Radsport: Die ersten Rennen sind absolviert. Wo stehen die Rundfahrtspezialisten Quintana, Contador, Froome, Nibali und Co.? Velomotion analysiert den Saisonstart der Stars.
In fünfeinhalb Wochen fällt der Startschuss des Giro d´Italia, in weniger als 100 Tagen beginnt die Tour de France. Die Favoriten wie Nairo Quintana (Movistar), Alberto Contador (Tinkoff), Chris Froome (Sky) sowie Vincenzo Nibali und Fabio Aru (beide Astana) befinden sich schon lange in der Vorbereitung. Mehrfach haben sich ihre Wege gekreuzt. Wer hat die beste Frühform, wer stolpert bei der Vorbereitung?
Die gute Nachricht zuerst: Nach aktuellem Stand können sich die Radsport-Fans auf einen spannenden Rundfahrtsommer freuen. Viele Rennfahrer aus dem engeren und erweiterten Favoriten-Kreis für die dreiwöchigen Rundfahrten haben mit ersten Saisonsiegen bereits unter Beweis gestellt, dass mit ihnen zu rechnen ist.
Den besten Eindruck macht aktuell der Kolumbianer Nairo Quintana. Der letztjährige Tour-Zweite begann seine Saison Ende Januar mit einer mehr als soliden Vorstellung bei der Tour de San Luis in Argentinien. Dort verhalf er seinem jüngeren Bruder Dayer zum ersten Rundfahrtsieg und belegte selbst in der Endabrechnung Platz drei. Nach einer Trainingsphase in Kolumbien erreichte Quintana bei den dortigen Landesmeisterschaften Rang vier im Straßenrennen. Mit einem Paukenschlag gab er dann im März sein Renndebüt in Europa: Bei der zur World Tour zählenden Katalonien-Rundfahrt setzte sich Quintana gegen ein starkes Feld durch und feierte nach sieben spannenden Etappen seinen ersten Sieg im Jahr 2016. Unter anderem distanzierte er mit Alberto Contador, Chris Froome, Fabio Aru, Richie Porte (BMC) und Romain Bardet (AG2R) namhafte Rundfahrer. Dieser Sieg dürfte Quinatans Selbstvertrauen stärken und den „sueño amarillo“, den Traum vom Gelben Trikot, weiter anfachen. Auch der starke Auftritt von Quintanas Movistar-Team war ein Zeichen an die Konkurrenz.
Chris Froome hingegen vermochte bei seinem ersten Rennstart in Europa nicht zu überzeugen. Zwar wurde er Achter der Katalonien-Rundfahrt, doch bei den entscheidenden beiden Bergetappen konnte er nicht mithalten. Dabei hatte sein Team Sky insbesondere bei der dritten Etappe nach La Molina in bewährter Manier lange gearbeitet und den Weg für eine Attacke des Kapitäns geebnet. Doch als es drauf ankam, waren es Quintana, Contador und Porte, aber auch Daniel Martin (etixx-Quick Step), Tejay van Garderen (BMC) und Ilnur Zakarin (Katusha), die Stärke demonstrierten, während Froome abgehängt wurde. Alles nicht dramatisch, zumal Froome bereits bei der Herald Sun Tour in Australien seinen ersten Saisonsieg feierte und mit Attacken am letzten Tag der Katalonien-Rundfahrt Kampfgeist bewies. Doch beim direkten Aufeinandertreffen geht die erste Runde an die Konkurrenz. Es wird spannend sein zu beobachten, was für Rückschlüsse der Gewinner der letztjährigen Tour de France nun ziehen wird.
In guter Form zeigt sich indes Alberto Contador. Seinen ersten Saisonsieg holte er sich im Februar bei einer Bergankunft der Algarve-Rundfahrt, die er auch auf dem dritten Gesamtrang abschloss. Bei Paris-Nizza und der Katalonien-Rundfahrt wurde er jeweils knapp geschlagen und belegte mit wenigen Sekunden Rückstand den zweiten Platz. Contador war präsent, prägte die Rennen mit offensiver Fahrweise und unterstrich mit seinen vorderen Platzierungen die aufsteigende Form. Der Madrilene – das wude deutlich – ist hochmotiviert und möchte in seiner voraussichtlich letzten Saison noch einmal dicke Ausrufezeichen setzen.
