Für die niederländische Cross-Country-Spezialistin Anne Terpstra verlief die sportliche Karriere nicht immer gradlinig. Im Alter von 12 Jahren fing die jetzt 29-Jährige mit dem Mountain Biken an, bereits kurz darauf absolvierte sie ihr erstes Rennen. Es folgten Höhen und Tiefen, im letzten Jahr kam sie dann aber definitiv in der Weltspitze an. Mit dem 5. Platz in Albstadt gelang das erste Mal der Sprung auf das Weltcup-Podium. Die Geschichte einer MTB-Karriere, die sich wie ein Puzzle immer mehr zusammenfügt.
Wie alles begann
Geboren wurde Anne Terpstra 1991 in Zierikzee in den Niederlanden. „Es begann alles mit ihrem Bruder Rien. Er hatte keine Lust zu laufen“, ist Wiebe Terpstras Antwort auf die Frage, wie ihre Tochter Anne zum Mountainbiken gekommen ist. Sie wäre neidisch auf das neu entdeckte Hobby ihres Bruders gewesen und wollte somit ebenfalls ein Bike. Nur wenige Wochen später steht sie bereits bei ihrem ersten Rennen am Start.
Eine zentrale Rolle im Leben der beiden Kinder spielt das neue Zuhause der Familie Terpstra in Apeldoorn. Anne Terpstras Mutter blickt zurück: „Als die Kinder anfingen, Rennen zu fahren, wurde es für uns eine Art Lebensstil.“ Die Rennen schweißen die Familie noch enger zusammen. Die Geschwister teilen die Leidenschaft fürs Biken und verbringen viel Zeit miteinander. Der Bruder erzählt: „Wir waren zusammen biken, sind gemeinsam Rennen gefahren. Im Grunde haben wir alles zu zweit gemacht.“ Als Rien Terpstra 21 Jahre wird, hört er mit dem Rennfahren auf und tritt dem Militär bei. Anders als seine Schwester, die weiterhin Rennen fährt. In ihrem ersten World Cup Rennen überquert die junge Niederländerin 45 Minuten nach der Siegerin die Ziellinie.
Viele Puzzleteile, die sich langsam zusammenfügen
Vier Jahre nachdem sie Profisportlerin geworden war, kommt Anne Terpstra im Jahr 2016 zum Ghost Factory Racing Team. Für die Niederländerin war das nie geplant gewesen: „Ich habe nicht mit dem Biken angefangen, um Profisportlerin zu werden und nichts anderes mehr in meinem Leben zu tun. Ich fahre einfach gerne Rad. Früher bin ich die ganze Zeit mit meinem Bruder unterwegs gewesen. Und als ich zu Ghost kam, haben mich alle für verrückt gehalten, weil ich anfangs nur von meinem Bruder erzählt habe. Früher habe ich ihn immer angerufen, wenn ich zu einem Rennen fuhr und mit ihm über die Strecke gesprochen. Er hat mir dann Tipps gegeben, wie ich diesen oder jenen Drop nehmen kann. Heute bin ich einfach total happy, wenn er zu einem Rennen kommt. Ich weiß, dass er sehr stolz auf mich ist und das ist schön.“
Der Vertrag beim Ghost Factory Racing Team ist in der Karriere eines von vielen Puzzleteilen, die sich langsam zusammenfügen. Das Team ist für sie wie eine zweite Familie, besonders nachdem sich Anne Terpstra und Tom Wickles ineinander verlieben. Mit Tom kann sie ihre Leidenschaft fürs Biken teilen, so wie damals mit ihrem Bruder Rien. Ihre Freude am Radfahren hat sie dahin gebracht, wo sie heute steht. Ihre Entscheidung, das Medizinstudium nach dem Bachelor abzubrechen und Radprofi zu werden, basiert nicht auf ihrem Siegeswillen. Es war schlichtweg die Leidenschaft für das Biken. Eine Leidenschaft, die natürlich noch stärker ist, wenn man sie mit den Liebsten teilen kann.
Anne Terpstra: „Wenn ich alles richtig gemacht und alles gegeben habe, ist das Ergebnis, egal wie es ausfällt, in Ordnung“
2019 gelingt in Albstadt mit dem 5. Platz das erste Mal der Sprung auf das Weltcup-Podium. In Andorra zeigt sie der Welt, wie stark sie geworden ist: Als sie sich von Jolanda Neff entfernt, fährt sie zu einem unangefochtenen Sieg. Für Anne Terpstra, die starke Verletzungen überwunden hat und stärker als je zuvor zurückkehrt, kommt somit ein weiteres Puzzleteil ins Spiel: Dieser Sieg hat ihr Mindset, ihre Herangehensweise, nachdrücklich verändert.
„Ich musste einfach nur gewinnen, um zu lernen und den nächsten Schritt zu machen. Es ist super wichtig, mit welcher Einstellung man an den Start geht. Ich kann jetzt endlich mit jedem anderen Ergebnis zufrieden sein. Denn ich weiß: Wenn ich alles richtig gemacht und alles gegeben habe, ist das Ergebnis, egal wie es ausfällt, in Ordnung. Das hat meine Perspektive verändert. Es ist fast so, als hätte ich einen großen, schweren Rucksack endlich abgeladen. Was bleibt, ist der Spaß am Biken. Ich kann es wieder voll und ganz genießen. Und das ist alles. Das macht mich glücklich.“