Es ist angerichtet
Nach unserem Trainingslager in den Dolomiten waren wir ja alle gemeinsam am Samstag nach Lienz angereist, wo wir gegen Mittag ankamen und ich den Nachmittag noch für einige organisatorische Dinge nutzen konnte. Mir war noch in den Dolomiten mein Laptop abgekratzt und damit schon so Einiges auf der Stecke geblieben.
Vor dem nachmittäglichen Gewitter ging es dann aber doch noch aufs Rad, mit einem kurzen Besuch des Kinderrennens am Hauptplatz, und dann auf meine schon traditionelle Vorbelastungsrunde zum Tristacher See und über Lavant zurück nach Lienz. Exakt 45 min. mit 5 Peaks a´45 sek. bei 450-500W standen da auf dem Garmin. Die Beine waren super, wenn man bedenkt, dass ich seit letzten Donnerstag täglich am Rad gesessen und in diesen 9 Tagen gut 30000 Höhenmeter und 1250 Kilometer zurückgelegt hatte. Jede dieser 65 Stunden im Sattel mit meinen Teamfahrern war ein Hochgenuss, denn endlich hatte ich mal Zeit für längere Einheiten und effektives Bergtraining.
Nach den letzten Vorbereitungen am Rad ging es noch zur Kaiserschmarren-Party in die Dolomitenhalle, zur Nummernabholung und zur Trikotübergabe. Der Schmarren war wie immer köstlich und die Stimmung in der Mannschaft super. Kaum zurück im Hotel, ging es für die meissten auch schon unter die Bettdecke. Für mich begann der Abend aber erst so richtig. Die Einladung zum Empfang aus Schloss Bruck mit den italienischen Repräsentanten des Supergiros, dem kompletten OK-Komitee und allen Verantwortlichen des Rennens, sowie vielen, bereits von früheren Events dieser Art bekannten Gesichtern konnte ich einfach nicht ausschlagen.
Auf in den Kampf
Somit ging es wie üblich spät ins Bett und umso früher wieder ans Werk. Sicher nicht die perfekte Vorbereitung, aber netzwerken ist eben in meinem Job auch wichtig. Da fragt niemand, wann der Wecker klingelt. Also auf zum Frühstück, alles perfekt vorbereitet, ein letztes kurzes Briefing und mittlerweile schon komplett selbständig organisiert rollten wir in die bereits reservierte erste Startreihe. Motiviert und guter Dinge für die große Herausforderung die uns bevorstand. Letztes kurzes Interview mit Othmar Peer – auch für meine Teamfahrer mittlerweile Routine, Fotos wie immer von Marco Felgenhauer und weiteren Fotografen – und schon galt es: „Start frei“!
Ich gleich vorne weg, denn auf das Anfangsgetümmel hatte ich keine Lust. Der Motor war sofort auf Touren. Standgas rein und raus aus Lienz. Es dauerte nicht lange, bis Paul Lindner aufkreuzte und die Führung übernahm. Dann erst mal weiter zurückgefallen lassen, kurz was gegessen und rechtzeitig vor dem Gailbergsattel wieder an die Spitze gesetzt, um die Brücke samt Schienen gut zu meistern. Sofort unten rein, die Attacke von Paul. Unwiderstehlich der Antritt des Routiniers – doch wer ihn kennt weiß – ewig geht das nicht gut… Also den Gailberg dosiert hinauf, jedes Korn gespart und das Starterfeld etwas genauer unter die Lupe genommen.
Viel Prominenz war nicht nach Lienz angereist. Für mich war das eher überraschend, nach der Premiere im Vorjahr, wo sich das „Who is Who“ der Szene die Klinke in die Hand gegeben hatte. Auch kein Promis wie Benjamin Karl, Andreas Goldberger und Co., auffällig nur das „Bernhard Kohl“ Team mit Kapitän persönlich, der sich schon hier mein Hinterrad gut einprägte. So ging es mit gut 40 Mann über den Gailberg und wenig später in den Anstieg Plöckenpass. Ulrich als einziger meines Teams noch mit dabei. Plöckenpass auch dosiert, vor der Flachstelle kurz reißen gelassen, um Körner zu sparen. Vor der Passhöhe dann wieder ganz vor, um das Feld sicher durch die ersten Kehren hinunter zu führen und ein Chaos wie letztes Jahr unter der „Beraldo-Diktatur“ zu verhindern.