Während die drei bis hierhin genannten Rennfahrer die Tour de France zu ihrem Saisonziel erklärt haben, peilt Vincenzo Nibali den Sieg beim Giro d´Italia an. Dabei scheint er durchaus auf Kurs zu liegen: Im Februar gewann er die Königsetappe sowie die Gesamtwertung der Oman-Rundfahrt, platzierte sich beim schweren Eintagesrennen Strade Bianche als 15. weit vorne und zeigte sich bei Mailand – San Remo angriffslustig. Beim Etappenrennen Tirreno Adriatico wurde er Sechster der Gesamtwertung und beschwerte sich bitterlich, dass die Königsetappe wegen Wetterkapriolen nicht ausgefahren wurde. Nibalis Formkurve zeigt also ebenso nach oben wie sein Selbstvertrauen. Mit ihm wird beim Giro d´Italia zu rechnen sein.
Teamkollege Fabio Aru – im letzten Jahr Zweiter des Giro d´Italia und Sieger der Spanien-Rundfahrt – scheint seiner Form hingegen noch hinterherzulaufen. Bei der Katalonien-Rundfahrt war in den entscheidenden Phasen der Bergetappen nichts von ihm zu sehen, erst bei der Schlussetappe setzte er sich auf dem Rundkurs in Barcelona als Ausreißer in Szene. Abschreiben sollte man Aru, der dieses Jahr als Kapitän von Astana sein Tour de France-Debüt gibt und von Nibali unterstützt werden soll, jedoch nicht. Zwar hat er als Einziger der Top-Rundfahrer 2016 noch keinen Sieg errungen. Aber zum einen zeigte er bereits gute Leistungen, etwa als Etappenzweiter hinter Contador bei der Algarve-Rundfahrt (Gesamtrang 9) und Etappenvierter bei der schweren Ankunft am Xorret del Catí bei der Valencia-Rundfahrt (Gesamtrang 6). Und zum anderen lief es auch im letzten Jahr vor dem Giro d´Italia bei Aru nicht ganz rund. Als es darauf ankam, war die Form dann aber da.
Neben den Stars, die in den vergangenen Jahre die Siege bei den großen Rundfahrten unter sich ausgemacht haben, ist aber auch die zweite Reihe bereits in guter Frühform. Alejandro Valverde (Movistar), der den Giro d´Italia anpeilt, holte bereits einige gute Platzierungen und gewann eine Etappe sowie die Gesamtwertung der Ruta del Sol. Am Wochenende gewann Thibaut Pinot (FdJ) das Criterium International und feierte dabei gleich zwei Etappensiege (beim Zeitfahren und einer Bergetappe). Romain Bardet (AG2R) fuhr bei der Oman-Rundfahrt, Paris-Nizza und der Katalonien-Rundfahrt in die Top Ten der Gesamtwertung. Froome-Helfer Geraint Thomas (Sky) gewann mit Algarve-Rundfahrt und Paris-Nizza gleich zwei Etappenrennen in diesem Jahr und könnte in Richtung Tour gar ein zweites Ass im Ärmel von Sky-Teamchef Sir David Brailsford werden.
Erfreulich aus deutscher Sicht ist, dass Dominik Nerz und Emanuel Buchmann (Bora Argon 18) ebenfalls bereits gut in Form sind. Nerz belegte beim Criterium International sowohl bei der Königsetappe als auch in der Gesamtwertung Rang sieben, der deutsche Meister Buchmann wurde Dreizehnter. Ähnliche Auftritte bei der Tour de France wären wünschenswert, die Einladung zur Grande Boucle hat Bora-Argon 18 schon sicher.
Auch wenn bis zum Start der großen Rundfahrten noch viel passieren kann: Die Frühform vieler Protagonisten lässt das ein oder andere Radsport-Spektakel erwarten.