Interview: Der Freiburger Jasha Sütterlin fährt seit zwei Jahren beim Team Movistar an der Seite von Nairo Quintana und Alejandro Valverde. Nun wurde sein Vertrag um zwei weitere Jahre verlängert. Velomotion sprach exklusiv mit dem 23-Jährigen.
Jasha, als Du vor zwei Jahren Profi wurdest, hast Du gesagt, „Movistar war meine erste Wahl“. Wie fällt Dein Fazit nach zwei Jahren in der WorldTour aus?
Im ersten Jahr war es schwer für mich, die Rennen sind sehr hart gefahren worden. Im zweiten Jahr bin ich schon besser zurecht gekommen. Ich konnte teilweise in die ersten Fünfzehn reinfahren. Bei der WM in Richmond im September hatte ich dann eine richtig gute Form, und wir haben Bronze im Mannschaftszeitfahren gewonnen. Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Und ich hoffe, dass es so weitergeht. Movistar ist wohl mit das beste Team der Welt.
Was hat sich für Dich geändert im Vergleich zur Junioren- und U23-Zeit?
Es ist ein völlig neuer Trainingsplan, der nicht mehr auf die klassischen Methoden setzt. Ich trainiere viel kürzere Einheiten, dafür intensiver: Schnellkrafttraining, Intervalltraining am Berg und so weiter. Das wurde in der U23 vernachlässigt und hat mir auch gefehlt. Movistar stellt drei Trainer zur Verfügung, und ich habe mich für Manuel Mateo entschieden, einfach, weil er recht jung und innovativ ist.
Wie klappt die Verständigung mit den Team-Kollegen und Trainern?
Ich habe zwei Spanisch-Sprachkurse gemacht und lerne auch privat ab und zu ein bisschen. Das reicht mittlerweile zur Verständigung. Ich wohne noch in Freiburg, ein Umzug nach Spanien ist nicht verlangt worden.
Wie ist der Zusammenhalt im Team, wie ist der Umgang mit Stars wie Alejandro Valverde und Nairo Quintana?
Die sind super nett, ganz normale Menschen. Bis wenige Minuten vorm Rennstart wird noch Quatsch gemacht im Bus, gelacht, alle sind super-lässig drauf. Als ich Profi wurde, hab ich mir das auch anders vorgestellt. Ich dachte, alles ist strenger. Natürlich arbeitet jeder professionell, und alle halten zusammen, aber es ist auch viel Lockerheit und Spaß dabei.
Was sind Deine Aufgaben im Team?
Wenn Valverde dabei ist und sagt, er fühlt sich gut, wird zu 100 Prozent für ihn gefahren. Die ganze Mannschaftstaktik ist darauf ausgelegt. Gleiches gilt bei Sprintetappen, da wird für den entsprechenden Kapitän gefahren. Da schont sich dann keiner. Und ich bin einer der Helfer, die ihre Arbeit verrichten. Wenn die Topstars nicht da sind, hat man bei Rennbeginn seine Freiheiten. Bei Etappenrennen sorgt dann meist ein Zeitfahren für die mannschaftsinterne Sortierung und Taktik. Dann wird für den gefahren, der am besten platziert ist.
Wie verlief die Saison 2015 für Dich?
Ich hatte, glaube ich, 87 Renntage. Inklusive An- und Abreisetage war ich bestimmt 100 Tage von zu Hause weg. Ich bin auch wieder die Klassiker gefahren. Flandern und Roubaix machen schon richtig Spaß. Da sind tausende Zuschauer, und wenn Du dann auf die Pavés fährst, ist das ein unglaubliches Feeling. 2014 war es schwierig, weil ich ein bisschen zuviel Gewicht hatte. Dieses Jahr war es schon besser. Ich war 84. in Flandern, was kein Top-Ergebnis ist, aber für mich persönlich ein Erfolg. In Roubaix konnte ich lange Zeit in der ersten Gruppe mit 70-80 Fahrern inklusive aller Favoriten mithalten, bin dann aber leider gestürzt. Das war schade, da hätte ich gerne gesehen, wie lange es noch reicht.
Bei kleineren Etappenrennen hast Du auch in der Gesamtwertung gute Ergebnisse eingefahren.
