Radsport: Die Achterbahnfahrt der diesjährigen Tour scheint für Tony Martin weiterzugehen. Beim Schlussanstieg in Le Havre verliert er die Kontrolle über sein Rad und stürzt zusammen mit einigen anderen Fahrern. Dabei scheint er sich schwerer an Arm oder Schulter verletzt zu haben und wird von seinen Teamkollegen ins Ziel geschoben. Sein Teamkollege Zdeněk Štybar gewinnt die Etappe vor Peter Sagan (Tinkoff-Saxo).
Bis zum höchst dramatischen Finale in Le Havre war die heutige Etappe entlang der Küste in der Normandie die bisher wohl entspannteste der Tour de France 2015. Bereits kurz nach dem Start fasste sich ein Fahrertrio ein Herz und konnte sich vom Hauptfeld absetzen. In der Spitzengruppe fuhren fortan Daniel Teklehaimanot (MTN-Qhubeka), Perrig Quemeneur (Europcar) und Kenneth Van Bilsen (Cofidis) – schnell hatten sie deutlich über zwei Minuten Vorsprung. Das Peloton machte keine Anstalten, die Ausreißer schnell einzuholen und fuhr über lange Zeit mit scheinbar angezogener Handbremse – eine Durchschnittsgeschwindigkeit von deutlich unter 40km/h war die Folge.
Besonders erfolgreich verlief die Flucht für Daniel Teklehaimanot aus Eritrea – er holte sich die einzige Bergwertung des Tages und konnte somit in dieser Wertung an Rodriguez (Katusha) vorbeiziehen – morgen wird der Mann von MTN-Qhubeka also mit dem Gepunkteten Trikot an den Start gehen. Als der Vorsprung 20km vor dem Ziel immer mehr schmolz und unter eine Minute fiel, ergriff Van Bilsen die Gelegenheit und startete zur Soloflucht. Doch zuerst wurden seine Kollegen Teklehaimanot und Quemeneur und schließlich, drei Kilometer vor dem Ziel auch Van Bilsen gestellt.
Danach wurde es dramatisch. Die Mannschaften von Etixx-QuickStep, Tinkoff-Saxo und Giant-Alpecin kämpften um die beste Positionierung für ihre Fahrer. John Degenkolb und Tony Martin tummelten sich immer wieder ganz an der Spitze. Dann, auf dem steilen, finalen Anstieg hinauf zum Ziel in Le Havre passierte es: Tony Martin verlor für einen Moment die Konzentration, hängte sich am Hinterrad seines Vordermannes auf und stürzte. Dabei riss der Mann im Gelben Trikot etwa ein Dutzend andere Fahrer – darunter auch Vincenzo Nibali (Astana), Tejay Van Garderen (BMC) und Nairo Quintana (Movistar) – zu Boden. Am übelsten scheint es jedoch den deutschen Tagessieger von vorgestern erwischt zu haben: Er stand lange etwas benommen am Straßenrand und hielt sich immer wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter. Als er schließlich vom Teamfahrzeug mit einem neuen Rad versorgt wurde, schoben ihn seine Teamkollegen weiter in Richtung Ziel.
An der Spitze war es schließlich Martins Teamkollege Zdeněk Štybar aus Tschechien, der sich sehr souverän den Sieg vor Peter Sagan und Bryan Coquard (Europcar) sicherte. Martin bleibt wohl bis morgen an der Spitze der Gesamtwertung, da sich der Sturz innerhalb der letzten drei Kilometer ereignete. Noch gibt es keine offizielle Stellungnahme seitens des Teams, wie schwer es den 30-jährigen erwischt hat – die Bilder lassen jedoch das Schlimmste befürchten. Im Ziel aber ein schönes Bild: Noch bevor er sich medizinische Unterstützung holt, geht Tony Martin zu seinem Teamkollegen Stybar und gratuliert ihm zum Sieg. Direkt danach ging es mit Verdacht auf Schlüsselbeinbruch zum Röntgen ins Krankenhaus.
Endresultat Etappe 6 Tour de France 2015
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1.,Zdenek Stybar,Etixx-QuickStep,04:53:46
2.,Peter Sagan,Tinkoff-Saxo,00:00:02
3.,Bryan Coquard,Europcar,
4.,John Degenkolb,Giant-Alpecin,
5.,Greg van Avermaet,BMC,
6.,Tony Gallopin,Lotto-Soudal,
7.,Evald Boasson Hagen,MTN-Qhubeka,
8.,Davide Cimolai,Lampre-Merida,
9.,Julien Simon,Cofidis,
10.,Gorka Izagirre,Movistar,
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[tab:Vorschau]
Mehr noch als gestern wird der Wind heute auf der sechsten Etappe von Abbeville nach Le Havre wohl wieder eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Weite Teile der 191,5km führen das Peloton nämlich entlang der Küste Nordfrankreichs. Während die majestätischen Klippen für beeindruckende Bilder im TV sorgen werden, wird den Fahrern kaum Zeit bleiben dies zu genießen. Plötzliche Windböen oder stetige Windkanten erfordern zu jedem Zeitpunkt die volle Konzentration.
Das Profil der heutigen Etappe ist etwas welliger und anspruchsvoller als gestern. Somit könnte heute auch eine starke Ausreißergruppe den Sieg unter sich ausmachen – Thomas Voeckler wäre hier sicherlich ein Kandidat, wobei heute auch durchaus ein Überraschungssieg eines Nobodys möglich ist. Sollte sich keine der Fluchtgruppen ins Ziel retten können, wird es wie bereits am Vortag auch in Le Havre wieder zu einem Massensprint kommen. Das Finish ist mit zwei Richtungswechseln und einem kurzen Anstieg etwas anspruchsvoller als tags zuvor in Amiens. Das könnte André Greipel durchaus in die Karten spielen, wobei eine solche Zieleinfahrt eigentlich wie gemacht ist für Peter Sagan. Wir lassen uns überraschen, denn heute ist beinahe alles möglich!
[tab:Karten und Profile]
Etappenprofil
Letzte 5 Kilometer
[tab:TV und Stream]
TV
Donnerstag, 09. Juli, 14:15 – 17:45 Uhr
Donnerstag, 09. Juli, 16:05 – 17:25 Uhr