Tour de France: Großes Finale auf 110 Kilometern. Thibaut Pinot begeistert die Franzosen mit einem großen Sieg in Alpe d’Huez und Nairo Quintana nimmt Chris Froome gut 80 Sekunden ab. Der kleine Kolumbianer zeigt große Moral und greift unzählige Male an, bringt damit den Briten Froome sichtlich in Schwierigkeiten und sorgt somit für eine der knappsten Tour-Gesamtentscheidungen aller Zeiten.
Für eine Königsetappe war sie zu kurz und dennoch war es die Etappe der diesjährigen Tour, die mit dem größten Renomée für den Tagessieger aufwarten konnte. So bildete sich zwar wieder sehr früh die obligatorische Fluchtgruppe, die auch ordentlich Vorsprung herausfahren konnte, doch es war klar zu spüren, dass das Peloton und die meisten Teams andere Pläne hatten: Warten auf die eine Chance sich im Gesamtklassement zu verbessern oder wie Sky – gleich zu Beginn des ersten Anstiegs demonstrativ das Feld kontrollieren. Allen war klar, irgendein Angriff von Movistar wird kommen und er wird sicherlich nicht erst zwei Kilometer vor dem Ziel erfolgen. So wertvoll dieser Etappensieg auch sein mag – mit 158 Sekunden Rückstand auf das Gelbe Trikot sollte man nichts unversucht lassen.
Und unversucht ließ man bei Movistar wahrlich nichts. Der lange Anstieg zum Croix de Fer wirkte bei allen Teams fast bis zum Gipfel etwas ungeordnet und konzeptionslos. Doch die letzten Kilometer sollten es in sich haben: Ein Anstieg für’s Radsport-Lehrbuch. Rund vier Kilometer vor dem Gipfel attackierte Valverde, auf dessen Angriff von Sky nicht reagiert wurde. Nachdem er sich knapp 30 Sekunden absetzen konnte, folgte die zweite Movistar-Angriffswelle durch Nairo Quintana, dem Valverde das Feld bestellte. Die beiden waren schnell beisammen, konnten sich aber nicht weiter absetzen. Chris Froome und sein letzter Teambegleiter Richie Porte gaben alles, um das Duo in Sichtweite zu halten. Schlecht für Quintana, dass Oldie Valverde sein Tempo nicht mitgehen konnte und er kurz vor dem Gipfel sogar rausnehmen musste, um auf ihn zu warten. Quintana wusste, dass er alleine auf der Abfahrt chancenlos sein würde. Gleichzeitig attackierte in der Verfolgergruppe Froomes neuer Intimfeind Vincenzo Nibali, womit es ihm gelang den Mann in Gelb zu isolieren, der nachsetzte und Nibali sichtlich keinen Meter Freiraum gewähren wollte.
Was kurzzeitig nach einer möglichen dramatischen Wendung der Geschehnisse aussah, war nach ein paar Kilometern in der Abfahrt wieder neutralisiert. In einer der zahlreichen Gegensteigungen sank das Tempo so stark, dass aus dieser Gruppe der ersten vier der Gesamtklassements wieder eine riesige Spitzengruppe wurde. Allen voran Chris Froome profitierte von dieser Bremsaktion. Innerhalb weniger Minuten hatte er wieder vier seiner starken Helfer bei sich.
Als Gegenbewegung formierte sich eine kleine Gruppe mit Fahrern wie Pierre Roland, Ryder Hesjedal und Thibaut Pinot, die die Spielchen nicht mitmachten und der alten Spitzengruppe nachsetzten. Bis auf Geniez von FDJ holten sie diese bis zum Fuße der Alpe in Bourg d’Oissans auch ein. So entstanden zwei parallele Schauplätze. Der um den Etappensieg und der um das Gesamtklassement.
Immer wieder versuchte es Quintana, der es einfach wissen wollte. Doch die zwei Helfer, die beharrlich an Froomes Seite blieben neutralisierten den Kolumbianer unermüdlich. Recht früh im Anstieg hatte Astana-Kapitän Nibali zu allem Überfluss einen Hinterraddefekt, was ihn von der Hauptbühne warf und er den Anschluss an die Gruppe der Top-Leute verlor. In Folge dessen musste der Sizilianer weite Teile des Anstiegs alleine absolvieren.
Zehn Kilometer vor dem Gipfel dann Duplizität der Ereignisse? Wieder greift Valverde an. Quintana springt ein paar Minuten später hinterher, kann die Sky-Helfer aber nicht los werden. Doch Froome scheint Schwierigkeiten zu haben. Gleichzeitig finden ganz Vorne die Teamkollegen Pinot und Geniez zusammen. 1:40 min ist deren Vorsprung auf die GC-Fahrer. Quintana schließt zu Mannschaftskollegen Anacona auf, der aus der Spitzengruppe zurückfällt; Gelegenheit für Valverde abreißen zu lassen – Arbeit getan – Anaconda übernimmt. Rund 30 Sekunden sind inzwischen auf Froome herausgefahren, der immer noch zwei Helfer bei sich hat, aber deutlich leidet.
Ganz vorne tobt der Kampf um den Etappensieg. Der zwischendurch schwächelnde Hesjedal fordert Pinot, muss ihn aber doch ziehen lassen.
4,5 km sind noch zu fahren, als Quintana auch seinen letzten Helfer hinter sich lässt. Wenn schon nicht Gelb, so scheint doch der Etappensieg in Greifweite für den kleinen Kolumbianer.
Sekunde für Sekunde verliert Froome; erstaunlich zu sehen, wie der Brite die menschlichen Züge zeigt, die die zahllosen Kritiker zwei Wochen lang so lauthals vermisst hatten. Fast eineinhalb Minuten verliert er bis ins Ziel auf Quintana – nur noch gut eine Minute der Vorsprung für das Gelbe Trikot. Selten war der Abstand in Paris am Ende so gering. Bei all der Überlegenheit, die viele Kritiker bei Sky und Froome wochenlang gesehen haben, ein Vorsprung, der etwas seltsam anmutet. War am Ende gar nicht Froome so unglaublich stark sondern haben sich seine Gegner verzockt und/oder falsch vorbereitet? Eine Frage, der wir in einer ausführlicheren Touranalyse nachgehen werden.
Auf keinen Fall vergessen sollte man den bravourösen Tagessieger Thibaut Pinot, dem es gelang sich Quintana vom Leib zu halten und der für die Franzosen einen extrem wichtigen und prestigeträchtigen Sieg holte.
Klassement der 20. Etappe
- Thibaut Pinot (Fra, FDJ.fr) 3:17:21
- Nairo Quintana (Col, Movistar Team) +0:18
- Ryder Hesjedal (Can, Cannondale) +0:41
- Alejandro Valverde (Esp, Movistar Team) +1:38
- Christopher Froome (GBr, Team Sky)
- Pierre Rolland (Fra, Team Europcar) +1:41
- Richie Porte (Aus, Team Sky) +2:11
- Winner Anacona (Col, Movistar Team) +2:32
- Wouter Poels (Ned, Team Sky) +2:50
- Ruben Plaza Molina (Esp, Lampre)