Wer sich Komfort auf schlechten Strecken wünscht, sollte sich bei BMC in den unteren Preisregionen umschauen: Mit dem Granfondo GF02 haben die Schweizer ein interessantes Alu-Rad im Programm, das auf Pavé & Co. in seinem Element ist. Wir haben uns den Metaller im Teamlook genau angeschaut.
Mit Schlechtwetter- oder Winterrädern ist es so eine Sache: Einen alten Rahmen und ein paar Teile hat so ziemlich jeder im Keller herumliegen – Material, aus dem man sich ein Zweitrad aufbauen könnte. Doch irgendwie kommt dabei selten etwas Befriedigendes heraus. Der Unterschied zur guten Rennmaschine ist dann doch zu groß, und so ein alter Hobel lädt nicht gerade dazu ein, an einem regnerischen Sommer-Sonntag eine längere Runde zu fahren.
So hält der Kenner dann nach einer günstigen Rennmaschine Ausschau, die mit guter Qualität überzeugt. Ein zusätzliches Plus sind Merkmale, die sie vom edlen Erstrenner abheben und sie für besondere Einsatzzwecke geeignet machen – eine haltbare Oberfläche etwa für den harten Wintereinsatz, eine etwas kompaktere Sitzposition oder mehr Fahrkomfort für schlechte Strecken. Womit wir bei einem weiteren Punkt wären: Die Tatsache, warum bei der Breitensport-Version der Flandern-Rundfahrt über 16.000 Aktive auf die Strecke gingen, bei der Paris-Roubaix Cyclo eine Woche später aber nur rund 3.000, lässt sich auch dahingehend deuten, dass viele Fahrer auf dem Pavé schlicht Angst um ihr Material haben. In Flandern ist man übers Pflaster ja recht langsam unterwegs, da steil bergauf; die Sektoren von Roubaix dagegen sind nicht nur noch rustikaler, sondern werden auch teils recht flott überfahren. Kein Wunder also, dass man dort viele Crossräder und etliche Uralt-Renner sieht – und ungezählte Radfahrer, die am Streckenrand ihre Schläuche wechselten, da sie mangels größeren Reifendurchlaufs mit 23er Pneus unterwegs sind.
Auf der Suche nach einem Rad, das preiswert ist, winterhart sein dürfte und auch auf schlechten Strecken seinen Mann steht, sind wir auf einen Alu-Renner aus der Schweiz gestoßen. Das Granfondo GF02 von BMC wird in drei Varianten angeboten: als Ultegra-Rad in Schwarzweiß, als weiße Tiagra-Variante und – jetzt wird’s interessant – mit Shimano-105-Mix in Schwarz mit rotem Dekor für 1.499 Euro. Wer sich gelegentlich Bilder aus dem Profi-Radsport anschaut, ahnt es schon: Dieser Rahmen sieht dem Carbon-Granfondo, der bei den Klassikern auch von Philippe Gilbert & Co. gefahren wird, zum Verwechseln ähnlich. Was schon mal eine gute Sache ist, zumal das Granfondo 02 eine Menge mehr kann, als nur wie ein Carbonrad auszusehen.
Erste Überraschung: Rahmenset und Stütze wiegen in Größe 56 gerade mal 1.990 Gramm
Ein paar Teile hat, wie gesagt, jeder im Keller herumliegen – und so besorgten wir uns zum Test ein Rahmenkit, das wir in bewährter Winterrad-Manier mit vorhandenem Material aufbauten. Nicht ohne den Rahmen vorher genauestens unter die Lupe zu nehmen, wobei erst einmal der Gang zur Waage anstand.
Erste Überraschung: Rahmenset und Stütze wiegen in Größe 56 gerade mal 1.990 Gramm – erfreulich wenig angesichts des bulligen Auftritts von Rahmen und Gabel. Die „Compliancepost“ genannte Carbonstütze drückt mit 200 Gramm auf die Waage, der Rahmen bringt es mit Sattelklemmschelle und Flaschenhalter-Schräubchen auf 1.290 Gramm. 400 Gramm steuert die Vollcarbongabel inklusive Innenklemmung bei, der Rest setzt sich aus Steuerlager und konischer Steuersatzkappe zusammen.