So ging es ganz entspannt bergab, genug Zeit für eine zweite Brotzeit, kurze Erleichterung und um den locker gewordenen Flaschenhalter abzuschrauben und wegzuschmeißen. Unten in den nächsten Anstieg auch noch dosiert, bis ich an den ersten Rampen begann das Feld auszudünnen. Außer mir ergriff keiner die Initiative und so fuhr ab dort nurmehr ich vorne. In Treppo Carnico dann die vermeintliche Vorentscheidung, an meinem Hinterrad nur noch Kohl, Markus Feyrer (Team Bernhard Kohl) und ein weiterer, mit unbekannter Fahrer. So ging es über den Sattel und in die Abfahrt, wo bis auf Kohl, keiner mein angeschlagenes Tempo mitgehen konnte. In den Lanzen unten hinein gleich weiter gestiefelt – konstant 360-370 Watt auf der Uhr, bis der hartnäckige Feyrer außer Sichtweite war.
Zweikampf an der Spitze
Dann schloss der Begleitwagen von Kohl zu uns auf, ein voll ausgerüsteter Kombi mit Dachträger, Reserverad. Ganz wie im Profizirkus. Mir war´s egal und von den falschen Angaben zum Vorsprung ließ ich mich nicht irritieren. Die letzten Meter kam dann auch noch das Kamerateam im Cabriolet vorbei. An dieser Stelle vielen Dank an Marco Felgenhauer und Hans Groder für die tollen Bilder! Mit Kohl im Schlepptau ging es auch in die Abfahrt, die wir mit etwas Vorsicht bewältigten. Es begann schon leicht zu tröpfeln und schwarze Wolken hingen über den Bergen. Wie erwartet, waren wir schon weit im Anstieg zum Nassfeld und immer noch kein Verfolger in Sicht – obwohl der Vorsprung lt. Begleitfahrzeug „nur“ gut 3 Minuten groß sein sollte…
Dank Rudi Neumayr, dem Rennleiter erfuhr ich dann aber den wahren Vorsprung – gut 5 Minuten auf 2 Fahrer… Also ging es im leichten Regen das Nassfeld hinauf. Ich war noch top drauf und „mogelte“ mich irgendwie ohne Verpflegung durch, war dann aber froh, als mir Bernhard Hilfe aus dem Auto anbot und ich ein Gel und eine Regenjacke für die Abfahrt bekam. Ich selbst hatte nichts dabei und kein Service bis Kötschach – noch ein weiter weg im immer stärkeren werdenden Regen. Die Jacke konnte ich unmöglich anziehen – sie war geschlossen und wie ein nasser Plastiksack, also mit Müh und Not unters Trikot gewurschtelt und runter über die glitschige und rissige Nassfeld-Abfahrt. Es war eine Rutschpartie, die wir zum Glück beide unbeschadet überstanden und dann das endlose Flachstück in Angriff nahmen.
Spätestens hier war klar – der Regen war kein willkommener Sommerregen sondern eine ernsthafte Angelegenheit, die Mensch und Material für den Rest der Strecke auf die Probe stellen würde. Auch ich hatte mich schlichtweg leichtsinnig verpokert, hatte für die Witterung viel zu wenig zu essen und schon gar keine Ausrüstung dabei. Ich ahnte böses, denn ich wollte mir nicht ausmalen, wie schwer die Abfahrt vom Lanzenpass zu fahren sein würde, noch dazu mit mehr Gewicht und vielleicht noch mit Carbonfelgen – fast ein Himmelfahrtskommando. Einige Male kam uns bereits die Rettung mit Blaulicht entgegen. Nach „Rennen“ war mir nicht mehr wirklich zumute, hätte ich doch fast lieber umgedreht und auf meine Teamfahrer gewartet. Aber es wäre wohl auch extrem gewesen, Kohl alleine ziehen zu lassen….
Einmal durch die Hölle und zurück
… der sich dann erstmals zur Führungsarbeit überreden ließ. Nachdem der Vorsprung am Nassfeld laut Rennleiter nun 7 Minuten betrug, sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Ich nahm noch eine Flasche vom Rennleiter und dürfte dabei wohl zu „gierig“ das stark dosierte Isostar-Getränk zugeführt haben – war ich doch schon ziemlich ausgelutscht und froh um jede Kalorie. Nach kurzer Action mit dem Polizeiauto, das uns in Kötschach mehrmals behinderte, erreichten wir endlich meine Labestation und ich bekam mein lang ersehntes Allin Getränk und einen Riegel. Also weg mit dem Isostar Gesöff, das meinen Bauch aufblähte wie einen Luftballon, und sehr vorsichtige Schlucke das Eiweißshakes und einen Bissen vom Riegel zugeführt, während es wieder mit 300W die erste Rampe berghoch ging.
Im 2. Steilstück dann der völlig unvermittelte Angriff von Kohl, den ich bis heute nicht nachvollziehen kann… 60 Kilometer vor dem Ziel, mit fast 10 Minuten Vorsprung in Kötschach – bei Dauerregen, Kälte und Wind – dass er der stärkere von uns beiden war – hatte er ja am Lanzen eindrucksvoll bewiesen, als er sich mehrmals zum Auto zurückfallen hatte lassen und mir dann locker wieder ans Hinterrad tänzelte – trotz 370W auf meinem Garmin. Mir zog diese Aktion jedenfalls den mentalen Stecker und ich musste kämpfen, mich überwinden nicht einfach umzudrehen, so kalt und schlecht war mir – auch vor Ärger.
