Nach meiner kurzen Auszeit wird die Europameisterschaft in Chies d‘ Alpago/I mein erstes Rennen sein. Ich reise mit gemischten Gefühlen an. Die letzten Trainings liefen sehr gut und mein Körper und ich scheinen fit zu sein. Dennoch fehlt mir nach den ganzen Pechsträhnen und Problemen der ersten Saisonhälfte jegliches Selbstvertrauen. Ich versuche mich auf das Rennen und auf die Zeit mit der Nationalmannschaft zu freuen. Mit der Strecke komme ich gut zurecht. Eine Bergstrecke mit einigen steilen Anstiegen. Ich komme als 9. ins Ziel! Ich bin zufrieden, denn ich spüre, dass ich auf dem richtigen Weg bin, an meine Leistung anzuknüpfen.
Jetzt bleibt auch keine Zeit mehr. Auf der Wettkampf-Planung stehen bereits an den kommenden Wochenenden die beiden Übersee-Weltcups in Canada und USA an.
Die Reise beginnt für mich bereits am Dienstag von Zuhause nach Paris. Das Team-Headquarter befindet sich nur einige Kilometer vom Flughafen CDG entfernt. Eine Nacht werde ich dort übernachten, bevor unser Flug am Mittwoch nach Quebec geht! Unser Staff hat das Material und unsere Bikes schon im Vorfeld gepackt und fliegt bereits am Dienstag nach Montreal, um für uns Fahrer alles vorzubereiten!
Nach den ganzen Reisestrapazen von der Europameisterschaft von Chies d‘ Alpago/Belluno quasi über Freiburg nach Paris kommt mir die Reise sehr lange vor. Unser Flug startet um 11:30Uhr. Bei -6 Stunden Zeitverschiebung landen wir gegen 13Uhr in Quebec. Passkontrolle. Gepäck-Aufnahme. Zwei unserer Mechaniker warten bereits auf uns und bringen uns mit den Mietautos zur Unterkunft. Die Fahrt dauert nochmals 1,5 Stunden! Endlich an unseren Appartements angekommen. Wir sind alle ziemlich gerädert. In Europa ist es bereits abends und wir haben alle das Bedürfnis bereits jetzt ins Bett zu gehen. Natürlich wäre das nicht gerade gut um in den Rhythmus zu kommen. Durch die kurzfristige Anreise bleibt keine Zeit für eine vernünftige Anpassung! Der Körper muss sich so schnell als möglich an die Zeitzone und das Klima gewöhnen. Wir essen eine Kleinigkeit und ich gehe zusammen mit meinen Teamkollegen zu Fuß auf die Strecke. Einfach um einen Eindruck von der sehr anspruchsvollen und technischen Strecke zu bekommen, sich ein bisschen zu bewegen und um wach zu bleiben!
Danach bekommen wir von unseren beiden Physios eine Massage. Dies fördert die Regeneration und Ausscheiden der Schlackstoffe aus der Muskulatur. Abendessen. Ich bin so müde, dass ich keinen Hunger verspüre! Ist ja auch Nacht in unserer Zeitzone! Wir bleiben bis 21:30Uhr wach. Danach falle ich wie ein Stein in mein Bett. Um 7:30Uhr stehe ich auf und fühle mich erstaunlich gut. Frühstück und dann geht’s los zum ersten Streckentraining auf meinem BH-Bike Ultimate. Es ist Donnerstag und mein Haupttrainingstag für den anstehenden Wettkampf. Ich bin etwas nervös, wie ich mit der Strecke zurechtkomme und wie mein Körper reagiert. Meine Beine fühlen sich optimal an und mit der Strecke komme ich sehr gut zurecht. Kraft und Konzentration sind voll da. Ich bekomme einen guten Flow und habe richtig Spaß auf meinem Bike. Auch mit der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit komme ich zurecht. Wow, was für ein gutes Training. Nach 3h bin ich zurück an unserer Unterkunft. Duschen und Essen. Massage. Abends kochen wir zusammen. Insgesamt sind wir 6 Fahrer, 3 Mechaniker, 2 Physios und unsere beiden Teamchefs. Es ist nicht gerade einfach für 14 Leute zu kochen und so wird es jedes mal eine Challenge werden!
