Test: Das Canyon Spectral CF 9.0 EX gehört zu einer Kategorie Mountainbikes, die erst in dieser Saison so richtig das Licht der Welt erblickte: Den Trailbikes. Ein Trailbike soll ein verspielter Partner für jegliche Ausflüge abseits befestigter Wege sein. Leicht genug zum Touren, potent genug für Passagen, in denen auch ein Enduro ins Schwitzen kommt. Ein schwieriger Spagat, der dem Spectral CF 9.0 EX mit einigen wenigen Abstrichen jedoch gelingt.
Zum Anfang ein paar Worte zur Geschichte des Canyon Spectral: 2014 erblickte das Rad in seiner jetzigen Form das Licht der Welt, bekam jedoch für das Modelljahr 2015 jede Menge Updates. Dazu gehören nicht nur die Modellversionen mit Carbonrahmen, sondern auch eine aufgebohrte Geometrie: Länger und flacher ist das Spectral geworden – Man hat die Stellschrauben also eher in Richtung Abfahrt gedreht in Koblenz – ob das der Balance des Bikes gut tut?
Der Rahmen
Neu für 2015 ist wie bereits erwähnt der Rahmen aus Vollcarbon, der – wie inzwischen von Canyon gewohnt – hervorragend verarbeitet ist und dem aktuellen Stand der Technik entspricht. 140mm Federweg bietet der Hinterbau des 1900g (ohne Dämpfer) leichten Rahmens und das tapered Steuerrohr nimmt alle Gabelschäfte für Federwege bis 150mm auf. Die Zug- und Leitungsführung erfolgt komplett intern: Die Leitungshüllen für Variostütze, Bremse und Schaltwerk verlaufen im Inneren des schwarzen Kohlefaserrahmens, im Falle der Bremse und des Schaltwerks treten die Leitungen sogar erst in der Kettenstrebe aus dem Rahmen aus. Die Optik ist so extrem clean, was dem schicken mattschwarzen Flitzer sehr zu Gute kommt, leider aber auf Kosten der Wartungsfreundlichkeit. Wer zum ersten Mal eine Leitung durch einen Rahmen fädeln muss, wird nervlich auf eine harte Probe gestellt.
Toll finden wir, dass Canyon mit dem Spectral noch ein derartiges Rad im Programm hat, das eine Umwerfermontage ermöglicht. Viele Hersteller verzichten inzwischen aus Platz- oder Kostengründen darauf, doch wem die eben, im Gegensatz zu einer klassischen 2-fach Übersetzung, doch etwas kleinere Bandbreite des SRAM 11-fach Antriebs nicht genügt, kann am Spectral CF wahlweise auch einen Umwerfer und eine 2-fach Kurbel montieren. Gedanken gemacht hat man sich in Koblenz auch zum Thema Rahmenschutz. Im Bereich des Tretlagers sitzt ein angeschraubter, ca. 5mm dicker Schlagschutz aus elastischem Kunststoff und durch einen Lenkanschlagbegrenzer wird verhindert, dass Brems- oder Schalthebel im Falle eines Sturzes in das Oberrohr einschlagen.
Die Geometrie
Kommen wir nun zum für uns sicherlich spannendsten und für die Ingenieure schwierigsten Teil bei einem Rad wie dem Canyon Spectral CF 9.0 EX – der Geometrie. Spannend und schwierig deshalb, weil das Spectral (wie viele andere Wettbewerber) ein Rad sein möchte, das vieles kann und in fast jedem Terrain bestehen könnte. Natürlich kommt es hier maßgeblich auf eine gut ausbalancierte Geometrie an.
Ein flüchtiger Blick auf die Geometriedaten verrät bereits, wohin die Reise beim Spectral CF geht – langer Reach, relativ flacher Lenkwinkel und ein tiefes Tretlager: Die harten Fakten erinnern sehr an jene eines modernen Enduros. Doch man würde Canyon unrecht tun, würde man behaupten, das Spectral wäre nur ein leichtes Enduro mit weniger Federweg, denn man hat sich durchaus Gedanken über Alleinstellungsmerkmale gemacht, auch bezüglich des Handlings und der Geometrie. So sind beispielsweise die Kettenstreben mit 425mm für ein 27,5″ Rad extrem kurz, was ein agiles und verspieltes Fahrverhalten in Aussicht stellt.
Mit dem gemäßigt flachen Lenkwinkel und dem langen Reach sollte sich ein sicheres Gefühlt des „Im-Bike-Sitzens“ einstellen und der fast 74° steile Sitzwinkel verspricht gute Pedalierbarkeit und eine ordentliche Kraftübertragung. Auf dem Papier liest sich die Geometrie des Spectral also sehr spannend – wir werden sehen, wie sich das Rad in der Praxis schlagen wird.
