Radsport: 176 Fahrer, aufgeteilt in 22 Teams, werden am 1. Juli die Tour de France 2022 in Angriff nehmen. Wir blicken auf alle Mannschaften und deren Ziele. Im ersten Teil widmen wir uns allen Teams, die einen erstklassigen Sprinter in ihren eigenen Reihen haben und ihren Fokus daher auf die Massensprints legen.
Quick-Step Alpha Vinyl
Fast schon traditionell geht die belgische Mannschaft Quick-Step Alpha Vinyl als Sprinterteam in die Tour de France. Mit Fabio Jakobsen hat man den aktuell wohl schnellsten Mann in den eigenen Reihen. Daher kann man es sich sogar erlauben, den frisch gebackenen Britischen Meister Mark Cavendish Zuhause zu lassen. Zwei Sprinter sind eben einer zu viel. Und so setzt man bei Quick-Step Alpha Vinyl voll und ganz auf die Karte Jakobsen. Mit dem Dänen Michael Morkov hat er den besten Anfahrer der Welt an seiner Seite und wird zweifelsohne in den Massensprints der Favorit sein. Ist das Teilstück für ihn zu schwer, wird das Team selbst in die Offensive gehen. Diesmal aber ohne Julian Alaphilippe, denn auch der Franzose wurde überraschend nicht nominiert. Stattdessen setzt man auf ein Klassiker-Team um den Dänen Kasper Asgreen, den Belgier Yves Lampaert, den Franzosen Florian Senechal, sowie den Italiener Andrea Bagioli. Für die Berge wurden der Däne Mikkel Honoré und der Italiener Mattia Cattaneo nominiert.
Prognose: Quick-Step Alpha Vinyl hat wie immer einen klaren Plan. Mit Fabio Jakobsen wird man mehr als nur einen Massensprint gewinnen. Auf allen anderen Etappen heißt es: Feuer frei! Dann wird die Truppe selbst Gruppen erstellen und vor allem auf hügeligen Etappen um Tagessiege fahren.
Alpecin – Deceuninck
Aus Alpecin – Fenix wird zur Tour de France 2022 Alpecin – Deceuninck. Die Ausrichtung der Mannschaft aber bleibt wie gewohnt sehr sprint- und klassikerlastig. Kopf der Mannschaft ist natürlich Mathieu van der Poel. Der Niederländer wird auf welligen Etappen sein Können unter Beweis stellen und um Etappensiege fahren. Ist das Teilstück flach, bekommt Sprinter Jasper Philipsen die ganze Unterstützung der Mannschaft. Der Belgier ist schnell und hat bereits gezeigt, dass er es auch bei wichtigen Rennen kann. Der Rest der Mannschaft wird den beiden Stars zuarbeiten und eher selten auf eigene Rechnung fahren dürfen. Es kann jedoch sein, dass der Schweizer Silvan Dillier, der Österreicher Michael Gogl, der Deutsche Alexander Krieger, der Italiener Kristian Sbaragli und die beiden Belgier Edward Planckaert und Guillaume van Keirsbulck in der zweiten bzw. dritten Woche ihre Freiheiten erhalten. Denn es ist auch in diesem Jahr unklar, ob Mathieu van der Poel die Rundfahrt überhaupt beenden möchte.
Prognose: Im Team Alpecin – Deceuninck sind die Rollen klar verteilt. Ist es flach, fährt man für Philipsen. Ist es wellig, fährt man für Van der Poel. Die Truppe ist daher zwar sehr ausrechenbar, aber auch stark auf ihrem Terrain. Wird dieses Terrain jedoch verlassen, wird man das Team kaum noch sehen. In den Bergen beispielsweise hat die belgische Mannschaft nicht viel zu bieten.
Lotto – Soudal
Viele Fans und Experten waren überrascht, als Lotto – Soudal sein Aufgebot für die Tour de France 2022 bekannt gegeben hat. Mit dem Australier Caleb Ewan hat man zwar den Top-Sprinter nominiert, aber man stellt ihm keinen Sprintzug zur Seite. So muss unter anderem der deutsche Anfahrer Roger Kluge Zuhause bleiben. Der Belgier Frederik Frison und der Südafrikaner Reinardt Janse van Rensburg werden Caleb Ewan dennoch bestens unterstützen, wenn es auf die letzten Kilometer geht. Ansonsten setzt Lotto – Soudal auf weitere Etappenjäger. Die Belgier Tim Wellens, Florian Vermeersch und Philippe Gilbert sollen auf welligem Terrain sowie auf Kopfsteinpflaster für Furore sorgen. Belgiens Bren van Moer und Dänemarks Andreas Kron bringen sogar Qualitäten für die Berge mit. Damit ist die Mannschaft deutlich flexibler und breiter aufgestellt als in den Jahren zuvor – aber rächt sich das nicht in den Massensprints?
