Test Cannondale Topstone Carbon Lefty 1: Die Top-Version des Cannondale Topstone fasziniert mit bewährter, am Gravelbike freilich ziemlich innovativer Technik. Wen spricht das Softtail mit Lefty-Gabel an – und kann die Federung halten, was sie verspricht?
Ein Gravelbike kann für technische Reduktion stehen – ein Rennrad mit breiten Reifen, einem Kettenblatt vorne und Scheibenbremsen, mehr ist es nicht, und wer von der Straße kommt, freundet sich damit leicht an. Ein Gravelbike kann aber auch genau das Gegenteil sein, und dann wird es für Fahrer interessant, die sich dem Offroad-Renner von einer anderen Seite nähern, nämlich vom Mountainbike.
Am Cannondale Topstone Carbon Lefty 1, das in den Redaktionsräumen geparkt war, konnte man das sehr schön beobachten: Gravelnde Rennradfahrer oder Cyclocrosser schauten sich den Boliden eher zurückhaltend an; Mountainbiker waren dagegen begeistert. Und in der Tat ist es auf den ersten Blick nur der Rennlenker, der das Cannondale Topstone zum Gravelbike statt zum MTB macht. Immerhin ist es mehr oder weniger vollgefedert, dazu mit kleinen Laufrädern und breiten Reifen ausgestattet.
Wer sich das Highend-Bike genauer anschaut, merkt natürlich, dass das nicht ganz stimmt. Die 30 mm Federweg vorne wie hinten reichen längst nicht an den Hub eines richtigen Offroaders heran, dabei ist gerade der Hinterbau ausgesprochen innovativ. Als Softtail konzipiert, kommt die „Hinterbauschwinge“ ohne Drehpunkt am Tretlager aus; für den nötigen Flex sorgen allein die abgeflachten Streben sowie das spezielle Layup der Carbonfasern – bei Cannondale eine schon vor 20 Jahren eingesetzte Technologie. Für den Federweg vorne ist dagegen die legendäre Lefty zuständig, hier als kurzhubige „Oliver“-Luftfedergabel mit Blockierhebel an der Gabelkrone.
Cannondale Topstone: Extrem komfortables „Softtail“
Mehr als bei jedem herkömmlichen Gravelbike fragt man sich beim Cannondale Topstone, wie es sich wohl fährt. Ob es bei hoher Kadenz zum Wippen neigt oder im Wiegetritt vorne einfedert? Weder das eine noch das andere muss man befürchten, das machen schon die ersten Kilometer unserer Testrunde klar. Beim Antreten fühlt sich das Cannondale ziemlich straff an; der Kettenzug kann die „Hinterbaufederung“ nicht aktivieren und die Gabel federt im Wiegetritt nur unmerklich ein. Wenn man nicht gerade auf spiegelglattem Asphalt unterwegs ist, fällt dagegen sofort die extrem komfortable Vibrationsdämpfung auf. Unterstützt von der Save-Carbonstütze, bügelt der Hinterbau rauen Belag ebenso aus wie Asphaltflicken, und abseits befestigter Strecken sieht es genauso aus: Über groben Schotter schweben Topstone und Fahrer nur so hinweg.
Raktionsarm, doch effektiv
Angesichts des Federweges von gerade mal 30 mm kann die Gabel natürlich nicht sehr sensibel abgestimmt werden. Positiv macht sich das dadurch bemerkbar, dass die Lefty nie durch ungewünschtes Eigenleben auffällt; andererseits wird sie erst auf wirklich grobem Terrain aktiv. Auf Schotter macht es keinen Unterschied, ob sie offen oder blockiert ist – der 47er WTB-Reifen ist bei entsprechendem Luftdruck (wir fuhren ihn mit 2,5 bar) schluckfreudig genug, um Vibrationen und kleinere Stöße zu absorbieren, und angesichts der hohen Front bringt man ohnehin weniger Druck aufs Vorderrad. Wo es steinig wird und quer verlaufende Wurzeln lauern, ist sie dagegen in ihrem Element und nutzt den Federweg voll aus.
