Radsport: Bereits zum zweiten Mal innerhalb von sechs Tagen verursachte ein Zuschauer beim diesjährigen Giro einen Massensturz. Nach dem „Geisterfahrer“ auf Etappe Zwei war es gestern ein übereifriger Fotograf, der sich auf Schnappschussjagd über die Absperrung lehnte, dabei den sprintenden Daniele Colli zu Fall brachte. Weitere Fahrer stürzten über den Italiener, darunter auch Spitzenreiter und Favorit Alberto Contador (Tinkoff-Saxo).
„Ich glaube nicht, dass wir den Giro in ein Käfig, abgeschirmt von der Öffentlichkeit stecken sollten. Man sollte nicht abertausende Zuschauer für das Fehlverhalten einiger weniger bestrafen,“ so äußerte sich Renndirektor Mauro Vegni nach der Etappe gegenüber Reportern. Wenngleich er damit natürlich recht hat, muss man dennoch über mögliche Konsequenzen nachdenken – es ist auch die Aufgabe der Organisatoren und der Rennleitung, die Teilnehmer entsprechend zu schützen. Einmal im „Defensiv-Modus“ redete sich Vegni geradezu in Rage und zog dabei einen wenig passenden Vergleich: „Letztes Jahr bei der Tour stürzten auch zwei Fahrer wegen Pflastersteinen. So etwas gehört einfach dazu, das ist Radsport.“
Daniele Colli und sein Team Nippo-Vini Fantini werden das vielleicht etwas anders sehen. Es waren wieder schlimme Bilder nach dem Sturz des 33-jährigen: Es schien als ob er mit voller Geschwindigkeit gegen das Objektiv einer über die Absperrung gestreckten Kamera gefahren sei. Bei dem heftigen Kontakt brach er sich den Arm und stürzte. Der Giro ist für ihn sicherlich beendet. Am Freitagmorgen meldete sich der Unglücksrabe per Pressemeldung und beschrieb den Sturz aus seiner Sicht: „Ich weiß noch, dass ich im Sprint von irgendetwas getroffen wurde, ich dann stürzte und mein Arm in eine unnatürliche Richtung zeigte. Ich hatte wirklich Angst, denn ich konnte ihn nicht mehr spüren.“ Untersuchungen zufolge zog er sich „lediglich“ einen Oberarmbruch zu, von weiteren Verletzungen blieb er verschont.
Contador mit ausgekugelter Schulter
Auch der Träger des Rosa Trikots, Alberto Contador, war unter denjenigen die in Folge der Kollision stürzten. Er saß zwar schnell wieder im Sattel, doch sein schmerzverzerrtes Gesicht verhieß nichts Gutes. Bei der Siegerehrung konnte er sich das maglia rosa nicht überstreifen, weil er so große Schmerzen in der Schulter hatte. Auch der anschließenden Pressekonferenz blieb der Spanier fern. Am späten Donnerstagabend trat Contador, den Arm in eine Schlinge gelegt, noch einmal vor die Presse.
„Kurz gesagt, habe ich mir bei dem Sturz die Schulter ausgekugelt. Ich hatte Angst, dass ich mir zum ersten Mal in meinem Leben das Schlüsselbein gebrochen habe, also bin ich aufgestanden, habe mir aus Instinkt die Schulter wieder eingerenkt und bin ins Ziel gerollt […] Am Fuße des Podiums ist die Schulter dann ein zweites Mal aus dem Gelenk gesprungen. Seitdem habe ich große Schmerzen,“ sagte ein sichtlich angeschlagener Alberto Contador. Verständlich, denn ob der Giro für den großen Favoriten weitergeht, entscheidet sich wohl in diesen Stunden. „Ich werde sehen, ob ich weiterfahren kann, ich hoffe es natürlich sehr. Aber es wird nicht einfach.“ Wir drücken jedenfalls die Daumen, dass der Giro d’Italia 2015 für Alberto Contador kein so abruptes und unglückliches Ende findet.
Update 09:35 Uhr – Entwarnung! Wie Javinto Vidarte, Pressesprecher von Contador vor wenigen Minuten gegenüber den Kollegen von cyclingnews.com bestätigte, wird der Spanier heute bei der 7. Etappe an den Start gehen. „Er sagt er sei okay. Er hat wohl gut geschlafen und die Schulter ist den Umständen entsprechend auch in Ordnung. Auch die die anderen Verletzungen sind halb so wild. Er wird starten.“