Prognose: Caleb Ewan wird wenig erfreut gewesen sein, als er erfahren hat, dass ihm nicht das halbe Team als Helfer zur Seite gestellt wird. Dennoch wissen wir: Der Australier kann es auch ohne Sprintzug. Daher wird er mindestens einen Etappensieg einfahren können. Und dabei wird es nicht bleiben, denn der Mannschaft ist auf nahezu jedem Terrain zuzutrauen, in Gruppen zu gehen und das Ding abzuschießen.
Cofidis
Die französische Equipe Cofidis fährt bei der Tour de France 2022 zweigleisig. Mit Guillaume Martin hat man einen starken Kletterer in den eigenen Reihen, der die Top 10 in der Gesamtwertung anpeilt. Gleichzeitig nominierte die Teamleitung aber auch Bryan Coquard, der bei den Sprintankünften für Erfolge sorgen soll. Die beiden Franzosen bekommen jeweils ein paar Fahrer zur Seite gestellt. So werden sich der Spanier Ion Izagirre, der Deutsche Simon Geschke und die beiden Franzosen Anthony Perez und Victor Lafay vorwiegend um Guillaume Martin kümmern, während der Deutsche Max Walscheid und der Franzose Benjamin Thomas eher für das Wohl von Bryan Coquard zu sorgen haben. Gleichzeitig werden sie alle aber hin und wieder ihre Freiheiten genießen dürfen, so wie wir es von Cofidis aus der Vergangenheit kennen.
Prognose: Bryan Coquard wird es schwer haben, bei dieser Sprinter-Konkurrenz einen Etappensieg einzufahren. Gleiches gilt für Guillaume Martin, der beim Giro d’Italia bereits gezeigt hat, dass er sehr aktiv, aber eben nur wenig kraftsparend fahren kann. Ein Etappensieg über eine frühe Flucht scheint – egal für welchen Cofidis-Profi – schon fast die größte Wahrscheinlichkeit auszustrahlen.
DSM
Schon beim Giro d’Italia vor wenigen Wochen hat Alberto Dainese die Konkurrenz im Massensprint überrascht. Gleiches soll der Italiener nun bei der Tour de France wiederholen. DSM stellt für ihn den Deutschen John Degenkolb, den Dänen Casper Pedersen und den Niederländer Nils Eekhof ab. Zu viert sollen sie auf Flachetappen für einen Erfolg im Massensprint sorgen. Wird es wellig oder gar bergig, sind die anderen fünf Profis gefragt – allen voran Romain Bardet. Der Franzose hat seine beste Zeit hinter sich, konnte beim Giro d’Italia aber mit hervorragenden Leistungen überzeugen. Kann er noch einmal auf das Gesamtklassement fahren? Oder setzt man doch auf den jungen Norweger Andreas Leknessund? Klar ist, sowohl diese beiden, als auch der Australier Chris Hamilton und der Niederländer Martijn Tusveld sind im Hochgebirge dazu in der Lage, in Gruppen zu gehen und Etappen zu gewinnen. Vielleicht schielt man sogar auf das Bergtrikot, wenn es mit dem Gelben nicht klappt.
Prognose: Das Team DSM hat auf keinem Terrain den besten Fahrer in den eigenen Reihen, aber kann trotzdem überall mitmischen. Es ist fast schon zu hoffen, dass die Ambitionen in der Gesamtwertung früh ad acta gelegt werden, damit wir eine offensive Mannschaft zu sehen bekommen. Dann wird DSM auf Etappenjagd und das Bergtrikot gehen – und beides wird dann auch gelingen.
Intermarché – Wanty – Gobert Matériaux
Auch im zweiten WorldTour-Jahr tut sich die belgische Mannschaft Intermarché – Wanty – Gobert Matériaux schwer. Im Kader fehlen die Top-Fahrer und die bekanntesten sind zugleich diejenigen, die an ihr altes Leistungsniveau einfach nicht mehr herankommen. Alexander Kristoff zum Beispiel galt früher als heißer Kandidat für Etappensiege. Auch jetzt ist ihm zwar immer noch ein Coup zuzutrauen, als einer der Favoriten wird er aber nicht mehr genannt. Neben dem Norweger sollen der Franzose Adrien Petit und der Italiener Andrea Pasqualon in den Sprints für Erfolge sorgen. Unklar ist, ob die drei mit einer klaren Rollen-Verteilung zusammenarbeiten werden, oder jeder abwechselnd oder sogar gleichzeitig auf eigene Rechnung fahren darf. Sicher ist: Da ein Erfolg im Massensprint unwahrscheinlich ist, wird man parallel dazu die Ausreißergruppen bestücken. Dafür eigenen sich der Belgier Kobe Goossens und der Norweger Sven Erik Bystrom als Allrounder perfekt. Der Niederländer Taco van der Hoorn wird auf Flachetappen in Gruppen gehen und hoffen, erneut einen Überraschungscoup zu landen. In den Bergen dürfte man auf den Südafrikaner Louis Meintjes und den Deutschen Georg Zimmermann setzen. Aber auch auf diesem Terrain zählt man gewiss nicht zu den Favoriten, so dass eine frühe Flucht der einzige Ausweg scheint.