Von handlich bis fahrstabil
Aber natürlich darf man das Cannondale Topstone nicht auf seine Gabel reduzieren, schließlich hat es viel mehr zu bieten. Es gefällt sofort mit seiner ausgesprochen handlichen und lebendigen Lenkgeometrie, an der auch die 650B-Laufräder ihren Anteil haben; gleichzeitig ist es bei hohem Tempo sehr fahrstabil und lässt sich feinfühlig steuern. An seine Grenzen gerät es nur dort, wo man manch anderen Graveller schon schieben würde – an extremen Steilstücken nämlich, die man dank der 40-52er Untersetzung wirklich im Schritttempo fahren kann. Dann noch sauber geradeaus zu steuern, fällt gerade auf schwierigem Terrain ziemlich schwer; ein Mountainbike mit flacherem Lenkwinkel hat es hier vielleicht etwas einfacher. Der Rahmen ist mit diversen Gewindebohrungen ausgestattet, auch am Oberrohr für eine kleine Tasche; die Bremsleitung verläuft bis hinunter zum Tretlager im Rahmen, wird dann aber an der Kettenstrebe geführt – ebenso wie der Schaltzug bei Topstone-Varianten mit mechanischer Schaltung.
Ein Highlight ist das Cockpit mit abgeflachtem Carbonlenker, der von oben auf den Save-Vorbau geschraubt wird. Das sieht faszinierend aus, zumal gleich noch ein Halter für den Radcomputer montiert ist; außerdem erlaubt die Verbindung eine Justage des Lenkerwinkels um 8°. Die Lenkerbreite entspricht gefühlt der Größe des Rahmens, etwas gewundert, aber nicht gestört hat uns, dass der Lenker keinen „Flare“ aufweist, wie es bei Gravelbikes ja meist üblich ist. Die bereits erwähnte Sattelstütze wurde am Testrad vom superbequemen Fabric Scoop Elite Shallow gekrönt; in der Serie verbaut Cannondale Fizik-Sättel.
Top spezifiziert – aber glatte Reifen
Die DoubleTap-Hebel sind optimal positioniert und in jeder Griffhaltung gut erreichbar. Funktionell ist die elektronische 1×12-Schaltung ohnehin top; wer viel am Oberlenker fährt, könnte sich nur noch die „Blips“ genannten Zusatzschalter wünschen. Selbst der größte Gangsprung mit satten zehn Zähnen vom 42er aufs 52er Ritzel der Eagle-Kassette läuft sehr geschmeidig ab, und das auch bei niedriger Tretfrequenz. Mit 1:4-Schnellgang und 40/52er Untersetzung ist der Übersetzungsumfang so groß, wie man es sich am Gravelbike nur wünschen kann; dass es auch im schnellen Bereich nur Zweiersprünge gibt, lässt sich verschmerzen. Die 28-Loch-Carbonfelgen sind mit 23 mm Maulweite auf breitere Tubelessreifen ausgelegt; die am Cannondale Topstone montierte WTB-Mischung aus Venture vorne und Byway hinten wäre allerdings nicht unsere Wahl. Der Byway ist ein Slick mit diamantierten Schultern und flachen seitlichen Stollen; für Trails mit rutschigen Wurzeln oder feuchten Untergrund ist er definitiv nicht gemacht – hier zwang er die Testfahrer ab und zu zum Absteigen. Der Venture bietet mit seinem Lamellenprofil schon etwas mehr Grip und verbeißt sich bei scharfen Bremsmanövern mit den bestens dosierbaren Sram-Stoppern mit dem Untergrund; wünschenswert wäre also, dass er auch hinten montiert wird.
Bei der Lefty-Gabel läuft der Laufrad-Ausbau natürlich etwas anders ab; erster Schritt ist die Entriegelung des Bremssockels, was an die gute alte Magura HS33 erinnert. Dann wird die rechtsseitige Inbusschraube gelöst, und das Laufrad kann einfach vom Achsstummel gezogen werden. Praktisch ist, dass die hintere Steckachse nicht ganz herausgezogen werden muss, denn das linke Ausfallende ist nach unten offen.
Cannondale Topstone: Fahrspaß und Sicherheit – auch ohne?