Im Reigen der leichten Aluminiumrahmen aktueller Bauart nimmt das Granfondo GF02 damit einen Platz ganz weit vorne ein; Konkurrenten wie das Specialized Allez Smartweld oder das Cannondale CAAD 10 sind vor allem deshalb leichter, weil sie anodisiert sind statt lackiert wie der schwarze Schweizer.
Na gut – bei näherer Betrachtung sind die Unterschiede zum GF01 aus Kohlefaser dann doch offensichtlich. Teil geglättete, teils geschuppte Schweißnähte zeigen, dass hier Aluminium verarbeitet wurde; die Form des Rahmens ist allerdings identisch mit der des Carbon-Modells. Das Oberrohr des Granfondo ist stark geslopt, beim 56er misst das Sitzrohr bis zur Oberkante nur 51 cm. Die Sitzstreben treffen deutlich unterhalb des Oberrohrs auf das Sitzrohr; sie sind flach und weisen einen auffälligen Knick auf Höhe des Bremssteges auf. Alles zusammen soll dem Hinterbau vertikale Elastizität verleihen, wobei freilich schon der lange Auszug der 27,2er Sattelstütze für ordentlichen Flex sorgt. Typisch BMC ist der Steg zwischen Ober- und Sitzrohr, der nebenbei bemerkt sehr angenehm ist, wenn man das Rad die Kellertreppe hinunter trägt.
Das GF02 ist also keineswegs nur etwas für Touristiker.
Das GF02 bietet einen Mix aus klassischen und modernen Montagestandards. Schalt- und Bremszüge verlaufen außen am Rahmen; für einen Aufbau mit Di2 & Co. finden sich am Ausfallende und unterm Werfersockel mit Gummipfropfen verschlossene Kabeleingänge. Der dazugehörige Ausgang sitzt links am Oberrohr direkt beim Bremszug-Anschlag. Überraschend, da BMC das Rad ja gar nicht mit einer elektronischen Schaltung anbietet. Noch nicht?
Ein BSA-Tretlagergehäuse mag nicht mehr der letzte Schrei sein, in Sachen Montage ist das alte System jedoch unübertroffen praktisch – zumal, wenn man noch einen älteren Kurbelsatz im Keller hat. Ein dickes, kantiges Unterrohr und hochkant stehende Kettenstreben schließen an das Gehäuse an – das verspricht zusammen mit dem Material eine hohe Steifigkeit. Im konischen Steuerrohr steckt ein ebenfalls konischer Gabelschaft; das große untere Lager ermöglicht eine optimale Abstützung der Gabel. Zusammen mit der ungewöhnlichen Form der Gabel – unten ein Knick, dann schlank und nach oben hin sehr massig – sorgt dies dafür, dass der Übergang vom Gabelschaft zur Krone äußerst stabil ist. Und noch eine Besonderheit zeichnet Gabel und Hinterbau aus: Sie sind auf 28 mm breite Reifen ausgelegt, was wiederum optimal zum Einsatz als Winterrad und auf schlechtem Untergrund passt.
Bei „Granfondo“ denkt man an lang, aber nicht unbedingt langsam – und dazu passt die Geometrie des BMC, die wiederum bei Alu- wie Carbonrahmen identisch ist. Beim 56er ist das Steuerrohr mit 177 mm nicht übermäßig lang, das Oberrohr mit horizontal 556 mm jedoch eher kurz. Beides zusammen ergibt eine kompakte Sitzposition; beim Verzicht auf Spacer erreicht man aber einen recht große Überhöhung des Sattels im Vergleich zum Lenker. Der eher flache Lenkwinkel lässt guten Geradeauslauf und eher träge Steuerung vermuten – doch bevor hier zu sehr spekuliert wird, sollten wir zum praktischen Teil übergehen.