Ausstattung
Kommen wir nun zur Ausstattung des Canyon Spectral CF 9.0 EX – es sollte hier nicht unerwähnt bleiben, dass die EX-Modellversionen bei Canyon in Puncto Ausstattung eher in Richtung Abfahrt getrimmt sind – Race Ready sozusagen. Deutlich wird das schon beim Blick auf den Antrieb: Canyon setzt auf die edle und inzwischen vielfach erprobte X01-Gruppe aus dem Hause SRAM. Die Bandbreite mit der 10-42 Kassette reicht je nach Fitnesszustand und Strecke für die meisten Anwendungsbereiche des Spectral aus. Statt eines Umwerfers finden wir an unserer EX-Version eine Kettenführung von e.Thirteen. Zwar hält das Narrow-Wide Kettenblatt an der S2210 Carbonkurbel die Kette für gewöhnlich auch ohne Führung sicher am Blatt, doch verleiht diese eine zusätzliche Sicherheit, gerade wenn man es auch richtig krachen lassen möchte.
Auch die Bremsen kommen vom US-Hersteller. Die SRAM Guide RS ist eine potente Vierkolbenbremse, die am Canyon mit 200mm Scheibe vorn und 180mm hinten kombiniert wird. Power sollte also mehr als genügend vorhanden sein. Natürlich darf an einem polyvalenten Trailbike wie dem Spectral auch die Variostütze nicht fehlen: Die RockShox Reverb Stealth ist der Dauerbrenner in diesem Bereich und bietet einen stufenlosen Verstellbereich von 125mm. Ein schöner Nebeneffekt des SRAM/RockShox-Cockpits ist zudem: Alle Bedienelemente – Bremshebel, Schaltgriff und Reverb-Remote – lassen sich per Matchmaker-Schelle platzsparend kombinieren.
Was bei den Variostützen für die Reverb gilt, trifft im Federgabelbereich auf die RockShox Pike zu: Es handelt sich um die wohl derzeit beliebteste und meistverbaute Gabel im Allmountain-/Endurobereich – und das zurecht. Geringes Gewicht bei hoher Steifigkeit, ein sanftes Ansprechverhalten und leichte Einstellbarkeit kann die Pike auf der Haben-Seite verbuchen. Im Spectral steckt die Solo-Air Variante mit 150mm und RCT3-Dämpfung. Direkt an der Gabel lässt sich nicht nur die Zugstufe einstellen, sondern ebenso die Low-Speed Druckstufe in drei Stufen auf Gelände und Fahrstil anpassen (offen/Plattform/Lockout).
Etwas exotischer ist der am Canyon Spectral CF 9.0 EX verbaute Dämpfer: Der Cane Creek DBinline gehört definitiv in die Oberklasse der potenten Luftdämpfer und überzeugt insbesondere durch vielfältige Einstellmöglichkeiten. Hier lassen sich extern neben dem obligatorischen Luftdruck auch High- und Lowspeed Druck- sowie Zugstufe einstellen und darüber hinaus finden wir auch einen Climb Switch, der die Charakteristik des Dämpfers so verändert, dass die Kletterfähigkeit verbessert werden soll.
Als Laufräder kommen die Crossmax XL von Mavic zum Einsatz, die sich nicht nur optisch gut in das Gesamtbild einfügen. Der 1790g schwere Satz wird vom französischen Hersteller explizit für das Enduro/Allmountain+ Segment angeboten, bietet also genügend Stabilität für so ziemlich alle Schandtaten, die man mit einem Bike wie dem Spectral so anstellen könnte. Die Tubeless-Ready-Felgen sind 23mm breit (innen) und gerade so passend für 2.4″ Reifen – etwas breitere Felgen würden dem Rad aber sicherlich gut zu Gesicht stehen. A propos Reifen: Auch hier macht das Spectral seinem „EX“ alle Ehre: Mit der Maxxis-Kombination aus Ardent EXO und High Roller II setzt Canyon auf ein extrem potentes und gripstarkes Duo, dessen Rollwiderstand jedoch nicht zu verachten ist.
Edel, hochwertig und dem Einsatzbereich entsprechend sind auch die übrigen Anbauteile: Das Cockpit von Renthal mit dem 40mm kurzen Apex-Vorbau und dem 780mm breiten Fatbar Carbon Lenker ist technisch über alle Zweifel erhaben, jedoch will der Renthal-typische Bronze-Gold-Ocker-Ton optisch nicht so richtig zum restlichen Rad passen – das bleibt jedoch Geschmackssache und darüber lässt sich bekanntermaßen auch nicht streiten. Auch bei den unscheinbareren Komponenten, die sonst oftmals mit Billigteilen abgespeist werden, setzt der Koblenzer Direktversender auf Qualität: Die Lock-on-Griffe kommen von Ergon, der Sattel von SDG und der Cane Creek 40 Steuersatz kann mit sehr guter Dichtung glänzen.