Mit dem extrem komfortablen Hinterbau und der straffen Gabel ist das Topstone für jede Menge Fahrspaß gut, zumal die Ausstattung rundum gut funktioniert. Bei schnell gefahrenen Kurven auf lockerem Untergrund vermittelt das Cannondale viel Sicherheit; lange Flachpassagen in sportlicher Unterlenkerhaltung lassen sich dank der hohen Vibrationsdämpfung ermüdungsfrei zurücklegen. Damit ist das Gravel-Fully ein perfekter Allrounder – die Frage ist jedoch, ob es das auch ohne die Federgabel wäre. Und hier kommt es ganz drauf an, was man mit seinem Topstone so vorhat. Wer sein Gravelbike auf MTB-Strecken fahren will, dürfte von der Federgabel profitieren, sollte dann aber erst einmal andere Reifen verbauen – mit mehr Profil, einer steiferen Karkasse und vor allem etwas höherem Druck, denn all dies dürfte sich positiv aufs Ansprechverhalten der Gabel auswirken. Je nach Fahrergewicht und Fahrweise kann man deren Druck minimal absenken – jedenfalls so weit, dass sie nicht durchschlägt. Auch die Option, eine absenkbare Sattelstütze nachzurüsten, dürfte MTB-affinen Gravelbikern entgegenkommen.
Für klassisches Gravel-Terrain – Schotterstraßen und Naturwege sowie mäßig anspruchsvolles Cyclocross-Gelände – sind die Topstone-Varianten mit Starrgabel dagegen vielleicht die bessere Wahl. Alleine schon wegen des Gewichts: Das Topstone Lefty 1 ist mit 9,79 Kilo genau ein Kilo schwerer als das 2020er Topstone Carbon Ultegra RX mit Starrgabel, und das trotz der leichteren Ausstattung und obwohl am hier getesteten Topmodell die besonders leichte Carbon-Variante der Federgabel zum Einsatz kommt. Extrem komfortabel ist das starre Topstone immer noch, und nachrüsten ließe sich die Lefty zur Not auch noch, was mit rund 1.500 Euro plus Spezialvorderrad natürlich nicht ganz billig ist. Nicht vergessen darf man auch, dass die Topstones ohne Federgabel mit 700c-Laufrädern ausgestattet sind, die mit bis zu 40 mm breiten Reifen gefahren werden können – das bedeutet gut einen Zentimeter mehr Tretlagerhöhe im Vergleich zum 47er 650B-Reifen, was im Gelände wie bei Kurvenschräglage durchaus einen Unterschied machen kann.
Der sanfte Druck zum (E-) Gravel-Fully
Angesichts der verfügbaren Ausstattungsvarianten ist es allerdings nicht leicht, sich gegen die Gabel zu entscheiden. Das top ausgestattete Testrad ist mit 8.399 Euro ziemlich hochpreisig und dürfte für viele Gravel-Fans ein Traum bleiben; das Topstone Lefty 3 mit Shimano GRX 1×11, Alu-Laufrädern und Gabel ohne Carbon-Bauteile kostet dagegen satte 4.000 Euro weniger, und das ist dann ein ziemlich interessantes Angebot. Zumal das bestausgestattete 2021er Cannondale Topstone ohne Federgabel, das Topstone Carbon 4 mit GRX 2×11, auch schon 3.499 Euro kostet. So fühlt man sich vom Hersteller sanft zum Gravel-Fully hingelenkt. Die sehr attraktive Lefty-lose Variante mit Sram Force eTap und Carbon-Laufrädern aus dem letzten Jahr (damals für 5.499 Euro) wurde dagegen aus dem Programm genommen – ein „starres“ Topmodell fehlt also.
Und noch etwas fällt im Topstone-Sortiment auf: Der Preisunterschied vom Cannondale Topstone Lefty 1 zu seiner elektrifizierten Variante, dem Topstone Neo Carbon Lefty 1 mit Bosch-CX-Motor und 500-Wh-Akku, liegt bei gerade mal 1.100 Euro – kaum zu glauben angesichts der nahezu identischen Ausstattung, von den Carbon-Laufrädern einmal abgesehen. Und so wird jenen, die vom Mountainbike aus in Richtung Gravelbike schielen, ein weiterer Leckerbissen hingeworfen – schließlich ist die Zukunft des MTBs ja elektrisch.