB-DNA ist die Geometrie des Nukeproof Digger schon fast überraschend klassisch. Moderat flacher Lenkwinkel, 425er Kettenstreben und ein nicht allzu langer Hauptrahmen – diese Abmessungen wären auch an einem traditionellen Gravelbike keineswegs fehl am Platz. Was jedoch auffällt, ist die deutlich sportliche Ausrichtung des Digger: Vor allem das kurze Steuerrohr und der damit verbunden niedrige Stack sorgen dafür, dass man fast immer mit deutlicher Sattelüberhöhung unterwegs sein dürfte.
Geometrie Nukeproof Digger
S | M | L | XL | |
Sitzrohr (in mm) | 470 | 490 | 520 | 550 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 538 | 555 | 570 | 590 |
Steuerrohr (in mm) | 105 | 125 | 155 | 175 |
Kettenstrebe (in mm) | 425 | 425 | 425 | 425 |
Radstand (in mm) | 1011 | 1024 | 1039 | 1062 |
Lenkwinkel (in °) | 71.3 | 71.3 | 71.3 | 71.3 |
Sitzwinkel (in °) | 74 | 74 | 74 | 74 |
Reach (in mm) | 385 | 396 | 403 | 417 |
Stack (in mm) | 532 | 552 | 581 | 600 |
Starke Ausstattung und riesiger Lenker
Mit einem Preis von 1.499 Euro ist das Nukeproof Digger Comp eines der günstigeren Räder in unserem Einsteiger-Testfeld. Das trotz bulliger Bereifung ordentliche Gewicht von ziemlich genau 10 Kilogramm und die durchweg solide Ausstattung sind angesichts dessen eine wirklich positive Überraschung.
Beim Antrieb setzen die Briten auf die günstigste Variante der aktuellen Shimano Gravel-Gruppe GRX mit einem Kettenblatt, den günstigen STIs der 600er Serie und den 400er Scheibenbremsen. Das klingt im ersten Moment schlechter als es eigentlich ist, denn auch wenn die STIs ergonomisch nicht mit den teureren Konkurrenten mithalten können, sind sie dennoch gut zu greifen und funktionieren ohne Fehl und Tadel. Auch die günstigen Bremsen ordnen sich bei ihrer Performance unserer Erfahrung nach kaum merklich hinter denen der teureren Serien ein und sind allemal besser als jede mechanische Scheibenbremse in diesem Preisbereich.
Rahmen | Nukeproof Digger |
Federgabel | Nukeproof Digger Carbon |
Laufräder | WTB Serra 27,5 |
Reifen | WTB Sendero 47mm |
Schaltwerk | Shimano GRX |
Schalthebel | Shimano GRX RX-600 |
Kurbel | Shimano GRX 40t |
Umwerfer | Ohne |
Bremse | Shimano GRX RX-400 |
Sattelstütze | Nukeproof Neutron Inline 31.6 |
Sattel | Nukeproof Horizon SL |
Vorbau | Non Series 6061 |
Lenker | Non Series 6061 |
Etwas einschränkend für das Einsatzgebiet könnte jedoch das Setup mit einem Kettenblatt und der 11-42er Kassette am Heck sein. Die Bandbreite ist mit knapp 380% nicht riesig und das Kettenblatt fällt mit 40 Zähnen für den Offroad-Einsatz unserer Meinung nach etwas zu groß aus – oder man bringt eben den entsprechenden Bumms in den Beinen mit.
Das an unserem Testbike verbaute Laufradsystem ist mit über 3,7kg nicht übermäßig schwer, gerade wenn man bedenkt dass der WTB Sendero Reifen deutlich stabiler und bulliger ist, als die meisten anderen, reinen Gravel-Pneus. Die Laufräder selbst kommen ebenfalls aus dem Hause WTB und gefallen mit breiten (23mm), tubelesskompatiblen Felgen. Etwas Vorsicht ist beim Achsmaß an der Gabel geboten: Hier setzt Nukeproof beim Digger auf eine aus dem MTB-Bereich bekannte 15mm Achse, statt er an Roadbikes etablierten 12mm. Vorteil: Da an Mountainbikes mittlerweile fast ausschließlich überbreite Boost-Naben verbaut werden, gibt es Laufräder und Naben in den Maßen des Diggers mittlerweile zum Schnäppchenpreis.
