Radsport: Tony Martin muss sich bei der Zeitfahr-WM gestern im US-Amerikanischen Richmond gefühlt haben wie im falschen Film. Mit eigentlich guter Form, gelungener Vorbereitung und einem guten Gefühl war der dreifache Weltmeister an den Start gegangen. Am Ende landete er mit über einer Minute Rückstand auf den neuen Weltmeister Kiryienka auf Platz sieben. Richtig erklären kann Martin sich das Desaster nicht.
Zehntausende von Zuschauern an der Strecke und an den TV-Geräten und Computern weltweit haben sich gestern beim Einzelzeitfahren der Straßen-WM in Richmond wohl verwundert die Augen gerieben. Tony Martin, der dreimalige Weltmeister und der große Favorit auf Gold, zeigte sich chancenlos auf dem schnellen Kurs durch die nordamerikanische Metropole. Sekunde um Sekunde verlor er auf Kiryienka, Malori und Coppel. Spätestens bei der zweiten Zwischenzeit, als ihm schon über 40 Sekunden auf Kiryienka fehlten, war klar, dass Martin nicht an seine sonstige Form heranreichen würde.
Niemand wird sich so sehr den Kopf darüber zerbrechen, wie dieser plötzlich so große Abstand zu den schnellsten Fahrern zu Stande kam, als Martin selbst. Doch Antworten konnte er noch keine finden: „Ich kann es mir nicht erklären,“ sagte ein konsternierter Martin noch am Abend. „Es war irgendwie ein seltsames Zeitfahren. Es war für mich eine Spur zu schnell, beinahe wie auf der Bahn. Ich hatte das nicht erwartet, denn eigentlich fühlte ich mich gut, auch während der ersten acht Kilometer.“
Ein erfahrener Rennfahrer wie Tony Martin kennt sich und seinen Körper allerdings genau und so war ihm schnell klar, dass es leider nicht sein Tag, nicht seine WM sein würde: „Ich kam mit dem Rückenwind überhaupt nicht klar und habe völlig meinen Rythmus verloren,“ analysiert Martin. „Es war einfach zu schnell für mich und traf mich ziemlich unerwartet. Als es dann bergauf ging, bin ich auch mental eingebrochen. Ich habe meine Beine nicht gefunden und es war wohl schlicht nicht mein Tag.“
Dass sich Radsport auf diesem Niveau oft eher im Kopf als in den Beinen abspielt, ist mehr als eine hohle Phrase, auch das ist dem Profi von Etixx-QuickStep klar: „Gerade in der zweiten Hälfte des Rennens war es eher ein mentales als ein physisches Problem.“ Natürlich fragt sich der Zeitfahrweltmeister der Jahre 2011-2013, wie dieser überraschend große Abstand zur Spitze zustande kam. „Ich hatte eine gute Vorbereitung und wollte um Gold mitfahren und war auch überzeugt, dass ich dazu in der Lage sein würde. Am Ende kam es ganz anders.“
Natürlich versucht Martin nun die Enttäuschung zu verarbeiten und positiv nach vorn zu blicken. „Es war einfach nicht mein Tag. Ich bin extrem enttäuscht, weil ich mit voller Überzeugung an den Start gegangen war und in der Vorbereitung alles getan habe was möglich war. Ich werde versuchen, alles zu analysieren und überlegen, wo ich vielleicht Fehler gemacht haben könnte.“ Sportsmann wie er ist, schickt er aber natürlich auch Glückwünsche an den neuen Weltmeister, Wassil Kiryienka aus Weißrussland: „Momentan bleibt mir nur zu sagen: Glückwunsch an Wassil Kiryienka, er war heute einfach megastark und hat sich die Goldmedaille redlich verdient.“
Auch wir können nur sagen: Kopf hoch Tony Martin! Der nächste Erfolg ist nur eine Frage der Zeit.