Naja – obwohl ich viel lieber abgestiegen wäre und mich in ein warmes Gasthaus gesetzt hätte, um mich vermutlich wenig später zu übergeben, versuchte ich, möglichste konstant weiter zu fahren. Ich zwängte mich mit letzter Kraft in den rettenden Fetzen einer Regenjacke, die wenigstens etwas wärmende Luft an meiner Haut staute und aß und trank was ich noch hatte. Immer müder wurde der Tritt, immer stärker der Regen, immer weniger die Zuschauer… Es war einfach nur trostlos da hinauf zu fahren. Einzige Motivation, waren die wenigen Radler der kurzen Strecke, die ich einholte und vielleicht noch der Gedanke an die Sauna im Hotel – doch die war noch mindestens 2 qualvolle Stunden entfernt.
Nach mehreren kniffligen Zwischenabfahrten und der ganzen Holperei, die mir jedes Mal halb den Magen umdrehte, erreichte ich dann irgendwann den Kartitscher Sattel. Leider hatten sich die Helfer an den Labestellen ins Warme verkrochen oder reichten zumindest nichts, was mich noch bei Kräften hätte halten können. So ging es in die Abfahrt. An treten war nicht mehr zu denken und unten dann auch noch kurz falsch geleitet von den unaufmerksamen Feuerwehrleuten, aber mir war eh schon so ziemlich alles egal, Hauptsache so schnell wie möglich unter eine heiße Dusche!
Nicht nur einmal überlegte ich, direkt an der 2-Kilometer Marke zum Hotel abzubiegen, doch kurz vor Leisach kam dann, was kommen musste, 3 Fahrer preschten in Begleitung eines Motorrades an mir vorbei – mit dabei 2 Fahrer der kurzen Strecke und Daniel Rubisoir, der den Supergiro „als Training“ mitrollen wollte. Mit letzter Kraft hängt ich mich hinten dran. Statt 30-35 km/h ging es dann mit 45 bis 50 Sachen in Richtung Lienz. In der Zielpassage schaute ich nur noch, einigermaßen gerade aus zu fahren. Der Antritt von Rubi war mir genauso gleichgültig wie alles andere, was um mich herum passierte. Sofort war unsere Betreuerin Martina zur Stelle, sah sofort was los war, geleitete mich ins Rettungszelt und führte mich wenig später ins Hotel.
Sorgen im Ziel
Nach einem Becher Tee plagte mich dann die Sorge um meine Mitstreiter: „Wie ging es wohl den anderen auf der Strecke, waren wohl alle heil den Lanzen hinunter gekommen im Regen und wo quälten sie sich gerade gegen Regen und Kälte?“ Ohne die Regenjacke wäre ich vermutlich erfroren, doch wie hatten sich meine Teamfahrer beholfen? Martina versprach mir, sich sofort zu melden, wenn ich irgendwie helfen hätte können und so kauerte ich mich unter die Dusche – gebeutelt von Schüttelfrost und Magenkrämpfen. Erst als wenig später Ulrich ins Zimmer Platze und mir in Radklamotten unter der Dusche fast um den Hals fiel, legte sich meine Beunruhigung um die anderen, denn Ulrich bereitete, dass Mona gewonnen hatte, er selbst 7. Gesamt wurde und schon ziemlich alle Teamfahrer heil das Ziel erreicht hatten.
Mir fiel in dem Moment ein Stein vom Herzen und ich war überglücklich, als wir alle gemeinsam dann in der Halle saßen, jeder wieder Farbe im Gesicht hatte, und wir uns – wenn auch sehr vorsichtig – den Magen mit den wärmenden Nudeln, Gulasch, Kuchen und den Ganzen anderen Köstlichkeiten voll schlugen. Im Gespräch mit dem Veranstalter, Franz Theurl, wurde auch meine letzte Sorge beseitigt. Alle Fahrer waren heil im Ziel, noch sicher unterwegs, oder längst von Bussen und Taxis aufgesammelt worden. Die vielen Rettungseinsätze endeten alle halbwegs glimpflich, es gab keine schweren Verletzungen und Lob von allen Seiten für das hervorragende „Krisenmanagement“ der Organisation. Auch unser Eberhard kämpfte tapfer bis zum Schluss, wuchtete seine gut 100 Kilogramm in unglaublichen 12:45:00 als stolzer Letzter ins Ziel und war unterwegs von nichts und niemandem zur Aufgabe zu überreden. Ihm gebührt wohl der größte Respekt überhaupt!
Bis bald, euer Stefan