Die kommende Nacht schlafe ich nicht gut. Hallo Jetlag!!! Ich fühle mich den ganzen Freitag über nicht besonders. Es ist mein Regenerationstag mit einer kurzen Ausfahrt auf der Strasse. Den Tag kann ich nicht wirklich genießen. Die Anspannung auf den anstehen Weltcup ist da. Ich bin hier um ein gutes Rennen zu fahren!
Samstag Morgen. Heute ist der Vorbelastungstag. Nach den Regenschauern am Freitag ist die Strecke mit den vielen steilen Steinpassagen sehr rutschig geworden. Dennoch komme ich damit gut zurecht. Nach einer Startrunde & einer regulären Runde mit einem „Cooldown“ auf der Strasse bin ich nach 1,5 Stunden mit dem Training fertig. Ich bin „Race-Ready“! Letzter Bike-Check von den Mechanikern. Bei den Reifen greife ich zu unseren neuen Prototypen von Michelin.
Kurzes Mittagessen. Ich versuche mich mit guter Musik zu entspannen. Die Anspannung und Vorfreude auf das Rennen sind da. Gutes Gefühl! Ich merke, dass ich auf dem richtigen Weg bin zu meiner Leistung zurück zu finden! Kurze Massage. Abendessen. Schlafen.
Sonntag Morgen. „Raceday“ und mein Geburtstag. Mit Startnummer 30 stehe ich nach der Aufwärmphase in der Startbox. Der „Callup“ beginnt in wenigen Minuten. An der Startlinie ist die Anspannung riesig! Es geht nervös und hektisch zu. Ellenbogen an Ellenbogen wird auf den Startschuss gewartet. Dann fällt dieser. „Race is on“!!! Auf der Teerstrasse im ersten Anstieg versuche ich Positionen gut zu machen, denn mit der 30 habe ich keine gute Startplatzierung! Wie immer sind die Positionskämpfe sehr aggressiv! Vor mir ein Sturz, ich kann gerade noch ausweichen. Die Lücke nach vorne versuche ich so schnell als möglich zu schliessen! Das kostet Energie. Der erste Anstieg in der regulären Runde ist so steil und eng, dass nur ca. die ersten 15 Fahrerinnen ihn auf dem Bike bewältigen können. Dahinter Stau und Laufen! Das kostet Zeit! Mist! Ich bleibe ruhig und konzentriert. Ich fühle, dass mein Körper stark ist! Während dem Rennen mache ich einen Platz nach dem anderen gut. Leider schleicht sich das kleine Handicap ein, dass mein linkes Pedal nicht wirklich fixiert. Das ist auf dieser sehr technischen Strecke nicht ganz ungefährlich. An manchen Stellen muss ich kurz vom Bike abspringen. Ich komme als 13. glücklich ins Ziel. Dort empfängt mich einer unserer beiden Physios. Kurze Erfrischung und dann gehts zum Team-Zelt. Frisch machen.
Umziehen. Kurzes Ausfahren. Ich weiss, dass heute mehr drin gewesen wäre. Ich will aber nicht an das Handicap denken, sondern stattdessen das gute Gefühl behalten. Ich bin einfach erleichtert wieder zu spüren, dass ich zurück im Rennen bin! Mit dem 9. Platz bei der Europameisterschaft und dem heutigen Ergebnis habe ich die B-Norm für die Olympia-Qualifikation geschafft. Ich freue mich bereits auf den kommenden Weltcup in Windham / USA. Mein Ziel ist es wieder in den Top 5-10 im Weltcup platziert zu sein!
Am Abend überrascht mich mein Team mit einer kleinen Geburtstagsparty. Ich freue mich riesig darüber und genieße den Abend. Müde und zufrieden schlafe ich ein. Morgen beginnt unsere Weiterreise nach Windham. Die Reise ist in zwei Etappen geplant. Am Montag morgen gehen wir eine Stunde aufs Bike um die Beine freizufahren. Danach wird gepackt und die Reise beginnt. In Quebec machen wir einen kurzen Stopp zum Mittagessen. Dann gehts nach Montreal zur Zwischenübernachtung. Die Fahrt dauert länger als geplant. Wir kommen abends an und gehen direkt mit einem kurzen Spaziergang zum Abendesssen. Schlafen. Und dann gehts am nächsten Tag nach Windham. Von Montreal ist es gerade einmal weniger als 1 Stunde bis zur Grenze Canada-USA. Die Kontrollen sind sehr streng dort. Nach der ersten Passkontrolle müssen wir unsere Mietautos verlassen. Diese werden mit Spürhunden kontrolliert und wir gehen ins Hauptgebäude.