Okay, im Normalfall gibt es zum Thema Lenker und Cockpit, gerade im Einstiegsbereich, nicht allzu viel zu sagen und letzten Endes ist das Gefallen auch immer stark von den individuellen Vorlieben des Fahrers abhängig. Letzteres gilt zwar auch beim Nukeproof Digger, aber schon beim allerersten Blick auf das Rad wird klar, dass wir über diesen Lenker sprechen müssen. Er misst nämlich fast schon unglaubliche 500mm in der Breite. Das sieht extrem ungewohnt aus und – Überraschung! – fährt sich auch entsprechend. Hier kommen einmal mehr die MTB-, bzw. Gravity-Wurzeln von Nukeproof zum Vorschein, wo Lenker mit 800mm Breite keine Seltenheit mehr sind. Für das Handling im Gelände ist dies wegen des größeren Hebels auch durchaus von Vorteil, aber ob diese Gleichung auch am Gravelbike aufgeht?! Wir haben Zweifel…
Beim Sitzbereich stoßen wir wieder auf die 31,6er Stütze aus Aluminium, die aufgrund des großen Durchmessers wohl ziemlich steif und gerade im Gelände ein wenig unkomfortabel sein dürfte – wobei, vielleicht werden wir ja überrascht.
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Let’s Gravel: Das Nukeproof Digger Comp
Auch wenn man die MTB-Gene beim Nukeproof Digger Comp förmlich riechen kann, merkten wir schon beim Einstellen des Bikes, dass es sich wohl doch näher am klassischen Gravelbike orientiert als gedacht. Eigentlich würden wir da sogar noch einen Schritt weitergehen und behaupten, dass es sich beim Digger besonders für einen Einsteiger um ein recht sportliches Gravelbike handelt. Und das liegt nicht nur an seinem kurzen Steuerrohr und der möglichen Sattelüberhöhung, sondern auch an seiner soliden Beschleunigung die gerade angesichts des extrem breiten Lenkers und des doch spürbaren Gesamtgewichts von gut 10 Kilo nicht außer Acht gelassen werden darf.
Aber keine Angst, dank der ausgewogenen Geometrie kann die Sitzposition entsprechend entschärft werden, sodass nicht nur sportliche Fahrer gefallen am Nukeproof Digger Comp haben dürften. Denn noch viel mehr punkten kann das Digger in Sachen Komfort. Hier spürt man dann doch den Mountainbike-Einfluss. Durch die breite Bereifung von WTB erhält man nicht nur ordentlich Grip, sondern auch viel Auflagefläche und Volumen für einen besseren Komfort, der sich in diesem Fall besonders bei Hindernissen oder Schlaglöchern angenehm bemerkbar machte.
Als (beinahe schon) ideale Ergänzung kommt an der Front die gute Carbongabel und der für klassische Gravelbikes untypischen, extrem breiten Lenker zum Einsatz. Dieser sorgt nicht nur für ein angenehmes und sicheres Handling und komplementiert den guten Fahrkomfort, sondern lässt sich auch erstaunlich agil fahren. Etwas schade ist, dass das Digger durch die Sattelstütze etwas Komfort liegen lässt, da diese gerade den Sitzbereich doch recht hart macht.
Auch wenn der Lenker sich sehr angenehm fahren lässt und die Shimano GRX STI’s gut in der Hand liegen, so ist der Lenker aufgrund seines Ergonomie nach längerer Zeit im Unterlenker doch etwas unangenehm. Selbiges mussten wir beim Sattel feststellen, da uns dieser nicht wirklich passen wollte. Dies ist aber natürlich wie immer Geschmackssache.
Die übrigen Komponenten, wie die mechanische Shimano GRX Gruppe oder die stabilen WTB Laufräder machten während unseres gesamten Tests keinen Ärger und funktionierten einwandfrei und ließen sich angenehm fahren.
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