Unseren Testaufbau nahmen wir mit älteren Sram-Zehnfach-Komponenten vor und soliden, einfachen Shimano-Laufrädern, die wir mit Conti Grand Prix 4-Season besohlten. Der mit zusätzlichem Seitenwandschutz versehene, extrem stabile Reifen sollte uns hoffentlich defektfrei über eine der brutalsten Strecken führen, die man mit dem Rennrad absolvieren kann: die Paris-Roubaix Challenge über 144 km, davon 33 km urtümliches Kopfsteinpflaster, verteilt auf 18 Sektoren (das letzte kleine Stück kurz vor dem Velodrom nicht mitgezählt). Denn wo kann man besser überprüfen, ob das Komfortversprechen eines Radherstellers im Ernstfall Bestand hat?
Die Pavé-losen ersten 50 km der Strecke brachten zunächst einmal folgende Erkenntnis: Das GF02 ist wie erwartet sehr steif, wobei ein Gesamtgewicht um 8,1 kg (mit Pedalen, Flaschenhaltern und Tacho) sowie die schweren Laufräder seine Spritzigkeit etwas einbremsten. Andererseits wirkt das Rad keineswegs träge – man kann mit dem BMC nicht nur geradeaus fahren, sondern auch beherzt in enge Kurven stechen. Das GF02 ist also keineswegs nur etwas für Touristiker; der Unterschied zum Rennmodell „Teammachine“ fällt in Sachen Sitzgeometrie ohnehin überschaubar aus: 1,5 cm mehr „Stack“ (längeres Steuerrohr), 8 mm weniger „Reach“ (verwunderlich, da das Oberohr des Granfondo in Größe 56 nur 4 mm kürzer ist).
Seine besonderen Stärken spielte das GF02 dann auf dem Pavé aus: Trotz dünnem Lenkerband und durchschnittlich gepolsterten Handschuhen kamen Vibrationen nur sehr gedämpft in Händen und Armen an – die ungewöhnliche Gabelform scheint tatsächlich Komfort zu bringen. Noch auffälliger war jedoch die Performance am Heck des BMC: 28er Conti, „Angle Compliance“-Hinterbau und „Compliancepost“ sorgten dafür, dass so gut wie keine harten Stöße bis zum Sattel vordringen konnten. Welchen Anteil die genannten Komponenten daran hatten, kann nur geschätzt werden – sehr viel Flex bietet jedenfalls die Carbonstütze, und auch die mit 5,5 bar befüllten Reifen pufferten so manchen kantigen Pflasterstein weg – übrigens ohne Defekt über die ganze Distanz.
Es ist leicht, es sieht gut aus, es ist komfortabel
Eingestaubt, doch unversehrt langte das Granfondo schließlich im Velodrom von Roubaix an – und lieferte uns den Beweis, dass es auch in der Alu-Version extrem viel Komfort zu bieten hat.
Es ist leicht, es sieht gut aus, es ist komfortabel – woran liegt’s, dass auf unseren Straßen vergleichsweise wenige Granfondos unterwegs sind? Klar, die Marke ist noch jung und muss sich gegen etablierte Konkurrenten behaupten. Doch das wäre sicher etwas leichter, würde BMC das Granfondo GF02 als Rahmenset anbieten, wie es die oben erwähnten Hersteller mit ihren leichten Alu-Rahmen machen – vielleicht ja in einer gewichtsoptimierten eloxierten Variante. Für den Fall, dass die Schweizer nicht auf diesen Vorschlag eingehen: Für ein Rennrad für besondere Einsatzbedingungen sind 1.499 Euro auch nicht die Welt – und die einfache Gruppe kann man ja zur Not nach zwei Wintern austauschen…
Fazit
Das Granfondo GF02 ist ein extrem komfortabler Alu-Renner, leicht und mit guten Fahreigenschaften gesegnet. Die Sitzgeometrie ist sportlich genug, um auch schnelle Fahrer anzusprechen. Der schwarze Teamlook gefällt, und würde BMC das Rahmenkit einzeln anbieten, wäre alles bestens.
Produkthighlights
- Sehr hochwertiger, leichter Aluminiumrahmen mit viel Komfort
- stabile, vibrationsdämpfende Gabel
- Genug Reifendurchlauf für 28er Pneus
- Di2-ready
Preis und Web
- 1.499,- Euro (mit Shimano-105-Mix)
- www.bmc-racing.com