Prognose: Intermarché – Wanty – Gobert Matériaux bleibt überhaupt nichts anderes übrig, als jeden Tag die Flucht zu ergreifen. Wartet man bis zum Finale, ist man nahezu chancenlos. Die Deutschen Fans dürfen auf einen starken Georg Zimmermann hoffen, der bei der Tour de France 2022 vielleicht seinen großen Durchbruch feiert.
TotalEnergies
Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass Peter Sagan nicht als Favorit auf das Grüne Trikot in eine Tour de France startet. Der Slowake gewann zwar zuletzt bei der Tour de Suisse eine Etappe, ist jedoch von seiner früheren Qualität meilenweit entfernt. Dennoch wird die Mannschaft alles daran setzen, ihn erneut zum König in der Punktewertung zu machen. Seine treuen Begleiter Daniel Oss aus Italien und Maciej Bodnar aus Polen werden auch im neuen Team rund um die Uhr für ihn da sein. Gleiches gilt für den Franzosen Anthony Turgis. Eine relativ freie Rolle dürfte der erfahrene Norweger Edvald Boasson Hagen bekommen. Die restliche Truppe von TotalEnergies ist tatsächlich eher für die Berge geeignet, wobei als Kapitän ganz klar Pierre Latour auszumachen ist. Der Franzose wird das Ziel verfolgen, in der Gesamtwertung unter die Top 10 zu fahren. Bauen darf er vor allem auf seine Landsleute Alexis Vuillermoz und Mathieu Burgaudeau, die auch immer wieder in Gruppen zu finden sein werden. TotalEnergies kann es sich nämlich nicht leisten, bis zum Schlussanstieg zu warten.
Prognose: Mit Peter Sagan und Pierre Latour hat sich TotalEnergies hohe Ziele gesteckt, die sie vermutlich alle verfehlen werden. Peter Sagan wird das Grüne Trikot nicht gewinnen und Pierre Latour wird es schwer haben am Ende tatsächlich unter den Top 10 zu landen. Daher wird man spätestens in der dritten Woche alles daran setzen über Ausreißergruppen zu einem Tagessieg zu kommen, um die Bilanz bei der Tour de France 2022 doch noch zu retten.
BikeExchange – Jayco
Mit der Verpflichtung von Dylan Groenewegen und der Rückhol-Aktion von Michael Matthews hat sich das Team BikeExchange – Jayco neu ausgerichtet. Während der Niederländer auf Flachetappen in Massensprints für Erfolge sorgen soll, wird der Australier auf leicht welligem Terrain als Kapitän eingesetzt. Der Slowene Luka Mezgec ist stark genug, um beide zu unterstützen. Der Rest der Mannschaft wird es jedoch schwer haben, sich selbst in Szene zu setzen. Nick Schultz ist ein begabter Kletterer, wird bei dieser Konkurrenz aber untergehen. Der Australier muss am richtigen Tag die richtige Gruppe erwischen, um im Gebirge eventuell um einen Etappensieg fahren zu können. Seine Landsmänner Luke Durbridge und Alex Edmondson, sowie der Neuseeländer Jack Bauer sind starke Zeitfahrer und immer aktiv bei Eintagesrennen. Sie werden ebenso wie der Norweger Amund Jansen hin und wieder in Gruppen gehen, wenn die Straße nicht allzu sehr ansteigend ist.
Prognose: Mit etwas Glück können Dylan Groenewegen und Michael Matthews die Tour de France für das Team im Alleingang erfolgreich gestalten. Gelingt es diesen beiden jedoch nicht, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen, so muss der Rest der Mannschaft mit Ausreißversuchen die Frankreich-Rundfahrt irgendwie retten. Nick Schultz könnte endlich seinen Durchbruch feiern und ist diesbezüglich wohl die größte Hoffnung des Teams.