Radsport: Eine Grand Tour zu gewinnen, ist für jeden Radprofi ein Traum. Hat ein Fahrer in seiner Karriere bereits mehrere große Landesrundfahrten siegreich beendet, werden neue Ziele gesetzt. So auch derzeit bei Nairo Quintana und Chris Froome. Beide peilen laut Medienberichten das Giro/Tour-Double an. Doch ist dieses Kunststück in der heutigen Zeit überhaupt noch machbar? Seit 1998 ist das keinem Fahrer mehr gelungen. Warum ist es so schwer, den Giro d’Italia und die Tour de France innerhalb eines Jahres zu gewinnen?
Contador scheiterte 2011 und 2015
Eine Grand Tour verlangt dem Profi alles ab. Es ist eine schier unmenschliche Anstrengung, rund 3.000 Kilometer innerhalb von drei Wochen auf dem Rad zu absolvieren. Jeder Jugendprofi träumt davon, einmal in seinem Leben für eine große Landesrundfahrt nominiert zu werden. Wer sie gewinnt, steigt zurecht in den Olymp des Radsports auf. Fast in jeder Epoche gibt es – trotz zahlreicher Gegner – einen Dominator. Immer wenn ein Fahrer zum Seriensieger mutiert, werden die Rufe nach dem Double laut. Lance Armstrong hat diese Rufe überhört. Alberto Contador hat die Herausforderung angenommen. 2015 erklärte der Spanier wieso: „Das Giro-Tour-Double ist deshalb so attraktiv, weil es so schwierig zu erreichen ist und von manchen Leuten als unmöglich angesehen wird.“ Das ist wahr, denn im modernen Radsport ist dieses Kunststück bislang niemandem gelungen. El Pistolero wurde nach seinem Giro-Sieg 2015 immerhin Fünfter bei der Tour de France.
Grand Tours | Fahrer | Jahr | |
---|---|---|---|
Giro + Vuelta | Eddy Merckx | 1973 | |
Giro + Vuelta | Giovanni Battaglin | 1981 | |
Giro + Vuelta | Alberto Contador | 2008 | |
Tour + Vuelta | Jacques Anquetil | 1963 | |
Tour + Vuelta | Bernard Hinault | 1978 | |
Tour + Vuelta | Chris Froome | 2017 | |
Giro + Tour | Fausto Coppi | 1949 | |
Giro + Tour | Fausto Coppi | 1952 | |
Giro + Tour | Jacques Anquetil | 1964 | |
Giro + Tour | Eddy Merckx | 1970 | |
Giro + Tour | Eddy Merckx | 1972 | |
Giro + Tour | Bernard Hinault | 1982 | |
Giro + Tour | Bernard Hinault | 1985 | |
Giro + Tour | Miguel Indurain | 1992 | |
Giro + Tour | Miguel Indurain | 1993 | |
Giro + Tour | Marco Pantani | 1998 |
Warum ist das Giro/Tour-Double so schwer?
Seit Marco Pantani 1998 sind alle Versuche gescheitert. Zuletzt gewagt hat es Nairo Quintana. Im vergangenen Jahr wurde der Kolumbianer beim Giro d’Italia Zweiter und bei der Tour de France Zwölfter. Meist gelingen die Versuche nicht, weil bei der Frankreich-Rundfahrt die Kräfte ausgehen. Kein Wunder, denn es bleibt kaum Zeit zur Erholung. Nach der dreiwöchigen Tortur im Mai hat der Fahrer nur im Juni frei. Im Juli muss er wieder in Bestform sein. Dies ist rein körperlich nahezu unmöglich. Nach einem Hoch benötigt der Sportler ein Tief, um danach wieder ein Hoch erleben zu können. Es ist nicht machbar, die Bestform von Anfang Mai bis Ende Juli zu konservieren. Trifft er auf starke Gegner, so wird er an irgendeinem der 42 Tage eine Schwäche zeigen – und dann zerplatzt der Traum wie eine Seifenblase. So zumindest die Theorie, aber warum haben dieses Kunststück in der Vergangenheit bereits sechs Fahrer geschafft?
Der Radsport hat sich verändert
Wenn vom modernen Radsport die Rede ist, dann ist nicht nur die neueste Technik gemeint. Dabei geht es auch um die Kalenderplanung. Während ein Eddy Merckx alle Rennen gefahren ist, bereitet sich ein Chris Froome punktuell auf sein Saisonhighlight vor. Würden die besten Klassementfahrer der Welt allesamt den Giro und die Tour bestreiten, hätte der Brite sicher gute Chancen auf das Double. Bereitet sich jedoch ein Profi auf beide Rundfahrten vor, während seine Konkurrenten sich auf eine Grand Tour spezialisieren, sind die Aussichten weniger gut. So geschehen erst im vergangenen Jahr: Quintana wollte beide Rundfahrten auf Sieg fahren, während Dumoulin nur den Giro anvisierte und Froome die Tour. Dass dem Briten nach dem Toursieg auch der Triumph bei der Vuelta gelang, ist ihm hoch anzurechnen. Doch das Double Tour + Vuelta ist nicht vergleichbar mit dem Double Giro + Tour. Schließlich standen ihm bei der Vuelta fast nur Fahrer gegenüber, welche – ebenso wie er selbst – schon die Frankreich-Rundfahrt in den Beinen hatten.
Nur das passende Streckenprofil ermöglicht ein Double
Sollte sich die Kalenderplanung der Profis nicht wieder in die andere Richtung entwickeln, werden wir beim Giro und der Tour vermutlich nie wieder den gleichen Sieger innerhalb eines Jahres erleben. Lediglich ein perfekt passendes Streckenprofil könnte dies dann noch ermöglichen. Vermutlich aber auch nur für den besten Zeitfahrer im Peloton. Für ein solches Unterfangen kommen daher aktuell wohl lediglich Chris Froome und Tom Dumoulin in Frage. Sollten sie sich durch ein langes Zeitfahren einen großen Vorsprung erarbeiten, könnten sie diesen in den Bergen verteidigen. Wenn sich dann auch noch die entscheidenden Bergetappen auf nur wenige Tage begrenzen lassen, bestünde eine Möglichkeit. Doch was hat uns schon Fußball-Poet Lothar Matthäus gelehrt? „Wäre, wäre, Fahrradkette …“