Letztes Jahr in Tweedlove stieg ich zum ersten Mal auf das Siegerpodest der EWS. Außerdem weiß ich, dass bei einem zweitägigen Rennen alles passieren kann. Um so näher das EWS-Rennen in Schottland rückte, um so aufgeregter war ich. Das Rennen in Tweedlove kann man in zwei unterschiedliche Teile aufteilen.
Der erste Tag in Innerleithen mit Strecken, die dem DH ähneln, sehr eng gepflanzten Bäumen und Wurzeln. Der zweite Tag im Raum Glentress mit Strecken, die Technik und Geschwindigkeit vermischen. Ich nahm mir vor, den ersten Tag möglichst schadlos und kraftsparend zu überstehen, um dann am zweiten Tag, wenn die körperliche Verfassung ausschlaggebend sein könnte, alles zu geben.
Es kam vor allem darauf an, die über 3 Tage verteilten Erkundungsfahrten möglichst gut zu planen, um die Strecken so gut wie möglich und kraftsparend zu „studieren“. Am ersten Tag beschloss ich, die Wertungsprüfungen 1 und 2 zweimal und die 3 und 4 einmal abzufahren. Das bedeutete immerhin ungefähr 2000m Anstieg. Den ganzen nächsten Tag über standen immer wieder Regenschauer auf dem Programm. Beim Anstieg zur Wertungsprüfung 5 wurde der Regen zu Eis und mit dem Wind hatte man den Eindruck, an einem Strand mitten in einem Sandsturm zu stehen! Die Wertungsprüfung 6 schien eine „Schlüsselprüfung“ zu sein.
Ich wusste, dass diese kraftraubende und technisch nicht anspruchsvolle Wertungsprüfung mit ihren über 10 Minuten Fahrtdauer sowie den 3 harten Anstiegen die Spreu vom Weizen trennen würde und von manchen kritisiert werden würde. Ich persönlich trainiere sowohl für technische als auch für körperlich anstrengende Strecken. Ich denke, das entspricht Enduro. Wir reden nicht über DH. Am nächsten Tag entschied ich mich, bei den Erkundungsfahrten etwas kürzerzutreten, um mich für das Rennen zu schonen.
Eine strahlende Sonne erwartete uns am 1. Renntag. Wir hatten also ein stressfreies Wetter an einem Tag, der sehr lange werden sollte. Ich stürzte gleich bei der ersten Wertungsprüfung, die eine Mischung aus felsigen Teilstücken gefolgt von Abschnitten mit ziemlich hohen Stufen war. Ich stand etwas unter Schock nach so einem schlechten Start! Die zweite Wertungsprüfung war schnell, die Bäume standen eng beieinander und man lief ständig Gefahr, bei hoher Geschwindigkeit mit dem Lenker hängen zu bleiben. Ich fühlte mich viel besser und fuhr die zweitbeste Zeit. Die dritte Wertungsprüfung begann sehr schnell und weit über der Baumgrenze. Dann führte sie in den Wald und alles wurde plötzlich dunkel.
In unserem Sport ist es immer wichtig, gut zu sehen, um so mehr bei derartigen Bedingungen. Leistungsstarke Goggles oder Brillen sind unbedingt erforderlich. Am Ende stand für mich eine Fahrt ohne grobe Fehler. Ich nutzte die darauf folgende Transferteilstrecke, um Wasser nachzufüllen. Ich war glücklich! Platz frei für die letzte Wertungsprüfung des Tages. Sie verlief zum Teil auf der Strecke der 3. Dies bedeutete wiederum dicht beieinanderstehende Bäume und nasse Wurzeln. Es bestand eine permanente Sturzgefahr. Ich verschätzte mich, fuhr zu schnell in eine Rechtskurve und fand mich auf dem Boden wieder.
Ich war wütend auf mich selbst, da ich Boden auf die Führenden verlor und am Ende des ersten Tages nur 9. war. Ich war nicht lange frustriert und richtete mein Augenmerk schnell auf den zweiten Tag. Es war noch alles möglich, aber dafür sollte ich alles geben! Als ich aufwachte, erfuhr ich, dass zwei Wertungsprüfungen des Tages aus Sicherheitsgründen abgesagt werden sollten aufgrund der schlechten Witterungsbedingungen. Ich konnte diese Maßnahme voll und ganz verstehen, war aber sehr enttäuscht.
Ein reduziertes Rennen war für mich gleichbedeutend mit reduzierten Möglichkeiten, meinen Rückstand aufzuholen. Wie vorausgesagt, hatte sich das Wetter brutal verändert. Ein kalter Wind und Regen hatten die Sonne des Vortags verdrängt. Die Wertungsprüfung 5 war eher DH-typisch. Es war unglaublich schlammig und bei jeder Spurrille bestand die Gefahr, stecken zu bleiben. Das war eine Wertungsprüfung für Akrobaten. Langsamer Fahren war aber nicht unbedingt die richtige Lösung! Man musste sich gut am Lenker festhalten und versuchen, eine gute Geschwindigkeit beizubehalten, ohne dabei aus dem Sattel zu fallen. Ich zog mich eher gut aus der Affäre und fuhr die drittbeste Zeit. Die 8. und letzte Wertungsprüfung begann etwas höher als ursprünglich geplant und verlief während ungefähr zwei Minuten auf einem Teil der Wertungsprüfung 6. Es war ein „Bike park“-typischer Abschnitt. Es folgte ein Anstieg und anschließend ein sehr schneller Teil. Danach kam ein weiterer kurzer Anstieg und schließlich die Abfahrt zur Ziellinie. Es würde vor allem darauf ankommen, während der gesamten Abfahrtsteilstrecken eine gute Geschwindigkeit beizubehalten und bei den Anstiegen alles zu geben. Ich richtete mich darauf ein, an die Schmerzgrenze zu gehen. Es blieb mir aber nichts anderes übrig, wenn ich wieder auf das Siegerpodest kommen wollte!
Bei diesem letzten Run ging es für mich um alles oder nichts. Ich fuhr oft am Limit eines Sturzes und bei den Anstiegen fuhr ich ohne Rücksicht auf meine Kraftreserven. Ich kämpfte ständig mit mir selbst und war hin und her gerissen, zwischen dem Willen zu gewinnen oder meinem Leiden ein Ende zu setzen. Zum Glück war der Wille zu gewinnen stärker und ich beschloss, meine schmerzenden Beine und meine brennende Lunge zu ignorieren. Im Ziel war ich zufrieden mit mir und neugierig, mein Ergebnis in Erfahrung zu bringen.
10 Minuten später, als ich an der Anzeigetafel ankam, glaubte ich meinen Augen nicht!! Es war mir nicht nur gelungen, meinen Rückstand auf einen Platz auf dem Siegerpodest aufzuholen, sondern sogar für den Gesamtsieg. Mein erster Sieg bei der EWS! Das Ganze wurde mir aber erst bei der Siegerehrung richtig bewusst. Ein Traum wurde Wirklichkeit. Ich bin auch stolz darauf, der neue Spitzenreiter in der Saisongesamtwertung zu sein.
Jetzt erst mal einige Wochen Erholung bis zum französischen Rennen mit langen Wertungsprüfungen im Hochgebirge. Ich wünschte, es wäre schon so weit!