Ja, bei der Bayernrundfahrt zum Beispiel [Sütterlin wurde nach fünf Etappen Gesamtzehnter, Anm. d. Red.]. Da war natürlich Alex Dowsett nach dem Zeitfahren noch viel besser platziert, also ist für ihn gefahren worden. Aber auch in Frankreich bei der Tour du Poitou Charentes lief es gut für mich [Sütterlin wurde nach fünf Etappen 14. der Gesamt- und 3. der Bergwertung, Anm. d. Red.].
Nicht zuletzt wegen dieser Entwicklung baut Movistar auch weiterhin auf Dich: Du hast gerade einen neuen Zwei-Jahresvertrag unterschrieben. Was sind Deine persönlichen Ziele?
Ich mache es kurz: Ich wäre gerne ein Fahrer wie Fabian Cancellara. Längere Zeitfahren liegen mir, hier möchte ich mich weiter entwickeln. Und die Frühjahrsklassiker haben es mir angetan. Auch bei kürzeren Etappenrennen, die nicht zu schwer sind, kann es in Zukunft mit guten Platzierungen und Siegen klappen.
Wie schaut aktuell der Alltag für Dich aus?
Viel individuelles Training in enger Absprache mit dem Trainer. Auch mit Teamchef Eusebio Unzue schreibe ich hin und wieder Mails und tausche mich aus. Wenn das Wetter es zulässt, werde ich im Winter in Deutschland bleiben und hier trainieren.
Trainierst Du viel mit den anderen Profis, die in Freiburg wohnen?
Ja, ständig. Ich fahre viel mit Simon Geschke, Heinrich Haussler, Johannes Fröhlinger und auch Patrick Gretsch. Wir stimmen uns täglich über WhatsApp ab, wer was fährt und verabreden uns.
Warum leben so viele Berufsradfahrer in Freiburg?
Freiburg ist einfach der beste Ort in Deutschland (lacht). Du hast alles vor der Haustür. Du bist in zwanzig Minuten im Berg im Schwarzwald, kannst in der Rheinebene Zeitfahrtraining machen, oder an den Wellen im Kaiserstuhl und Markgräfler Land Klassiker simulieren. Das Wetter ist meistens gut. Ich trainiere oft am Schauinsland Bergintervalle. Eine Lieblingsstrecke von mir ist über St. Peter und St. Märgen rein in den Schwarzwald und über Furtwangen zurück. Fünf-sechs Stunden Bergtraining sind kein Problem. Das ist ein toller Vorteil von dem Revier.
In einer Studentenstadt wie Freiburg gehen andere junge Menschen feiern, Du musst recht diszipliniert leben. Ist das manchmal hart?
Ach, es hält sich in Grenzen. Jetzt in der Winterpause war ich auch ein paar Mal nachts in Clubs, aber so stark reizt mich das gar nicht. Der Kater danach muss auch nicht ständig sein (lacht). Langsam kribbelt es auch schon sehr in Richtung Saison 2016, und ich freue mich auf´s Rennen fahren.
Wie ist Dein Rennplanung für 2016?
Im Januar 2016 geht es zur Tour Down Under nach Australien, danach steht die Team-Präsentation in Spanien an. Ich fahre wieder die Klassiker und höchstwahrscheinlich mit dem Giro d´Italia erstmals eine große Rundfahrt. Drei Wochen sind schon verdammt lang. Ich glaube, man muss von Tag zu Tag denken und sich durchhangeln.
Apropos dreiwöchige Rundfahrten: Alle Welt redet vom Duell zwischen Chris Froome und Nairo Quintana. Was wird da 2016 passieren?
Valverde und Nairo fahren beide wieder die Tour. Ich hoffe, dass Nairo noch einmal einen Entwicklungssprung macht und Frommey das Leben zur Hölle macht (lacht). In den Bergen hat er ihn auch dieses Jahr schon abhängen können, nur leider ein bisschen zu spät. Er wird sich sehr fokussiert und professionell vorbereiten. Ich hoffe, dass es mit Valverdes Unterstützung dann mit dem Gelben Trikot klappt.
Dann drehen die spanischen und kolumbianischen Fans natürlich durch. Ist die Bedeutung des Radsports in Spanien tatsächlich so viel größer als in Deutschland?