Fingerabdruck, Foto, Stempel in den Pass..! Nach ca. 45 Minuten sind wir fertig. Das ging erstaunlich schnell! Je nach dem muss man für diese Einreisekontrolle 1-2 Stunden kalkulieren. YES wir sind in den USA. Die Reise geht weiter auf den endlosen Highways durch die grüne Natur der USA. Wir sehen unzählige Trucks und ich genieße die Fahrt. Zeit für Regeneration.
Gegen Nachmittag erreichen wir Windham. Unser Team hat ein komplettes Haus gemietet. Windham Chalet. 100m von der Startlinie entfernt – perfekte Lage. Ich finde es sehr gut nicht im Hotel zu wohnen. Wir kochen und leben zusammen, dadurch kommt eine gute Teamstimmung auf und es ist einfach familiärer! Heute ist kein Training für mich. Müde von den zwei Reisetagen sammle ich meine Energie für das morgige Training auf der Strecke. Ich freue mich bereits darauf. Diese Nacht schlafe ich schlecht, wieder ein anderes Bett und eine andere Umgebung! Egal.
Frühstück und dann geht’s zum ersten Streckentraining. Der Kurs gefällt mir sehr. Ein langer Anstieg mit einigen sehr unrythmischen Zwischenstücken. Der Downhill ist sehr schnell. Trockener, loser Untergrund über Steinpassagen, Wurzeln und Wiesenpassagen. Alles sehr ruppig! Ein Kraftraubender und physisch sehr harter Kurs. Ich freue mich. Durch die Resultate bei der Europameisterschaft und dem letzten Weltcup in Mont Sainte Anne habe ich mein verlorenes Selbstvertrauen zurückgewonnen. Ich weiß, dass ich am Berg zu den Besten gehören kann, wenn alles den richtigen Weg geht! Ich drehe 5 Runden. Mit einem guten Gefühl verlasse ich die Strecke und fahre meine Beine auf der Straße aus. Heute war ich mit meinem BH Ultimate Bike und den neuen Michelin Prototyp 2.1 Reifen auf der Strecke. Der Reifen ist perfekt für diese Strecke und meine Wahl für das Rennen ist bereits gefallen. Durch den sehr ruppigen Untergrund ist es wichtig ein gutes Reifen-Volumen zu haben, um mit weniger Luftdruck fahren zu können. Umso wichtiger bei einem Hardtail. Der Prototyp hat einen sehr guten Rollwiderstand und gutes Seitenprofil. Das werde ich bei dem losen Untergrund in den Kurven brauchen! Nach dem Training gebe ich mein Feedback unseren Mechaniker weiter.
Danach gehen wir zusammen in den Coffe-Shop hier in Windham. Dort sind rund um die Uhr Biker&Staff anderer Teams anzutreffen! Für mich keine Entspannung. Ab 15 Uhr beginnen unsere beiden Physios mit der Behandlung. Da wir 6 Fahrer sind, hat jeder Physio 3 Fahrer pro Tag. Ich genieße die Massage. Einfach sehr professionell täglich eine Behandlung zu bekommen. Nachmittags entspanne ich mich bei guter Musik. Die Anspannung für den kommenden Weltcup ist bereits da. Ich habe mir die Top 8 als Ziel gesetzt. Erneut habe ich keine all zu gute Nacht. Heute erneutes Streckentraining inklusive einer schnellen Runde! Meine Beine fühlen sich sehr gut an. Ich bin bereit für das Race! Der restliche Tagesablauf ist nahezu derselbe wie am Vortag. Freitag ist mein Ruhetag. Eine Stunde auf der Straße zum Beine locker fahren. Dabei begleitet mich der Physio von der Nationalmannschaft. Ausruhen. Coffe Time. Relaxen.
Samstag Pre-Race-Day. Heute geht es darum, den Körper auf das morgige Rennen vorzubereiten. Ich schaue mir die Startloop genau an und danach gehe ich auf die reguläre Runde. Ich habe die vorigen Tage genügend Runden auf dem Kurs verbracht und fühle mich „Ready to race“! Ich bin heiss auf das Rennen morgen! Der letzte Bike-Check von den Mechanikern und die letzte Behandlung von den Physios! Jetzt ist es an der Zeit, dass ich an die Startlinie darf! Ich höre fast den kompletten Nachmittag Musik.
