Radsport: Die großen Namen – Pogacar, Vingegaard, Philipsen, Van Aert, Cavendish und Van der Poel – kennen wir alle. Heute blicken wir auf sechs Fahrer, die der breiten Masse vielleicht noch nicht viel sagen. Die Tour de France 2024 könnte für sie aber den Durchbruch bedeuten. Auf der Rechnung haben wir unter anderem Derek Gee und Paul Lapeira.
Matteo Jorgenson (Visma – Lease a Bike)
Ist Jonas Vingegaard pünktlich zur Tour de France fit oder nicht? Dies ist die wohl größte und wichtigste Frage vor dem Start der Frankreich-Rundfahrt Der Däne kam bei der Baskenland-Rundfahrt so schwer zu Fall, dass selbst ein Start bei der Grand Boucle bis vor wenigen Tagen noch nicht sicher war. Nun wissen wir: Der Titelverteidiger fährt. Aber ob er tatsächlich in guter Form mit dabei sein wird, darüber lässt sich nur spekulieren. Kann Vingegaard nicht mit den Besten mithalten, könnte seine Mannschaft Visma – Lease a Bike auf Matteo Jorgenson setzen. Der US-Amerikaner kam nach der abgelaufenen Saison von Movistar zu den Niederländern und hat sofort eine starke Entwicklung durchgemacht. Er gewann Paris – Nizza, Quer durch Flandern und das Critérium du Dauphiné. Seine Vielseitigkeit macht ihn unberechenbar. Ob er auch über drei Wochen hinweg tatsächlich bei einer Grand Tour auf Gesamtwertung fahren kann, wird er uns vielleicht schon bald zeigen.
Paul Lapeira (Decathlon AG2R La Mondiale)
Einer der Shootingstars der Saison ist Paul Lapeira. Der Franzose ist 24 Jahre alt und gehört damit nicht mehr zu den ganz jungen Fahrern im Peloton. Wirklich zum Siegfahrer geworden ist er allerdings erst in diesem Jahr. Er gewann die Classic Loire Atlantique, die Cholet Agglo Tour und eine Etappe bei der Baskenland-Rundfahrt. Am Wochenende krönte er sich sogar zum Französischen Meister im Straßenrennen. Natürlich werden die Franzosen daher ein Auge auf ihn werfen. Seine stärken liegen auf hügeligem Terrain. Er ist explosiv, sprintstark und angriffslustig. Wir können stark davon ausgehen, dass wir ihn in der ein oder anderen Ausreißergruppe sehen werden. Dort wird er ganz automatisch zu den Favoriten auf den Etappensieg zählen. Ein Tagessieg für ihn direkt bei seiner ersten Tour-Teilnahme wäre keine Überraschung.
Kévin Vauquelin (Arkéa – B&B Hotels)
Zwei Anläufe hat Kévin Vauquelin gebraucht, um die Teamleitung der Mannschaft Arkéa – B&B Hotels restlos von sich zu überzeugen. Bereits 2020 versuchte er sein Glück als Trainee. 2021 erneut – und diesmal sollte es klappen mit dem Vertrag. Seitdem hat sich der mittlerweile 23-jährige Franzose stark verbessert. Vom Mitläufer ist er mindestens zu einem Co-Kapitän aufgestiegen. Vom reinen Ausreißer hat er es geschafft, sich zu einem ernstzunehmender GC-Fahrer zu entwickeln. 14 Top Ten Resultate in dieser Saison sprechen eine deutlich positive Sprache. Es ist nicht davon auszugehen, dass er schlussendlich um das Tourpodium fahren wird, ein Platz in den Top Ten allerdings ist ihm definitiv zuzutrauen.
Michele Gazzoli (Astana)
Das Team Astana gehört auch in dieser Saison zweifelsohne zu den schwächsten in der WorldTour. Bei der Tour de France 2024 versucht man erneut mit Mark Cavendish den Rekord zu knacken. Um ihn herum finden wir neben einigen Sprint-Anfahrern auch den ein oder anderen potentiellen Ausreißer. Ist die Etappe nämlich zu schwer für Cav, muss Astana in die Offensive gehen. Einer dieser Etappenjäger wird Michele Gazzoli sein. Der 25-jährige Italiener gewann als Profi erst zwei Rennen und steht daher nicht unbedingt im Fokus. Bekanntheit hat er vor allem dadurch erlangt, dass er von August 2022 bis August 2023 gesperrt war, weil er positiv auf Tuaminoheptan getestet wurde. Seitdem er zurück ist, hat er einige gute Resultate eingefahren und gezeigt, dass er das Jahr ohne Rennen genutzt hat, um sich auf dem Rad weiterzuentwickeln. Er ist endschnell, hat den nötigen Punch und wird im Team Astana viele Freiheiten genießen. Ein Etappensieg – oder zumindest der mehrmalige Versuch eines Tagessieges – ist daher vorprogrammiert.
Chris Harper (Jayco AlUla)
Kapitän der Mannschaft Jayco AlUla ist Simon Yates. Mit der Rolle des Co-Leaders ausgestattet aber wurde Chris Harper. Im Alter von 29 Jahren hat sich der Australier in dieser Saison derart weiterentwickelt, dass er auch bei der Tour de France überraschen könnte. Nur mit dem Siegen sollte es zuletzt nicht klappen. Vier zweite Plätze hat Chris Harper 2024 bereits eingefahren. Oft fiel er durch eine enorme Widerstandsfähigkeit in den Bergen auf. Als Helfer von Yates könnte er daher viel wert sein. Schickt die Teamleitung ihn in Ausreißergruppen, könnte er aber sogar Gold wert sein. Wenn er seine Freiheiten bekommt, könnte Harper auf Etappensiege und das Bergtrikot fahren.
Derek Gee (Israel – Premier Tech)
Der Kanadier Derek Gee ist das, was man einen Spätzünder nennt. Erst im Alter von 25 Jahren gelang ihm der Sprung zu den Profis. In der heutigen Zeit ist das fast undenkbar geworden. Schließlich ziehen viele Teams die größten Talente bereits im Alter von 18 oder 19 Jahren in ihre erste Mannschaft. Derek Gee aber ist eine Ausnahme. Sein Stern ging im vergangenen Jahr beim Giro d’Italia auf, bei dem er unzählige Male in Ausreißergruppen unterwegs war und 4x Zweiter wurde. Die Zuschauer waren begeistert. Danach jedoch konnte er an die gezeigten Leistungen in Italien nicht mehr anknüpfen. Schon war von einer klassischen Eintagesfliege die Rede. Dass sich die Kritiker täuschen sollten, bewies Derek Gee im Juni diesen Jahres beim Critérium du Dauphiné. Er gewann sein erstes Profirennen und fuhr auf vier weiteren Etappen unter die Top sechs. Diesmal allerdings nicht als Ausreißer. Er blieb bis zum Finale der Etappen vorn dabei und ließ sich auch von den besten Fahrern im Hochgebirge nicht abschütteln. Sein enormer Leistungssprung mag viele verwundern, doch es gibt Gründe dafür. Derek Gee hat in den vergangenen Monaten viel Gewicht verloren, wirkt deutlich schlaksiger als zuvor. Außerdem war er zum ersten Mal in seiner Karriere in einem Höhentrainingslager. Sein Team Israel – Premier Tech plant, ihn zu einem GC-Fahrer umzuschulen. Der erste Test hat gezeigt: Das könnte klappen! Bei der Tour de France kann er das nun der ganzen Welt zeigen.