Auf jeden Fall! Wenn wir in Spanien mit dem Bus zum Start eines Rennens fahren, ist bereits die Hölle los. In den Dörfern am Streckenrand stehen die Menschen, das ist der Wahnsinn. Im Vergleich zu Deutschland sind das Welten. Okay, bei der Bayern-Rundfahrt waren sehr viele Zuschauer, das war sehr schön. Aber zum Beispiel bei den Cyclassics in Hamburg, da war ein bisschen was im Start- und im Zielbereich. Unterwegs auf der Strecke bei den Ortsdurchfahrten, das war nicht so berauschend. Ganz anders auch in Italien und Frankreich, da stehen die Leute überall, die lieben den Radsport einfach.
Spürt man das auch im Straßenverkehr?
Definitiv. Eine typische Situation in Spanien: Wir fahren als Team trainieren, von hinten kommt ein Auto. Kein Gegenverkehr weit und breit, trotzdem geht ein wildes Gehupe los. In Deutschland würde man jetzt denken „Was willst Du denn, fahr doch einfach vorbei“, aber dort ist das ein Anfeuern. Die Scheibe geht runter, Daumen hoch, „Vamos Nairo, vamos Movistar“. Das ist schon toll und motiviert.
Wo steht Deiner Meinung nach der Radsport bezogen auf die Doping-Problematik?
Meiner Meinung nach ist der Radsport eine der saubersten Sportarten, die es zur Zeit überhaupt gibt. In den letzten fünf Jahren hat es sich extrem zum Besseren gewandelt. Die ganzen WorldTour- und Continental-Teams sind im ADAMS-System [Meldesystem der Welt-Anti-Doping-Agentur, Anm. d. Red.]. Du musst immer sagen, wo Du bist. Jederzeit kann jemand vor der Tür stehen zur Kontrolle. Das geht gar nicht, dass man da irgendwelche Substanzen zuführt. Natürlich gibt es ein paar Fahrer, die das Risiko auf sich nehmen. Aber das ist einfach bescheuert. Du bist dann raus und wirst nie wieder Fuß fassen. Das Risiko ist es einfach nicht wert.
Deutsche Radsportler sind gerade sehr erfolgreich unterwegs. Du bist eher Insidern ein Begriff. Stört Dich das?
Natürlich ist es schade, dass einen die Leute nicht so kennen, aber Erfolg macht einfach populär. Das kommt im Laufe der Jahre, wenn die Siege auf dem Papier stehen. Das sieht man an Simon Geschke, den kennt nach seinem Tour-Etappensieg jeder. Es freut mich für Kittel, Degenkolb, Greipel und Tony Martin und natürlich auch für Simon. Die sind einfach mit die besten Fahrer der Welt.
Aber es wachsen auch neue deutsche Talente nach.
Definitiv. Emanuel Buchmann war bei der Deutschen Meisterschaft einfach der Stärkste, und er hat die Form bei der Tour de France bestätigt. Neben Dominik Nerz ist er sicher einer der besten Kletterer in Deutschland. Rick Zabel ist im selben Jahr wie ich Profi geworden, bei BMC. Jetzt hat er bei der Österreich-Rundfahrt seinen ersten Profisieg erzielt. Wenn man das sieht, steigert das natürlich den Reiz, selbst Rennen zu gewinnen. Aber die Rollen sind auch unterschiedlich verteilt. Bei Zabels Sieg in Österreich fährt schon mal die ganze Mannschaft bedingungslos für ihn. Bei Movistar denkt man vielleicht doch ein bisschen traditioneller, sieht in den jungen Fahrern nicht direkt Sieg-Aspiranten und opfert sich bedingungslos auf. Ich muss so stark werden, auch mit weniger Unterstützung mal ein Rennen zu gewinnen. Aber das kommt einfach mit der Zeit.
Jasha, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Deinen weiteren Weg.
Zur Person:
Jasha Sütterlin wurde am 4. November 1992 in Freiburg im Breisgau geboren. Seine Radsport-Karriere startete er beim RSV Achkarren. Über die Teams Rothaus und Thüringen Energie schaffte er den Sprung in die WorldTour in das Team Movistar. Zu seinen größten Erfolgen zählen mehrere Deutsche Meistertitel im Einzelzeitfahren (Junioren, U23) sowie eine Silbermedaille im WM-Einzelzeitfahren der Junioren, der Gewinn der Niedersachsenrundfahrt 2010 und der Tour de Berlin 2011, zwei Etappensiege beim Giro delle Valle Aosta 2013 sowie eine Bronzemedaille im Mannschaftszeitfahren der Weltmeisterschaft 2015 mit Movistar.