RACEDAY! Zum Frühstück gibt’s wie gewöhnlich Haferflocken mit Banane, grüner Tee und Kaffe! Um 10:15 Uhr beginnt meine Aufwärmphase. Eine Stunde bevor dem Start. Ich fühle mich gut und voller Vorfreude! 11 Uhr werden wir in die Startbox gerufen. Der Callup kann beginnen. Mit der Startnummer 29 habe ich immer noch keine Startposition. Egal! Die letzten Sekunden bis zum Startschuss stehen wir dicht gedrängt, Ellenbogen an Ellenbogen! Mein Körper zittert vor Aufregung. 1 Startloop & 6 Runden! Dann fällt der Startschuss. Ich bin schnell in mein Pedal eingeklickt, werde aber an meiner eher hinteren Positionen durch die vorderen Fahrerinnen etwas aufgehalten. Dann die Lücke. Ich gebe Vollgas. Mache eine Position nach der anderen gut und bin schnell unter den Top 15. Durch den Staub hat man kaum Sicht. Nach der Startloop komme ich an Position 12 in die erste reguläre Runde. Gut. Ich mache gleich zu Beginn am Berg weitere Positionen gut. Ein unglaublich hohes Tempo wird angeschlagen. Race is on!
Ich versuche meinen Rythmus zu finden und platziere mich an Position 7/6! Einige Fahreinnen beginnen mit dem sehr hohen Tempo Probleme zubekommen. Ich erhöhe mein Tempo und plötzlich sind wir am höchsten Punkt der Strecke von Platz 2-6 zusammen! Jetzt ist jede von uns am Limit. Was für ein Kampf. Ich bin voll im Rennen. Verliere in den Abfahren ein wenig. Habe aber am Berg einen enormen Druck auf meiner KMC-Kette! 12 Sekunden auf Platz 2. Sekundenanstände. Sicht zur Konkurrenz nach vorne. Ich kämpfe, versuche mein Bestes. Letzte Runde, die Glocke läutet! Position 6 und wenige Sekunden auf Position 5! Ich will das Podium. Ich attackiere ohne zu zögern und gebe ALLES. Meter um Meter mache ich Zeit gut und kämpfe für diese Podiumsplatzierung. Am Limit gehts in den Downhill. Ich konzentriere mich so gut ich kann auf die Linie, in den Zwischenpassagen gebe ich soviel Druck wie ich kann und was mein Körper noch übrig hat. Dann der letzte kleine Uphill zum Ziel. Ich kann es nicht glauben: YEEEEEEESSSSSSSSSS Podium!
Gänsehaut. Erschöpfung. Glücksgefühle. Tränen. Ich bin fix und ferig. Lege mich auf den Boden und genieße einfach nur den Moment! Nach den ganzen Pechsträhnen & Problemen Anfang der Saison schwebe ich auf Wolke 7! Ich brauche einige Zeit mein Gefühls-Chaos unter Kontrolle zu bekommen. Einer unseren beiden Physios ist an meiner Seite. Endlich kann ich aufstehen. Ich falle ihm um den Hals und kann es im er noch nicht glauben. Ich muss direkt zum Podiumszelt. Dort haben wir wenige Minuten Zeit uns frisch zu machen, umzuziehen und ein wenig zu säubern, bevor wir aufs Podium gerufen werden. Ich genieße jede Sekunde dieser Momente. Mit Gänsehaut stehe ich auf dem Podium. Was für ein Race! Vielleicht bin ich heute die glücklichste Fahrerin! Danke an mein großartiges Team BH-Sr Suntour-KMC, meinem Trainer Robert Pintaric und an ALLE die so sehr an mich glauben und hinter mir stehen! Durch die Resultate der Europameisterschaft und des Weltcups in MSA habe ich die B-Norm für die Olympia-Qualifiktion für Deutschland erfüllt und mit meinem heutigen 5. Platz die A-Norm und zugleich bisher bestes Ergebnis für die Frauen-Qalifikation!
Ich wünsche mir so sehr in Rio an meinen dritten Spielen teilnehmen zu dürfen und dafür werde ich kämpfen.
Montag morgen. Die Fahrzeuge sind gepackt. Wir machen uns auf den Weg nach Montreal zum Flughafen. Flug nach Paris. Heimfahrt Freiburg. HOME!