Auf dem Trail
Bevor wir unsere erste längere Ausfahrt wagen, versuchen wir, ein möglichst nahe am Optimum liegendes Fahrwerkssetting zu finden. Während wir bei der Pike an der Front schnell eine homogene Charakteristik erreichen, stellt uns der Cane Creek Dämpfer im Heck vor etwas größere Schwierigkeiten. Um auch unerfahreneren Fahrern bei der Einstellung zu helfen, bietet Cane Creek auf der offiziellen Webseite ein Onlinetool, bei dem man das entsprechende Bike auswählt und dann Werte für eine erste Grundeinstellung bekommt. Das funktionierte auch in unserem Fall ganz gut, jedoch waren wir nicht 100%ig mit dem Ergebnis zufrieden – der Hinterbau wippte immer noch ein wenig zu sehr, selbst mit aktivierter Kletterhilfe. Dennoch: Wir fühlten uns bereit für einen ersten Härtetest.
Unsere Teststrecken bieten von allem etwas: Flowtrails, ruppige Wurzelpassagen, einige Stufen, den einen oder anderen gemäßigten Drop und auch einige Höhenmeter bergauf. Der erste Flowtrail zaubert uns bereits ein Lächeln ins schlammverspritze Gesicht. Das niedrige Gewicht gepaart mit den kurzen Kettenstreben macht das Rad wie bereits erwartet sehr agil und verspielt. Leicht lässt es sich durch enge Kurven drücken und jede Unebenheit lädt zum Springen ein. Kurz darauf erwartet uns auch schon ein erster Härtetest: Ein steiler Wurzeltrail mit einem kleinen Drop zum Abschluss. Auch diese Herausforderung meistert das Canyon Spectral CF 9.0 EX, jedoch wandelt sich unser Lächeln schnell in einen etwas verkrampften Gesichtsausdruck. Dank des flachen Lenkwinkels behalten wir zwar jederzeit die Kontrolle, doch durch das verspielte Handling neigt das Spectral in solchen Passagen etwas zur Unruhe, auch wenn das Fahrwerk aus Pike und DB Inline sich hier wie zuhause fühlt und sich enorm schluckfreudig zeigt.
Unten angekommen geht es fast umgehend wieder nach oben über einen teils recht steilen Weg mit einigen Wurzeln und technischen Spitzkehren. Erneut stellen wir das Wippen im Hinterbau fest, das wir auch nach einer weiteren Zwischenpause zum Dämpfertuning nicht ganz abstellen können. Ebenso bleiben wir während des Tretens einige Male mit dem Pedal an Wurzeln oder Steinen hängen – das ist dem für ein solches Rad sehr tiefen Tretlager geschuldet, das bergab zwar punkten kann, hier jedoch für ein paar Probleme sorgt und zum Anpassen der Fahrweise zwingt.
Ansonsten haben wir kaum Grund zur Kritik: Die Bremsen haben einen definierten Druckpunkt, sind aber jederzeit wohl dosierbar und immer Herr des Trails. Die Reifen sind einfach sensationell gut, bieten im Trockenen wie im Feuchten sehr guten Grip bei immer im Rahmen bleibenden Rollwiderstand. Dass der X01 Antrieb gut funktioniert, ist inzwischen auch keine allzu große Überraschung mehr.
Fazit
Keine Frage, das Canyon Spectral CF 9.0 EX ist ein tolles Mountainbike, das für den Preis von 3.999€ eine beinahe konkurrenzlose Ausstattung und Verarbeitung bietet. Vom Antrieb über Fahrwerk bis hin zu den Laufrädern gibt es wirklich nur wenig zu beanstanden. Die Chrakteristik des Spectral CF ist mit ‚verspielt‘ wahrscheinlich am besten zu beschreiben: Das Bike ist agil und leichtfüßig, neigt jedoch auf Grund dieser Eigenschaften auch ein klein wenig zur Unruhe, wenn es ruppig wird. Der Hinterbau ist schluckfreudig und arbeitet sehr gut – vorausgesetzt man hat die Geduld, sich mit dem aufwändigen Setup des Cane Creek DBinline Dämpfers zu beschäftigen. Ein minimales Wippen bleibt zwar, das in Kombination mit dem tiefen Tretlager in dem einen oder anderen Moment für Pedalaufsetzer sorgt, im Alltag jedoch zu vernachlässigen ist.
Bleibt die Frage, für wen dieses Rad konzipiert und gebaut wurde. Wir würden sagen, das Spectral ist das richtige Bike für diejenigen, denen das Canyon Strive zu schwerfällig ist, die sich jedoch mehr bergab-Potential wünschen als es das Canyon Nerve bietet. Dennoch muss man sich auch im Falle des Spectral immer vor Augen halten: Jedes Bike ist ein Kompromiss und das eine für alles gibt es (noch) nicht.